Portugal im EM-Halbfinale:Hinten grimmig, vorne Ronaldo

Mit aller Macht den Strafraum vernageln und in der Offensive auf ihren Besten hoffen. Mit dieser Taktik besiegt Portugal im Viertelfinale harmlose Tschechen. Wird das fürs Endspiel reichen? Sicher ist: Ronaldo kann sein Team noch viel weiter tragen. Doch diese Konstellation birgt auch Probleme.

von Thomas Hummel

Eusébio musste ein wenig gestützt werden beim Jubeln auf der Tribüne. 70 Jahre ist das größte Fußball-Idol Portugals inzwischen alt, vor dem Estádio da Luz in Lissabon steht eine Statue von ihm. Um den Jahreswechsel herum war er dreimal im Krankenhaus gewesen, auch auf der Intensivstation, wegen Bluthochdrucks und Lungenentzündung. Dennoch kam er für dieses Viertelfinale der Europameisterschaft nach Warschau und durfte sich nach 79 Minuten endlich freuen. 1:0 für Portugal, das Spiel war entschieden.

Gegen Mitternacht wollte Eusébio das Nationalstadion verlassen, verlief sich aber ausgerechnet mitten hinein in eine Schar von heimischen Reportern. Dieser gebückte, leicht humpelnde Mann im dunklen Anzug zog plötzlich einen Schwarm Menschen hinter sich her, Eusébio sagte etwas von "Ich danke Gott" und "Ich habe immer an sie geglaubt" und "Ich glaube, sie können Europameister werden". Genau waren die leisen Worte nicht zu verstehen in dem Tumult. Klar war eigentlich nur: Eusébio war glücklich und er wollte nun nach Hause.

Will das Vorbild seine Nachfolger weiterhin verfolgen, hat er die nächste weite Reise vor sich. Das Halbfinale der Portugiesen findet am Mittwoch im 1400 Kilometer entfernten Donezk statt, der Gegner heißt Spanien oder Frankreich. Und damit kommt auf die Mannschaft wesentlich mehr Arbeit zu als an diesem lauen Abend unter dem geschlossenen Dach im Warschauer Stadion. Dieses Viertelfinale wird der Sieger als relativ leichte Aufgabe in Erinnerung behalten. Der Verlierer sah dennoch keinen Grund, sich zu grämen.

Für die Tschechen mit ihrem Trainer Michal Bilek schien das Turnier schon lange vor dem Schlusspfiff beendet zu sein. Sie waren sehr glücklich, nach dem 1:4 im ersten Spiel gegen die Russen noch das Viertelfinale erreicht zu haben. Einige hatten sich Turnierbärte wachsen lassen, wie das die Eishockeyspieler in den Playoffs machen, es soll Glück bringen und den Zusammenhalt erhöhen. Doch mehr als Bärte hatten sie auf dem Spielfeld nicht zu bieten.

Statt ihres verletzten Spielmachers Tomas Rosicky schickte Bilek den unerfahrenen und defensiven Vladimir Darida ins Mittelfeld und gab damit die Richtung vor: Sicherheit über alles. "Wir haben unsere Abwehr verstärkt, weil wir wussten, dass sie attackieren würden", sagte er nach der Partie. Diese Strategie mündete darin, dass die Tschechen in 90 Minuten kein einziges Mal auf das gegnerische Tor schossen.

"Wenn du ein Spiel dominierst, musst du auch effektiv sein"

Bilek beteuerte dennoch, er würde es bei einem zweiten Versuch exakt so wiederholen. "Wenn wir offener gespielt hätten, hätten sie uns bestraft. Sie können den Ball halten, sie spielen gute Konter. Alle Mannschaften wissen das, die gegen Portugal spielen." Er sprach damit an, wie schwer gegen Portugal bei dieser EM zu spielen ist. Das musste auch die deutsche Mannschaft schon erkennen.

Fußball Portugal EM-Halbfinale

Pepe und Cristiano Ronaldo feiern den Sieg gegen Tschechien.

(Foto: AP)

Vor der Abwehrreihe mit dem überragenden Pepe von Real Madrid formiert Portugal eine lauf- und zweikampfstarke sowie ballsichere Dreier-Mittelfeldreihe. Hierin verfingen sich bereits die allermeisten tschechischen Angriffsversuche. Während die Portugiesen nach Ballgewinnen stets versuchten, ihre schnellen Angreifer Nani und vor allem Cristiano Ronaldo einzusetzen. Nach einem Stotterstart ging dieser Plan nach 25 Spielminuten immer besser auf, allein Cristiano Ronaldo hatte in den verbleidenden 65 Minuten Chancen für drei Spiele.

Als ihm der frühere kroatische Stürmer Davor Suker den Pokal für den "Mann des Spiels" überreichte, strahlte Cristiano Ronaldo zuerst in die Kameras, dann blickte er bierernst und sagte staatsmännisch: "Wir hatten eine große Einheit auf dem Platz, deshalb haben wir gewonnen. Ich gratuliere dem ganzen Team." Dabei hätte er auch durchaus sich selbst gratulieren dürfen. Der 27-Jährige kommt bei dieser EM immer besser zur Geltung, die portugiesische Offensive glich im Viertelfinale einer Ein-Mann-Show.

Die Portugiesen hatten ja bis zum zweiten EM-Spiel damit gehadert, dass sie zwar über ihre grimmige Defensive stets ein Spiel dominieren, aber im Angriff einfach keine Tore erzielen. Dabei haben sie doch links vorne den zweitbesten Torschützen der Welt! Nachdem ihn die Kollegen gegen Dänemark noch retteten, rettet er nun die Kollegen. Gegen Holland schon zwei Tore, gegen Tschechien traf er zweimal den Pfosten, flog bei einem Fallrückzieher durch den Strafraum.

"Ich habe immer an ihn geglaubt"

Es war klar: Soll das Spiel nicht mit 0:0 ins Elfmeterschießen driften, muss er es entscheiden. Zur Erleichterung nicht nur der Portugiesen, sondern auch der neutralen Zuschauer, die sich den zähen Kick nicht weitere 30 Minuten in der Verlängerung antun wollten, entschied Cristiano Ronaldo sie dann auch. Er köpfte eine schöne Flanke von João Moutinho ein.

Sein Trainer Paulo Bento kommentierte: "Es ist sehr wichtig: Wenn du ein Spiel dominierst, musst du auch effektiv sein." Diese Effektivität kann in seinem Kader auf Dauer nur Cristiano Ronaldo bieten. Er kann Portugal weit tragen. Die Konstellation kann aber auch zum Problem werden. Als sich anfangs drei bis fünf Tschechen auf ihn warfen, stockte die portugiesische Offensive merklich. Erst als Cristiano Ronaldo auch in die Mitte auswich und öfter die Positionen rochierte, kam die tschechische Abwehr in Bedrängnis. In der zweiten Spielhälfte war sie damit sogar weitgehend überfordert.

Die Portugiesen werden ihren Stil nicht ändern, sie können gar nicht anders. Pepe und seine Spießgesellen werden hinten weiterhin den Strafraum vernageln und vorne sollen Nani und Cristiano Ronaldo das eine nötige Tor schießen. Wenn das zum Titel reicht, dann steht neben der Eusébio-Statue sicher bald eine weitere: eine, die Cristiano Ronaldo ähnlich sehen wird, vermutlich in der Ich-ziehe-gleich-meinen-Colt-Pose vor dem Freistoß. Der freundliche Eusébio wird sie in einer feierlichen Zeremonie lüften und so etwas sagen wie: "Ich danke Gott" oder "Ich habe immer an ihn geglaubt."

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