Pferdesport:Weihegolds Würdigung

Die deutschen Dressurreiter werden in Göteborg Team-Europameister, und sogar die bereits hoch dekorierte Isabell Werth, 48, erlebt eine Premiere im Geviert.

Von Gabriele Pochhammer, Göteborg

Es muss zehn Jahre her sein, da stand der zwölfjährige Sönke Rothenberger am Dressurviereck eines großen Turniers und schaute einem Ritt von Isabell Werth zu. "Ich habe mit den Augen gestohlen", sagte der 22-Jährige nun bei der Europameisterschaft in Göteborg, er wollte damit sagen: Er hat vom Zusehen gelernt. Und zwar so viel, dass er nach dem souveränen EM-Sieg der deutschen Dressurmannschaft nun neben seinem Vorbild auf dem obersten Treppchen stand: ein schlaksiger junger Mann, der seine drei Mitstreiterinnen Isabell Werth, Helen Langehanenberg und Dorothee Schneider um Haupteslänge überragte.

Es war der 23. Sieg eines deutschen Teams bei Europameisterschaften. Fünfzehn Mal war Isabell Werth dabei. Geändert hat sich seit ihrem ersten Auftritt bei der EM in Monheim 1989 nicht viel: "Nur dass ich älter geworden bin", sagt sie lachend. Damals war sie das Küken, heute ist sie die Ikone, ohne die nichts läuft.

Als letzte Reiterin des Tages präsentierte Werth die zwölfjährige Oldenburger Stute Weihegold in gewohnter Brillanz. Die Stärken des Pferdes in den schweren Lektionen wie Piaffe, Passage und Galopp-Pirouetten, die freundliche Kooperationsbereitschaft, die jeder Zuschauer spürt, sorgten für Höchstnoten. Mit 83,743 Prozent überschritt Werth als einzige Reiterin die 80-Prozent-Marke, gefolgt von Sönke Rothenberger auf Cosmo (78,343). Nur die Dänin Catherine Dufour konnte sich mit dem hübschen Cassidy noch vor Helen Langehanenberg auf Damsey (74,986) auf Platz drei schieben (78,000) - und damit den Dänen zur Silbermedaille verhelfen. Dorothee Schneider auf dem relativ unerfahrenen Sammy Davies Junior wurde Sechste (74,586). Bronze ging nach Schweden. Für die Mannschaftswertung zählen die drei besten von vier Reitern.

Longines FEI European Championships in Gothenburg

Elegant wie immer: Isabell Werth überzeugt mit Weihegold unter anderem auch mit einwandfreien Piaffen und Passagen.

(Foto: Pontus Lundahl/Reuters)

Zum Schluss, bei ihrem Ritt zu leiser Musik, erlebte Isabell Werth sogar noch einmal eine Premiere: Sie war bereits Europameisterin, dank der Mitstreiter lag das Team uneinholbar vorn. Alles gelang, auch die fliegenden Galoppwechsel, bei denen sich Pferd und Reiterin schon mal verheddern. Als Werth in erhabener Passage auf die Schlusslinie abwendete - sie ist überzeugt, dass sich auch Weihegold immer auf diese letzte Linie freut - begannen erst zaghaft die dänischen Reiter auf der Tribüne rhythmisch zu klatschen. Der Beifall wurde lauter und erfasste schließlich alle 7 000 Zuschauer. Das habe sie noch nie erlebt, sagte Werth. Normalerweise wird von Dressurzuschauern erwartet, dass sie keinen Mucks von sich geben, weil schon ein unbotmäßiges Räuspern die Nerven der sensiblen Rösser auf die Probe stellt. Aber Weihegold blieb konzentriert bis zum letzten Moment. "Mein Pferd ist in sehr guter Form", sagte Isabell Werth lobend. "Aber heute ist heute, und morgen ist ein anderer Tag. Ich hoffe, dass die Form bis zum Ende der Woche anhält." Sie bleibt Realistin - denn an diesem Freitag geht sie als Favoritin in die erste Einzelentscheidung, den Grand Prix Special; und am Samstag dann in die Kür, wo der zweite Einzeltitel vergeben wird. Dort sind nur noch drei Reiter pro Nation startberechtigt. Die deutschen Mannschaftseuropameister werden also über Nacht wieder vor allem zu Konkurrenten. "Natürlich will jeder gewinnen", sagt Sönke Rothenberger, "aber deswegen sind wir ja keine Feinde."

Die Stärke der Deutschen ist auch die Schwäche der anderen. Konkurrenz ist kaum in Sicht

Das war auch schon mal anders in diesem Sport, in dem Menschen Noten vergeben. Inzwischen sind es sieben Unparteiische rund ums Viereck. Drei weitere Richter überwachen die Arbeit der Jury und können notfalls Noten korrigieren. Diskutiert wurde zum Beispiel, ob die deutsche Chefrichterin Evi Eisenhardt recht daran getan hat, das Schweizer Pferd Darko of de Niro von Charlotte Lenherr wegen Bluts im Maul zu disqualifizieren.

Es wird in Göteborg nicht bei der Mannschaftsmedaille bleiben. Die Stärke der Deutschen liegt auch in der Schwäche der anderen. "Einige unserer Konkurrenten hatten nicht ihren besten Tag", erklärte Isabell Werth. Das ist wohl untertrieben, denn es scheint mitunter, als seien den Deutschen die Gegner abhanden gekommen. Das Dressurpferd Valegro, zweifacher Olympiasieger, ist im aktiven Ruhestand, manchmal gibt es Bilder im Internet, auf denen er über kleine Hindernisse hoppelt, zum Spaß. Ein gleichwertiger Ersatz für seine britische Reiterin Charlotte Dujardin ist nicht in Sicht. Der exzentrische Rapphengst Totilas, der die Massen faszinierte, ist damit beschäftigt, Fohlen zu produzieren. Rund 150 Pferdedamen werden ihm jedes Jahr zugeführt, sagt Mitbesitzer Paul Schockemöhle. Edward Gal, Totilas Reiter, mühte sich in Göteborg mehr schlecht als recht auf Voice durchs Programm; die Holländer, die 2007 die mehr als 30-jährige Siegesserie der Deutschen unterbrochen hatten, wurden nur Fünfte.

Team-Europameister in der Dressur seit 2001

Jahr Gold Silber Bronze

2001 Deutschland Niederlande Dänemark

2003 Deutschland Spanien Großbritannien

2005 Deutschland Niederlande Spanien

2007 Niederlande Deutschland Schweden

2009 Niederlande Großbritannien Deutschland

2011 Großbritannien Deutschland Niederlande

2013 Deutschland Niederlande Gr'britannien

2015 Niederlande Großbritannien Deutschland

2017 Deutschland Dänemark Schweden

Isabell Werth bleibt indes wie immer auf dem Boden: "Wir sind nicht unschlagbar. Wir müssen versuchen, unser Niveau zu halten", sagte sie. "Irgendwann kommt der Tag, an dem wir geschlagen werden. Aber hoffentlich nicht an diesem Wochenende."

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