Platzverweis für Handspiel:Regelkunde mit Jérôme Boateng

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Ball an den Ellbogen: Elfmeter und Gelb-Rot für Jérôme Boateng. (Foto: Matthias Hangst/Getty Images)

Die gelb-rote Karte gegen den Bayern-Verteidiger wegen Handspiels lenkt früh in der Saison den Fokus auf ein leidiges Thema: Ist das Handspiel absichtlich oder unabsichtlich? Die Bewegung unnatürlich oder natürlich?

Von Matthias Schmid, Sinsheim

Es muss eine denkwürdige Schulung gewesen sein, die jüngst in München die Gemüter bewegt hat. Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) schickt ja vor jeder neuen Spielzeit seine Schiedsrichter los, um den Spielern der Bundesligaklubs die neuen Entwicklungen in der Regelkunde näher zu bringen. Bisweilen können sich diese Veranstaltungen mehrere Stunden hinziehen und einen überaus kontroversen Verlauf nehmen, vor allem in München, wenn der redselige Thomas Müller im Plenum sitzt. "Ich hatte da bei einigen Szenen schon ein, zwei Nachfragen, weil ich mit der Auslegung nicht so einverstanden war", erinnert sich der Nationalspieler am Samstagnachmittag im Bauch der Sinsheimer Arena: "Beim Handspiel gibt es nämlich keine klare Regel und dann entstehen die Probleme, die die Spieler und Schiedsrichter damit haben."

Im jüngsten Fall geht es um das Handspiel von Münchens Nationalspieler Jérôme Boateng beim 2:1-Sieg gegen 1899 Hoffenheim. Es lief die 72. Minute, als Schiedsrichter Tobias Stieler auf den Punkt im Bayern-Strafraum zeigte, Elfmeter also für Hoffenheim. Zudem zückte er die gelbe Karte gegen Boateng, der den Ball nach dem Freistoß von Sebastian Rudy in der Mauer stehend beim Hochspringen an den Ellbogen bekommen hatte. Nun streiten sich die Gelehrten darüber, ob das absichtlich oder unabsichtlich war, ob eine natürliche oder unnatürliche Bewegung vorausgegangen war oder ob er seine Körperfläche vergrößert oder nicht vergrößert hat.

Philipp Lahm fühlt mit dem Schiedsrichter

"Die Regel beim Handspiel ist sehr unklar", erläutert Müller, "deshalb tun sich auch die Schiedsrichter selbst schwer, richtig zu entscheiden." Der Stürmer selbst will sich nicht festlegen, ob der Elfmeter berechtigt war. "Wenn es so einfach wäre, hätte ja auch mein Treffer zählen müssen, weil es unabsichtlich war", sagt er über jene kuriose Szene, als Robert Lewandowski ihn angeschossen hatte und er den Ball anschließend ins Tor schoss. "Und das wäre natürlich völliger Quatsch gewesen", gibt er zu.

Das sieht auch Philipp Lahm so, trotzdem fühlt der Bayern-Kapitän mit dem Schiedsrichter mit: "Man guckt sich eine Szene im Fernsehen zehnmal an und streitet anschließend noch immer darüber." Doch er ist noch zu sehr Spieler, als dass er sich voll und ganz der Sichtweise eines Unparteiischen anschließen würde. Der Schiedsrichter könne ja Elfmeter pfeifen, urteilt Lahm, aber er fand es ziemlich bitter, "dass Jérôme deswegen auch noch vom Platz musste, nachdem er eine Minute davor Gelb gesehen hatte".

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Boateng selbst blieb ziemlich ruhig, als ihm der Schiedsrichter Gelb-Rot zeigte, er verzichtete auf große Gesten und lautstarke Diskussionen. Der Innenverteidiger hat auch schon eine gewisse Erfahrung mit Platzverweisen. Zusammen mit roten Karten hatte er in der Bundesliga den Rasen schon sechsmal vorzeitig verlassen müssen in seiner Karriere, die Hinausstellungen in der Champions League nicht mit eingerechnet.

Verteidiger-Notstand vor dem Spiel gegen Leverkusen

Zum Zeitpunkt seines Platzverweises stand es 1:1. Der Elfmeter hätte dem Spiel, das die Münchner klar beherrschten, eine neue, überraschende Wendung geben können. Doch Eugen Polanski schoss den Ball an den Pfosten. Und obwohl der eingewechselte Robert Lewandowski am Ende zum 2:1 traf - folgenlos bleibt die gelb-rote Karte nicht für den FC Bayern.

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Im Spiel gegen Leverkusen gehen den Münchner nach den Personaldebatten der vergangenen Tage nun allmählich die klassischen Innenverteidiger aus. Medhi Benatia humpelte schon in der ersten Hälfte wegen einer Oberschenkelverletzung vom Platz. Wer soll jetzt bloß verteidigen? Sportvorstand Matthias Sammer hatte die Frage natürlich erwartet, er lächelte. "Wir haben Dante, wir haben Alaba und wir haben einen großen Kader", sagte er. Dann fügte er einen typischen Sammer-Satz hinzu: "Am Ende wird es eine Frage der Mentalität und Qualität sein, wie wir damit umgehen werden."

Über den Platzverweis wollte Sammer gar nichts sagen. Da hatten ja Müller und Lahm schon alles gesagt. Froh seien sie, betonten beide, dass sie für Fußball und nicht für die Regelauslegung bezahlt würden.

© SZ vom 23.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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