Polen:Arkadiusz Milik ist der Geheimtipp der Polen

Polen: Arkadiusz Milik nach seinem Tor gegen Nordirland.

Arkadiusz Milik nach seinem Tor gegen Nordirland.

(Foto: AP)

Für Ajax schoss er in zwei Spielzeiten 47 Tore, Münchens Kaderplaner schwärmt von ihm: Im Schatten von Robert Lewandowski ist Milik zu einem Top-Stürmer gereift.

Von Christof Kneer, Évian-les-Bains

Robert Lewandowski ahnt, dass ihn seine Gegenspieler am Donnerstagabend kennen werden. Jérôme Boateng trainiert mit Lewandowski jeden Tag zusammen beim FC Bayern und kennt deshalb jede Finte und jede Drehung persönlich, ebenso Mats Hummels, der mit Lewandowski jahrelang in Dortmund spielte und ihn dort regelmäßig mit langen Bällen versorgte. Auch aus anderer Perspektive kennt er Lewandowski inzwischen, Hummels weiß, was man als Gegenspieler gegen ihn tun oder besser nicht tun sollte. Shkodran Mustafi wiederum hat noch keine größeren Erfahrungen mit Lewandowski gesammelt, aber beim Deutschen Fußball-Bund ist so etwas natürlich lächerlich egal. Die Scouts des DFB sind berühmt für ihre deutsche Gründlichkeit, und so wird auch Mustafi vor dem zweiten Gruppenspiel gegen Polen Dinge über Lewandowski erfahren, die dieser mit Sicherheit selbst nicht weiß.

Noch hat Bundestrainer Joachim Löw nicht offiziell entschieden, ob er den nach einem Muskelfaserriss in der Wade frisch genesenen Hummels gleich wieder an Boatengs Seite stellen soll oder ob er nochmal Mustafi vertraut, dem Stellvertreter von Antonio Rüdiger, der der Stellvertreter von Mats Hummels war. Löw muss aus mindestens drei Gründen nochmal über die genaue Besetzung seiner Abwehr nachdenken. Erstens: Weil er grundsätzlich gerne über seine Mannschaft nachdenkt, was womöglich auch zu seinem Job gehört. Zweitens: Weil er noch präzise ergründen muss, was die Abwehr damit zu tun hatte, dass seine Elf gegen die Ukraine vorübergehend in Turbulenzen geriet. Und drittens: Weil die Polen den Deutschen mit einem Spielsystem begegnen, an das sich vor allem jene noch erinnern, die sich auch noch an den Libero erinnern.

"Vor allem in der Kombination ihrer Fähigkeiten sind die beiden absolut hochkarätig."

Wer die Aufstellungen der EM-Teilnehmer stichprobenartig durchsieht, entdeckt meist das gleiche Muster: Vorne drin halten sich die meisten Mannschaften einen sogenannten Mittelstürmer, den sie von lauter modernen Mischwesen umschwirren lassen, die den Mittelstürmer entweder seitlich flankieren oder, wie das in der Fachsprache heißt, "um ihn herumspielen". Die Mittelstürmer dieses Turniers heißen Giroud, Morata, Kane, Lukaku, Mandzukic oder sogar Götze. Bei Polen heißen sie: Robert Lewandowski (Superstar) und Arkadiusz Milik (Geheimtipp).

Es sollte vorsichtshalber aber keiner glauben, dass Deutschlands zweiter Gegner deshalb einen altmodischen Fußball spielt. Es ist kein ideologisches Bekenntnis, das sich in der Aufstellung des Trainers Adam Nawalka widerspiegelt, es ist eine luxuriöse Pragmatik. Nawalka sieht das so, dass er halt zwei Supermittelstürmer hat, und dass es dann halt einen gewissen Sinn ergibt, sie auch beide aufzustellen.

"Vor allem in der Kombination ihrer Fähigkeiten sind die beiden absolut hochkarätig", sagt Michael Reschke, der Technische Direktor des FC Bayern, der in einem sehr langen früheren Leben mal die Kader von Bayer Leverkusen plante. Er hat Milik zu Bayer 04 geholt, als der 18 war, aber er war noch zu jung, um Stefan Kießling zu entmachten. Er hat sich dann erst nach Augsburg ausleihen und anschließend nach Amsterdam verkaufen lassen, wo er für Ajax in zwei Spielzeiten 47 Tore schoss.

Setzt Löw Hummels gegen Milik?

Milik, 22, ist Angreifer, der einen ganzen Haufen dieser Dinge beherrscht, die ein Angreifer beherrschen sollte, er ist robust und wendig, er kann bei Bedarf auf den Flügel und ins Mittelfeld abbiegen, und selbstverständlich ist er irrsinnig torgefährlich. "Einen unglaublichen Schuss und eine unglaubliche Schusstechnik" rühmt Reschke, und auch wenn Milik vielleicht ein bisschen Tempo und ein paar raffinierte Sonderausstattungen fehlen, reichen seine Fähigkeiten lässig aus, um sich einen prominenten Platz auf dem rasenden Transferkarussell zu sichern; allein sein Siegtor im polnischen Auftaktspiel gegen Nordirland hat ihn ein paar Millionen teurer gemacht.

Wenn Joachim Löw ehrlich ist, interessiert es ihn aber weniger, ob Milik nächste Saison in Liverpool, Sevilla, Rom oder auf dem Mond Fußball spielt. Löw interessiert, dass Milik im Team Polen an der Seite von Robert Lewandowski stürmt und dass seine Verteidiger vor lauter Lewandowski den Namen "Milik" nicht vergessen.

Kurz bevor sie zur Europameisterschaft aufgebrochen sind, haben die Nationalspieler des FC Bayern auf dem Vereinsgelände noch ein paar kleine Fachgespräche geführt, und Lewandowski hat den deutschen Nationalspielern offenbar listig geraten, sich im Spiel ruhig auf ihn zu konzentrieren. Er weiß ja, wie die Spiele dann laufen können, sie können laufen wie Polens EM-Auftakt: Sämtliche Nordiren hingen an Lewandowski herum, sie zerrten, zogen und zupften, und, ja gut, das Tor hat dann halt Arkadiusz Milik geschossen.

Lewandowski und Milik waren das erfolgreichste Duo in der Qualifikation zu dieser Europameisterschaft, 13-mal traf der große Lewandowski, sechsmal traf der noch nicht so große Milik, der sich nebenbei auch noch die meisten direkten Torvorlagen der Qualifikationsrunde gutschreiben lassen konnte (sechs). Milik reiche "ein winziger Raum und ein winziges Zeitfenster, um ein Tor zu erzielen", sagt Reschke, und diese Fähigkeiten sind natürlich besonders hinterlistig, wenn man sie hinter Lewandowski verstecken kann. Eine Abwehr, die Lewandowski gewissenhaft bewacht, kann es nicht immer vermeiden, dass sich mal kurz ein Nadelöhr für Lewandowskis Nebenmann öffnet.

Joachim Löw wird jetzt also überlegen müssen, ob er Hummels oder Mustafi vors Nadelöhr stellt, und er wird dabei neben der sportlichen Kompetenz auch die innenpolitische Hygiene seines Kaders zu berücksichtigen versuchen. Der doch recht dominante Mats Hummels hat zuletzt keinen Zweifel daran gelassen, dass er sich inzwischen wieder für spielfähig hält.

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