Playoff-Rückspiel gegen die Ukraine:Die Blauen vor dem Blues

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Können sie einen 0:2-Rückstand aufholen? Franck Ribéry (links) im Gespräch mit Trainer Didier Deschamps

(Foto: AFP)

Frankreich droht zum ersten Mal seit 1994 die Fußball-WM zu verpassen. Das Scheitern würde den Verband viel Geld kosten und den Neuaufbau einer Mannschaft für die Heim-EM 2016 behindern. Manche fordern deswegen sogar den Rücktritt von großen Spielern wie Franck Ribéry.

Von Oliver Meiler

Im Augenblick der großen Verzweiflung bröckelt schon mal die Furcht vor übertriebenen Bekenntnissen. Zum Beispiel bei Olivier Giroud, einem Stürmer der französischen Nationalmannschaft. "Wir sind bereit, auf dem Platz zu sterben", sagt Giroud, 27 Jahre alt, bei bester Gesundheit. Der Platz des Geschehens, das dann hoffentlich glimpflich ausgehen wird, steht im Pariser Vorort Saint-Denis, im Stade de France. Dort wird an diesem Dienstag Frankreich vs. Ukraine gegeben, das Rückspiel im Playoff um die Teilnahme an der WM in Brasilien. Die Ukrainer haben das Hinspiel 2:0 gewonnen.

Frankreich bräuchte nun also eine dieser epischen Aufholjagden, die diesem Sport schon oft zu schönen Stunden verholfen haben - voller Sturm und Drang, voller Emotionen. Didier Deschamps, der Trainer der Franzosen, fordert von den Seinen ein "totales Match" und "eine stolze Revolte" gegen das Schicksal, das sich da unheilvoll vor den Bleus aufbaut. Girouds Metapher ist natürlich noch einen Dreh plastischer. Er sagte auch, man wolle den 64 Millionen Franzosen jetzt zeigen, dass man stolz sei, für dieses Land und für dieses Volk zu spielen. Zuletzt gab es daran oft Zweifel, bei einigen Akteuren wenigstens.

Es geht um viel, für alle. Es wäre das erste Mal seit 1994, dass die Franzosen bei einer Endrunde fehlen würden. Die Erinnerung brennt noch: 17. November 1993, Pariser Prinzenpark. Damals hieß der Gegner Bulgarien. Ein Punkt hätte den Franzosen gereicht, um sich für Amerika zu qualifizieren. Es stand unentschieden, man spielte die 90. Minute, die Erleichterung nahte, da hämmerte der Bulgare Emil Kostadinow den Ball mit einem satten Schuss ins Tor - und ins kollektive Bewusstsein von Fußball-Frankreich. Man spricht seither vom "Bulgarien-Trauma".

Diesmal ist die Ausgangslage viel komplizierter. Deschamps wird alles riskieren müssen. Wahrscheinlich setzt er dafür einen Dreiersturm ein: mit Franck Ribéry links, Olivier Giroud in der Mitte und Karim Benzema auf der ungewohnten rechten Seite. Als Spielmacher dürfte Mathieu Valbuena zurück ins Team kommen, ein wendiger und schussgewaltiger Regisseur, der in Kiew überraschend dem reichlich uninspirierten Samir Nasri weichen musste. Die Offensivabteilung hat so ihr maximales Entfaltungspotenzial. Ribérys Räume sollten dadurch etwas größer werden als im Hinspiel, als zwei, manchmal sogar drei Ukrainer seine Laufwege kappten - auf der Außenbahn schon, weit weg vom Tor.

Die Ukrainer mögen keine übermächtigen Gegner sein. Doch sie sind seit Dezember 2012 ungeschlagen: neun Siege, zwei Unentschieden. Und sie sind schnell und konterstark, immer für ein Tor gut, auch in der 90. Minute noch - das Trauma! In den französischen Medien wurde das Scheitern bereits üppig vordebattiert, als habe es etwas Fatales. Es gibt da nämlich einen entscheidenden Unterschied zu 1994. Frankreich wird 2016 die Europameisterschaft austragen, die Bleus müssen sich also nicht qualifizieren. Sollten sie nun die WM verpassen, blieben sie zweieinhalb Jahre lang ohne ernsthaften Wettkampf, ohne zählendes Spiel. Das könnte den Wiederaufbau des Teams hemmen. Und der ist dringend nötig, da sind sich alle einig.

Nur ein einziger Spieler überzeugt uneingeschränkt

Es gibt gar Stimmen, die eine Frühpensionierung jener Spieler fordern, die sich bei der WM in Südafrika 2010 so unmöglich aufgeführt hatten. Alle fanden danach wieder in die Equipe zurück, obschon sie sich im Volk die Sympathien nachhaltig verspielt hatten, einige als Leitfiguren. Von Patrice Evra und Eric Abidal nimmt man an, dass sie freiwillig aufhören werden, weil sie ein gewisses Alter erreicht haben. Doch auf die beiden anderen Stars, auf Benzema und Ribéry, kann Frankreich schlecht verzichten, mögen die beiden Herren die Geduld der Franzosen mit ihren Sprüchen und ihrer Selbstgefälligkeit zuweilen auch über die Maßen strapazieren.

Da fehlt es an Alternativen, an vergleichbarem Talent. Nur ein einziger junger Spieler überzeugt uneingeschränkt: Paul Pogba. Dem Mittelfeldspieler von Juventus Turin, 20 Jahre erst, sagt man eine ganz große Zukunft voraus. Aber sonst?

Ernüchtert sind auch die nationalen Topsponsoren des französischen Fußballverbands: eine Bank, ein Autobauer, ein Energiekonzern, eine Gesellschaft für Pferdewetten. Alle bezahlen sie jährlich mehrere Millionen Euro in die Kassen der FFF. Eigentlich hätten in diesen Wochen die neuen Verträge für die kommenden vier Jahre ausgehandelt werden sollen. Doch die Firmen wollten die Playoffs abwarten. Die Preise könnten ja fallen. Ein bisschen vorgebeugt haben sie schon: Nach Südafrika handelten die Sponsoren eine Klausel aus, die einen nachträglichen Zehn-Prozent-Abschlag vorsieht, wenn die Bleus sportlich versagen oder sich unpassend aufführen in der Öffentlichkeit. Für das Image einer Marke sind Niederlagen und Unflätigkeiten nun mal nicht sehr einträglich.

Mit einiger Sorge schaut sich auch der große Privatsender TF1 das Rückspiel gegen die Ukraine an. 130 Millionen Euro hat der Kanal für die Übertragungsrechte der WM in Brasilien bezahlt. Ohne Frankreich wären diese Rechte fast nichts mehr wert. Man zittert. Und man hofft auf ein stürmisches Lebenszeichen von Olivier Giroud.

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