Pokal-Finale im Handball:Mit einem Riesen-Herz

Auch in der ungewohnten Rolle des Außenseiters setzt sich der THW Kiel durch: Im Finale sichert sich die Mannschaft durch einen deutlichen Erfolg über Bundesliga-Tabellenführer Flensburg zum zehnten Mal die Trophäe.

Von Jörg Marwedel, Hamburg

"La decima" gibt es nicht nur im Fußball bei Real Madrid in der Champions League, sondern eine Nummer kleiner auch im Handball. Der THW Kiel hat am Sonntagnachmittag mit einem 29:23 (13:12) gegen den Bundesliga-Tabellenführer SG Flensburg-Handewitt seinen zehnten DHB-Pokalsieg eingefahren. Und das, obwohl das Team nach dem 33:23 der Flensburger über Meister Rhein-Neckar Löwen im Halbfinale am Tag zuvor in ungewohnter Position ins Spiel gegangen waren - nämlich als Außenseiter. Die Kieler hatten - wie so häufig in dieser Saison - in ihrem Halbfinale beim 35:32 gegen den SC DHfK Leipzig nur durchwachsen gespielt.

Doch schon bald wurde klar, dass der Rekordmeister seine Sieger-Mentalität noch nicht verloren hat. Die Kieler warfen deutlich mehr Enthusiasmus ins Spiel als der Gegner. Mal feuerte Patrick Wiencek beim 25. Final Four die 2000 THW-Fans in der wie immer mit 13 200 Zuschauern ausverkauften Hamburger Arena an, mal war es Kapitän Domagoj Duvnjak, mal das Zebra-Maskottchen "Hein Daddel". Die Profis aus der schleswig-holsteinischen Hauptstadt gingen in der Abwehr zuweilen rabiat zu Werke, hatten aber vor allem den deutlich besseren Torwart. Niklas Landin wehrte 13 Würfe ab, während sein Gegenüber Mathias Andersson nicht mal auf die Hälfte an Rettungstaten kam. Am Samstag hatte dessen Kollege Kevin Möller mit 16 Paraden die Basis für den Flensburger Sieg gelegt. Diesmal setzte ihn SG-Coach Ljubomir Vranjes - warum auch immer - erst ein, als die Partie im Grunde entschieden war.

THW Kiel - SG Flensburg-Handewitt

Schmerzensmann: Kiels Spielmacher Domagoj Duvnjak wirft sich trotz aller Handicaps in die Flensburger Abwehr - und erzielte dabei sieben Tore.

(Foto: Axel Heimken/dpa)

Es war ein besonderer Sieg für die Kieler, nicht nur weil es der zehnte war. Trainer Alfred Gislason, der die Medaille von Uwe Schwenker entgegennahm, dem früheren THW-Manager und jetzigen Liga-Präsidenten, war die Freude anzusehen. Man habe das Team ja verjüngt, trotzdem "bleiben die Ansprüche bestehen", sagte er erleichtert. Ihm waren die Kritiken nach den ungewöhnlich vielen mäßigen Spielen in Bundesliga und Champions League durchaus auf den Magen geschlagen. Dann kam er sehr schnell von Landin zum nächsten Matchwinner - Duvnjak. Der spielte wegen seiner seit Monaten schmerzenden Patella-Sehne am linken Knie noch einmal mit starken Medikamenten und trug trotzdem mit sieben Treffern die meisten zum Sieg bei. "Er war ein echter WM-Kapitän", lobte Gislason den Spielmacher.

Vermutlich wird Duvnjak noch in dieser Woche operiert; das sagte er jedenfalls selber. Er wisse, dass es ihm "morgen wieder schlechter" gehe. Trotzdem gibt es Beobachter, die damit rechnen, dass er den Eingriff erneut hinausschiebt - mindestens bis zum Champions-League-Viertelfinalspiel gegen den FC Barcelona am 23. April. Die Ärzte haben versichert: Er wird zwar weitere schlimme Schmerzen auf sich nehmen, aber nicht die Karriere riskieren.

Die Serien von THW und SG

Die Pokal-Endspiele der vergangenen zehn Jahre.

2007 THW Kiel - Rhein-Neckar Löwen 33:31

2008 THW Kiel - HSV Hamburg 32:29

2009 THW Kiel - VfL Gummersbach 30:24

2010 HSV Hamburg - RN Löwen n.V. 34:33

2011 THW Kiel - SG Flensburg 30:24

2012 THW Kiel - SG Flensburg 33:31

2013 THW Kiel - SG Flensburg 33:30

2014 Füchse Berlin - SG Flensburg 22:21

2015 SG Flensburg - SC Magdeburg n.V. 27:27 (5:4 im Siebenmeter-Schießen)

2016 SC Magdeburg - SG Flensburg 32:30

2017 THW Kiel - SG Flensburg 29:23

Aber nicht nur der erfolgsgewohnte Duvnjak war hernach "überglücklich", sondern auch Europameister Andreas Wolff, der diesmal als zweiter Keeper des THW nur einen Siebenmeter von Anders Eggert hielt. "Das Spiel wurde im Kopf entschieden", urteilte er und formulierte dann: "Wir haben ein Riesen-Herz gezeigt." Das haben den Kielern auch die Flensburger Nachbarn nicht abgesprochen. SG-Kapitän Tobias Karlsson meinte: "Sie waren überall besser. Sie haben besser gedeckt, besser angegriffen und hatten den besseren Torwart." Und während Gislason im Überschwang ankündigte, trotz der vier Minuspunkte mehr in der Bundesliga gegenüber Flensburg im Titelkampf noch nicht aufzugeben ("Wir sind der THW"), freuten sich auch die Männer aus der Grenzstadt zu Dänemark auf die nächsten Wochen und den möglichen Meistertitel. Manager Dierk Schmäschke jedenfalls sagte: "Ich gucke nicht nur auf heute."

Zum Abschluss der zwei Pokal-Tage gab es aber noch einen Faux Pas wie kürzlich bei der Oscar-Verleihung in Amerika. In Steffen Weinhold wurde der verkehrte "beste Feldspieler des Turniers" geehrt. Das Urteil einer fünfköpfigen Jury aus Experten wurde falsch übermittelt, sagte Bundesliga-Geschäftsführer Frank Bohmann. Tatsächlich war Patrick Wiencek gewählt worden für seine überragende Abwehrleistung. Die meisten Zuschauer hätten sich vermutlich für Domagoj Duvnjak entschieden, doch der unterlag, so Bohmann, mit 2:3 Stimmen.

Ansonsten gab es nur eine große Enttäuschung in Hamburg, das waren mal wieder die Rhein-Neckar Löwen. Zum zehnten Mal scheiterten sie bei der Pokal-Endrunde, zum siebten Mal im Halbfinale, zum fünften Mal an der SG Flensburg-Handewitt. Knapp 40 Minuten hielten sie am Samstag mit, dann zogen die Flensburger binnen 19 Minuten von 21:20 auf 29:21 davon. Besser machte es der Außenseiter SC DHFK Leipzig gegen den THW Kiel. In der ersten Hälfte lag der Rekordmeister mit bis zu vier Toren im Rückstand gegen das Team des künftigen Bundestrainers Christian Prokop. "Wir waren ein ebenbürtiger Gegner", fand Leipzigs Manager Karsten Günther. Er erntete keinen Widerspruch.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: