Portugal bei der Fußball-EM:Niemand will Ronaldos Trikot

Portugal bei der Fußball-EM: Verzweifelt: Cristiano Ronaldo.

Verzweifelt: Cristiano Ronaldo.

(Foto: AFP)
  • Beim 0:0 gegen Österreich wird der Portugiese Cristiano Ronaldo zur tragischen Figur.
  • Er vergibt einen Elfmeter, schießt ein Abseitstor - und sorgt für einen Nervenzusammenbruch.

Von Javier Cáceres, Paris

Wer Cristiano Ronaldo am Samstag weinen sehen wollte, konnte sich im Internet bedienen. Seine Mutter, Dolores Aveiro, hatte ein Video online gestellt, das zeigte, wie CR7 seinem Erstgeborenen Cristiano Jr. am Freitag zum Geburtstag gratulierte - im EM-Quartier der Portugiesen in Marcoussis, einem Vorort von Paris, wo die Sportstadt des französischen Rugby-Verbands steht.

Cristiano Jr. tauchte überraschend in Marcoussis auf; die Geburtstagsüberraschung galt also weniger dem Buben als dem Vater, der dann auch gerührt war. Es ist zu sehen, wie er sich eine Träne aus dem Auge wischt. Die Tränen aus dem Video blieben die einzigen, die zu sehen waren, und das war absehbar: Nach dem 1:1 zwischen Ungarn und Island, dem ersten Spiel der Gruppe F des Samstags, war klar, dass Portugal vor dem abschließenden Gruppenspiel am Mittwoch gegen Ungarn zumindest nicht ausscheiden würde. Und dennoch ging Ronaldo geknickt von dannen.

In der 77. Minute hatte der Kapitän der Portugiesen einen Elfmeter herausgeholt. Am Strafraum lieferte er sich einen Ringkampf mit dem österreichischen Innenverteidiger Martin Hinteregger und holte einen kleinen Vorteil heraus. Als Ronaldo aber schon auf dem Weg zum gegnerischen Tor und der Pass von links unterwegs war, rang Hinteregger Ronaldo doch noch nieder. Der italienische Schiedsrichter Nicola Rizzoli zeigte ohne zu Zögern auf den Elfmeterpunkt. Ronaldo trat selbst an - und jagte den Ball flach an den von ihm aus gesehen linken Pfosten. Später traf er dann doch noch ins Tor - war aber im Abseits gestanden.

Ronaldo prüft den österreichischen Keeper Robert Almer

Ronaldo haderte, zum ersten Mal im Spiel, mit sich selbst. Acht Minuten später haderte er mit dem Schiedsrichter Rizzoli. Denn er annullierte einen Kopfballtreffer Ronaldos. Bei einem Freistoß von der rechten Seite hatte Ronaldo eindeutig im Abseits gestanden.

Zuvor hatte er mit einigen guten Aktionen dazu beigetragen, den österreichischen Torwart Robert Almer zum Spieler des Spiels zu machen. In der 55. Minute parierte der Keeper der Wiener Austria einen gewaltigen Linksschuss von Ronaldo aus 20 Metern; eine Minute später stand er goldrichtig, als Ronaldo allein aus kurzer Distanz zum Kopfball kam.

Ronaldo versucht alles

Zuvor hatte es, wie schon im ersten Spiel gegen Island, lange den Anschein gehabt, dass die paar Tage Entspannung, die sich Ronaldo vor dem Turnier auf einer Yacht vor Ibiza gegönnt hatte, nicht ausreichend waren. Ronaldo ist ein oftmals beeindruckender Fußballer, der aber von seiner Physis lebt. Und er hat bei dieser EM noch nicht unter Beweis gestellt, dem Höhepunkt der Leistungskraft seines prall gestählten Körpers nahe zu sein. Den Beweis blieb er auch am Samstag schuldig, obwohl er 90 Minuten lang alles versuchte. Schon bei der Ankunft ins Stadion hatte er für Rätselraten über seinen Fitness-Zustand gesorgt. Ronaldo trug schwarze Kompressionsstrümpfe, was die Frage nach einer möglichen Muskelverletzung aufwarf.

In der ersten Halbzeit gegen Österreich hatte Ronaldo dann nur eine gute Szene - und das war nicht die, als er nach dem Aufwärmen gekonnt den Brilli aus dem Ohrläppchen entfernte. Er war vielmehr in der er 22. Minute zu seiner ersten Chance gekommen: Nach einem wunderbaren Doppelpass mit William Carvalho legte der Neu-Dortmunders Raphael Guerreiro seinem Kapitän Ronaldo den Ball perfekt auf - doch statt mit links abzuziehen, setzte Ronaldo seinen stärkeren rechten Fuß ein - und schoss den Ball aus zwölf Metern neben den linken Pfosten.

Die beste Szene hat er nach dem Spiel

Die beste Szene aber hatte er ohne Frage, als die Partie vorüber war. Ein Flitzer kam mit einem Telefon bewaffnet über den halben Platz gelaufen - der Ordner, der ihn verfolgte, konnte das Tempo nicht mitgehen. Ronaldo nahm das gelassen hin und wartete geduldig, bis der junge, sichtlich nervöse und gerührte Fan das Selfie mit Ronaldo geschossen hatte. Dann wurde der Flitzer von Ordnern abgeführt.

Als er den Platz verließ, konnte er kaum noch laufen, weil er einen Nervenzusammenbruch erlitt wie weiland junge Frauen bei Beatles-Konzerten in den Sechzigerjahren. Und weitaus mehr Tränen vergoss als Ronaldo, der das Feld mit zusammengebissenen Lippen verließ, ohne dass ein Österreicher Anstalten gemacht hätte, ihn um sein Trikot zu bitten.

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