Polens Erfolg gegen DFB-Elf:Eben noch übergewichtig, nun Nationalheld

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Sebastian Mila und Kamil Glik jubeln über Milas unerwarteten Treffer zum 2:0

(Foto: AFP)

Mit ironischem Patriotismus feiern die Polen, dass sie gegen die Deutschen nicht nur im Volleyball und Skispringen gewinnen können. Der neue Nationalheld heißt Sebastian Mila - und den kannte zuvor nicht einmal Thomas Müller.

Von Boris Herrmann, Warschau

Dass Polen zuvor noch nie gegen eine deutsche Mannschaft gewonnen hatte, stimmt natürlich nicht ganz. In Warschau wird in diesem Zusammenhang gerne auf die Sportarten Volleyball, Handball und Skispringen verwiesen. Da habe man die Deutschen durchaus hin und wieder ein wenig ärgern können. Und selbst im Fußball gibt es ein paar glorreiche Beispiele. Mit jenem herrlich selbstironischen Patriotismus, den es nur in Polen zu geben scheint, wird etwa ein WM-Qualifikationsspiel aus dem Jahre 1981 angeführt. 1:0 für Polen, Torschütze Buncol. Oder ein Freundschaftsspiel von 1988: 2:1 für Polen, Doppeltorschütze Furtok. Dass es sich bei dem Gegner beide Male um jenes Deutschland handelte, das hinter einer Mauer lag, stört die Freunde dieser Betrachtungsweise übrigens nicht im Geringsten.

Gleichwohl, es hat sich etwas Besonderes ereignet am Samstagabend im Warschauer Nationalstadion. Etwas Historisches, wie der in Dortmund wohnhafte polnische Auswahlspieler Lukasz Piszczek präzisierte. Und wer es nicht von Piszczek erklärt bekam, der konnte es auch so hören, sehen und fühlen. Man kann schon sagen: Das Stadion bebte. Es glühte in Weiß-Rot. Rund 57 000 hauptsächlich polnische Zuschauer veranstalteten ein nationales Freudenfest, wie es diese junge Arena noch nicht erlebt hat - jedenfalls nicht beim Fußball.

Die polnischen Spieler formierten sich nach dem Schlusspfiff zu einem jener Tanzkreisel, die man von Mannschaften kennt, die gerade einen Titel gewonnen oder einen Abstieg verhindert haben. Nüchtern betrachtet hatten diese Kreiseltänzer ja lediglich ein Spiel einer breit ausgewalzten EM-Qualifikationsrunde für sich entschieden. Aber dieses 2:0 war eben auch der erste Sieg einer polnischen Fußball-Nationalmannschaft gegen eine Auswahl des DFB - im 19. Versuch. Und mithin "das Ende der größten Schmach im polnischen Fußball", wie die Zeitung Gazeta Wyborcza umgehend verkündete. Wer wollte so etwas nüchtern betrachten?

Nun, Adam Nawalka, 56, gab sich zumindest alle Mühe. Als polnischer Nationaltrainer betrachtete er es offenbar als seine Pflicht, die beseelten polnischen Gemüter wieder zu beruhigen. "Guten Abend meine Damen und Herren, wir haben heute drei Punkte geholt. Aber die wichtigste Partie liegt noch vor uns, am Dienstag gegen Schottland. Vielen Dank, meine Damen und Herren", das war seine Spielanalyse.

Adam Nawalka ist seit etwas mehr als einem Jahr im Amt. In dieser Zeit hat er 70 Spieler in 14 Länderspielen eingesetzt. Etwa so viele wie Joachim Löw in zehn Jahren. Der aus Krakau stammende Nawalka ist wegen dieser scheinbar willkürlichen Nominierungs-Politik alles andere als unumstritten - in seinem Land, aber angeblich auch im Kreise seiner Mannschaft. Am Samstag sind ihm seine Spieler reihenweise um den Hals gefallen, und die polnischen Berichterstatter begrüßten ihn zur Pressekonferenz mit warmem Applaus. Es hörte sich an, als ob ein Stardirigent die Konzertbühne betreten hätte. Auch daran war zu erkennen, dass Polen ein bisschen mehr gewonnen hatte als drei Punkte.

Entschuldigung für die Destruktivität

Nawalka wollte nach seiner ebenso kurzen wie höflichen Ansprache gleich wieder verschwinden. Er sagte, er müsse jetzt umgehend das Spiel gegen Schottland vorbereiten. Auf vielfachen Wunsch hat er dann aber doch noch zwei, drei Fragen beantwortet. Zum Beispiel diese: Wie haben Sie das gemacht? Nawalka richtete zunächst einige Dankesworte an seine Spieler, weil sie seine Anweisungen so professionell umgesetzt hätten. Und schließlich entschuldigte er sich dafür, dass diese Anweisungen eher destruktiver Natur gewesen waren. "Es ist sehr schwer, mit dem Weltmeister ein offenes Spiel zu spielen", sagte er.

Fest steht, dass Polen schon kunstvollere Spiele gegen die DFB-Auswahl hingelegt hat als jetzt jenes neunzehnte, in dem der erste Sieg gelang. Etwa bei den beiden WM-Turnieren in Deutschland, 1974 und 2006. Allerdings kam da stets etwas dazwischen, mal ein epischer Platzregen, mal eine Flanke von Odonkor. Diesmal stellten sich die Polen halbwegs geordnet hinten rein, überstanden mit Glück 28 deutsche Torschüsse und machten mit Geschick zwei Kontertore. Mit recht biederem Fußball erzielten sie die größtmögliche Wirkung.

Die Weltmeister mussten sich derweil fragen lassen, ob sie die eher unbekannten Tiefen des polnischen Siebzig-Mann-Kaders unterschätzt hatten? Den berühmten Robert Lewandowski hatten sie ja größtenteils im Griff, die Tore erzielten dann allerdings Arkadiusz Milik (51.) und Sebastian Mila (88.). Von Milik sollten die meisten schon einmal etwas gehört haben. Der steht bei Bayer Leverkusen unter Vertrag und ist derzeit an Ajax Amsterdam ausgeliehen, wo er ganz zuverlässig trifft. Sebastian Mila, 32, ist aber nun wirklich kein Weltstar.

Poland vs Germany

Sebastian Mila feiert seinen Treffer zum 2:0

(Foto: Bartlomiej Zborowski/dpa)

Thomas Müller gab offen zu, dass er diesen Spieler nicht kannte - jedenfalls nicht bis zum zweiten Tor für Polen. Das muss man ihm nicht zwingend als Ignoranz auslegen. Die polnischen Augenzeugen waren größtenteils selbst überrascht, als dieser Mila kurz vor Schluss eingewechselt wurde. Er hatte vor über zehn Jahren sein Länderspieldebüt gegeben und wurde seither so gut wie nie nominiert. Auch weil er im Ruf steht, das Leben genießen zu können.

Sein Vereinstrainer bei Slask Wroclaw attestierte ihm unlängst acht Kilo Übergewicht. Die scheint er inzwischen abgespeckt zu haben. Milas Torjubel, der in den Armen von Trainer Nawalka endete, sah schon ziemlich athletisch aus. Später war er einer der gefragtesten Männer in der Interviewzone, wo er mit feuchten Augen von 150 Glückwunschnachrichten auf seinem Telefon berichtete.

Es mag nur um drei Punkte gegangen sein, aber man wird nicht jeden Tag zum Nationalhelden. Und das erste Mal gegen die Deutschen kann man auch nur einmal gewinnen. Sebastian Mila verließ das Stadion mit einem Gesicht, das sagte: Das sollte man auskosten.

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