Pfiffe in Gladbach:"Das ist eine bodenlose Frechheit, das ist pervers"

Borussia Moenchengladbach v Hamburger SV - Bundesliga

Bei Borussia Mönchengladbach gibt es trotz des Siegs gegen den Hamburger SV Unmut bei den Fans.

(Foto: Dean Mouhtaropoulos/Bongarts/Getty Images)

Von Ulrich Hartmann, Mönchengladbach

Es ist 13 Monate her, dass der Mönchengladbacher Sportdirektor Max Eberl über die eigenen pfeifenden Fans gesagt hat: "Das sind dumme Menschen." Damals hatte die Borussia, noch unter dem Trainer André Schubert, in der Champions League 1:1 gegen Manchester City gespielt, und etliche Anhänger hatten während des Spiels gepfiffen.

Am Freitagabend, nach einem 3:1-Sieg gegen den Hamburger SV und ausgangs einer mit 28 Punkten beendeten Bundesliga-Hinrunde, schien Eberl noch einmal seine Wutrede von damals aufzuführen - wegen des großen Erfolgs. Es gab deutliche Parallelen. Auch diesmal hatte es Pfiffe gegeben in einer mauen Spielphase, und auch diesmal regte sich Eberl nach dem Schlusspfiff extrem auf. "Ich habe damals ein Wort benutzt, das könnte ich heute auch wieder sagen." Er vermied eine neuerliche direkte Beleidigung der Fans. Stattdessen sagte er über die Pfiffe: "Das ist eine bodenlose Frechheit, das geht mir auf den Sack, das ist pervers."

Ende November hat Gladbach gegen den FC Bayern gewonnen, danach erwarteten alle, dass man sich in der Champions-League-Zone festsetzt. Doch die Mannschaft pflegte statt eines erfolgreichen Fußballs nur ihre Inkonstanz und holte aus den nächsten drei Spielen lediglich einen Punkt. Gegen den HSV schien es trotz einer frühen 1:0-Führung nach dem 1:1-Ausgleich wieder schief zu gehen. "In dieser Phase hätte das Spiel zu unserer Seite kippen müssen", fand Hamburgs Trainer Markus Gisdol. "Ich weiß nicht, warum wir zwischendurch so passiv sind", klagte Gladbachs Trainer Dieter Hecking. Es war die Phase, in der einige Zuschauer pfiffen.

Eberl nimmt Talente in Schutz

Das regte den Sportchef Eberl auf. "Ich habe hier aus voller Überzeugung einen Vertrag verlängert", sagte er und erinnerte damit an seinen Flirt mit dem FC Bayern München vor einem Jahr. Damals wie heute sagte er über lautstarke, unzufriedene Fans: "Sollen sie doch zu Bayern München gehen - hier spielen wir mit zwei 18-Jährigen im Mittelfeld, und die werden ausgepfiffen, wenn sie mal den Ball zurückspielen."

Hecking hatte sich angesichts des Ausfalls seines zentral-defensiven Mittelfeld-Duos Christoph Kramer und Denis Zakaria dazu entschieden, seine erfahrene Innenverteidigung aus Matthias Ginter und Jannik Vestergaard nicht zu sprengen und stattdessen die beiden in der Bundesliga noch recht unerfahrenen Mickael Cuisance und Reece Oxford als Doppel-Sechs vor die Abwehr zu beordern. "Und sie haben es sensationell gemacht", lobte Hecking. "Ich wundere mich manchmal, was man von uns erwartet", sagte der Trainer, auch er fand die Pfiffe "zumindest in diesem Spiel nicht angebracht".

Eberl zieht den Zorn der Fans mit Kalkül auf sich

Eberl appellierte wie schon vor einem Jahr an das Gladbacher Zusammengehörigkeitsgefühl. "Wenn wir sogar in einem guten Spiel ausgepfiffen werden, das wir auch noch 3:1 gewinnen, dann ist das nicht mehr die Borussia, wie ich sie kenne", sagte er. Er befürchtet: "Eine übertriebene Erwartungshaltung kann einen Verein auch erschlagen."

Der HSV überwintert am Abgrund

Den Zorn einiger Zuschauer mit einer Wutrede auf sich zu ziehen, ist bei Eberl auch ein bisschen Kalkül. Er will die Spieler schützen. "Jetzt werde ich wieder böse Briefe bekommen", sagt er, "aber ich werde nicht klein beigeben und auch nicht den Mund halten - sollen die Kritiker doch zu mir kommen und sagen: 'Ey, Eberl, scheiß Einkaufspolitik' - ich stehe bereit, aber zu mir kommt ja keiner." Am Ende waren alle wieder halbwegs beruhigt, weil Raffael noch zwei Tore zum Sieg schoss.

Ruhiger als im Gladbacher Kabinengang ging es bei den Hamburgern zu, dabei hätten die wahrlich Grund zur Panik gehabt. "Das Spiel war ein Spiegelbild der ganzen Hinrunde", klagte Gisdol, "wieder steht man mit leeren Händen da und wieder haben uns individuelle Fehler die Punkte gekostet." Sportchef Jens Todt schlug in dieselbe Kerbe. "Es war mal wieder unsere eigene Schuld, das tut richtig weh, weil hier etwas drin war - aber auf lange Strecke ist das kein Zufall." Der HSV steht erstmals seit der Saison 2006/07 zur Winterpause auf einem Abstiegsplatz.

Und so waren nach diesem Hinrunden-Abschluss irgendwie alle Beteiligten unzufrieden, die einen, weil sie schon wieder verloren haben und am Abgrund überwintern - und die anderen, weil sie ihren Sieg nicht genug gewürdigt sahen.

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