Philipp Lahm beim FC Bayern:"Es war mein Leben, hier auf dem Platz zu stehen"

Bayern München - SC Freiburg

Er hat es geschafft: Philipp Lahm verabschiedet sich.

(Foto: dpa)

Von Matthias Schmid

Philipp Lahm musste seinen Sohn ein bisschen trösten. Julian, der kleine Knirps, wollte unbedingt mitkicken mit den anderen Kindern der Bayern-Profis. Sie hatten sich am Samstagnachmittag nach der Siegerehrung samt Schalenübergabe, nach all den rührseligen Abschieden, Feierlichkeiten und Bierduschen, im Strafraum vor der Südkurve der Arena versammelt, um Fußball zu spielen und sich auszutoben. Lahms Sprössling ist dafür noch zu klein, zu schmächtig. Er wäre von den Söhnen Robbens, Ribérys und Alonsos überrannt worden.

Sie konnten nicht leugnen, dass sie die Kinder prominenter Fußballer sind, der junge Ribéry trickste und dribbelte wie sein Vater, der junge Robben führte den Ball so eng am linken Fuß, als wäre er als sechster Zeh angewachsen. Bloß der junge Alonso tanzte irgendwie aus der Reihe, er stand im Tor und wehrte die Bälle ab.

Philipp Lahm schaute sich das Treiben eine Weile an, bevor er seinen Sohn auf den Arm nahm und ihn hinüber zur Seitenlinie trug, wo die Ehefrau auf die beiden wartete. Gemeinsam ließen sich alle drei ablichten von den Fotografen. "Das ist heute sehr emotional und geht einem schon nahe", gab Lahm zu, als er in die Mikrofone sprach und immer wieder abrupt unterbrochen wurde, weil Teamkollegen Biergläser über seinem Haupt ausschütteten.

"Es war mein Leben, hier auf dem Platz zu stehen"

Lahm ist ein zu rationaler Mensch, um von den Gefühlen komplett übermannt zu werden, Tränen rannen ihm am Tag des Abschieds keine über die Wangen. Doch vor seinem 385. und letzten Bundesligaspiel wirkten seine Augen schon ein wenig feuchter als üblich. Als Lahm nach einer kurzen Ehrung ins Publikum winkte, war er froh, dass er seinem Sohn über den Kopf streicheln konnte und so ein bisschen Halt fand in einer für ihn unangenehmen, etwas unkontrollierbaren Situation.

Er steht nicht so gerne allein im Mittelpunkt, Lahm hat es am liebsten, wenn er weiß, was auf ihn zukommt. Wie auf dem Rasen, wo er viele Szenen schneller erfassen und vorausahnen kann als die meisten Fußballer. "Ich habe hier so viel erlebt", sagte Lahm später, "es war mein Leben, hier auf dem Platz zu stehen. Und nun war es heute das letzte Mal."

Mit elf Jahren war Lahm vom FT Gern zum FC Bayern gewechselt. Zwei deutsche Meistertitel holte er mit den A-Junioren, ehe er über Stuttgart zu den Profis des FC Bayern aufstieg und alle Titel gewann, die der europäische Klubfußball für einen Fußballer bereitstellen kann. Plus der Sieg bei der Weltmeisterschaft 2014 natürlich. Lahm hat es als Außenverteidiger geschafft, den Blick auf den deutschen Fußball weltweit zu verändern. Kicker Made in Germany waren nicht länger nur kämpfende Teutonen, sondern Fußballer, die plötzlich auch taktische Raffinesse, Technik und Spielfreude vereinten.

Lahm war kein Fußballgott wie Schweinsteiger

Das letzte Mal bot für Lahm auch tragisch-komische Momente. Nicht fußballerisch, obwohl er nach 1:47 Minuten schon den Ball verlor, sondern menschlich. Thomas Müller musste bei der Auswechslung Lahms die Zuschauer mit wilden Armbewegungen dazu animieren, doch bitteschön lauter zu klatschen und zu schreien. Es war eher freundlicher, zurückhaltender Applaus, der Lahm auf seinen letzten Metern begleitete. Müller hatte ein besonderes Gespür für den Moment.

Lahm war nie einer, den sie in der Arena geliebt haben, kein Fußballgott wie Luca Toni oder Bastian Schweinsteiger, sondern ein unnahbarer Stratege, der konsequent und ohne großen Brüche seine Karriere vorantrieb. "Es war ein schöner, aber auch ein trauriger Tag", bekannte Müller hinterher, "weil zwei Größen des europäischen Fußballs zum letzten Mal die Schuhe geschnürt haben." Lahm und Alonso.

Als Letzter kam Philipp Lahm dann aus der Kabine, ein letztes Selfie noch, dann verschwand er wortlos im Mannschaftsbus, der die Bayern-Profis in die Innenstadt brachte. Auf dem Marienplatz präsentierten sie vom Rathausbalkon aus den Fans noch einmal die Meisterschale. Wieder ein letztes Mal für Lahm. "Ich habe ja auch mal aufgehört, Fußball zu spielen", tröstete ihn Karl-Heinz Rummenigge am Ende. Der Klubchef machte eine Kunstpause, um die Worte wirken zu lassen. Erst dann fuhr er mit einem Lächeln fort: "Die ersten drei Monate sind super. Nach sechs Monaten beginnt man sich zu langweilen. Und nach acht Monaten überlegt man, was man tun kann."

Philipp Lahm weiß zumindest, was er am Montag macht. Er gibt morgens seinen Sohn im Kindergarten ab, ehe er zum Klubgelände an die Säbener Straße fährt, um sich dort von allen zu verabschieden. Lahm sagte überraschend ergriffen: "Dass man Ziele verfolgt mit den Fans und mit allen Mitarbeitern - das werde ich später am meisten vermissen."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: