Peru bei der Fußball-WM:Böller vor dem Mannschaftshotel

Peru bei der Fußball-WM: Der Held in der Mitte: Jafferson Farfán feiert mit Raul Ruidiaz (links) und Christian Cueva.

Der Held in der Mitte: Jafferson Farfán feiert mit Raul Ruidiaz (links) und Christian Cueva.

(Foto: AFP)
  • Durch das 2:0 im Playoff-Rückspiel gegen Neuseeland qualifiziert sich Peru als letztes Team für die Fußball-WM.
  • Vor der Partie war den Peruanern jedes Mittel recht: Die Nachtruhe der Neuseeländer wurde gestört, auch Schamanen kamen zum Einsatz.

Von Javier Cáceres

Jefferson Farfán hatte schon nach knapp einer halben Stunde die Gewissheit, dass es diesmal reichen würde. Soeben hatte er im Nationalstadion zu Lima, im letzten Spiel der Qualifikation für die Fußball-WM 2018 in Russland, das 1:0 für Peru gegen Neuseeland erzielt, und er feierte, als wäre die Partie bereits vorbei.

Der ehemalige Stürmer des FC Schalke 04, der nun bei Lokomotive Moskau in Russland sein Geld verdient, ließ sich am Spielfeldrand ein Trikot mit der Rückennummer 9 reichen, die in Peru seinem gesperrten Freund Paolo Guerrero gehört, breitete es aus, küsste es, schluchzte erkennbar, vergrub sein Gesicht darin, kniete nieder. Später, als die Partie wirklich vorüber und Neuseeland (dank eines weiteren Tores von Christian Ramos/64. Minute) mit 2:0 besiegt worden war, verfolgten ihn die Radio- und TV-Reporter auf dem Platz.

Erste WM seit 36 Jahren

"Das war für dich, Kumpel, mit Liebe und Zuneigung!", rief Farfán in die Mikrofone, als ihn die Reporter nach Guerrero fragten. Dann dankte er noch seiner Mutter sowie einem früheren Trainer, der aus dem Himmel seine schützende Hand über ihn gehalten habe, und weinte wieder, oder immer noch, wer weiß das schon so genau. Sicher war nur der Grund: Peru wird in Russland wieder bei einer WM dabei sein, zum ersten Mal nach 36 Jahren, zum ersten Mal seit den glorreichen Tagen von Chumpitaz, Oblitas und Cubillas.

Hinter Farfán lag eine Playoff-Runde gegen den Ozeanienvertreter Neuseeland, die für Peru, den Tabellen-Fünften der mörderischen Südamerikagruppe, zu einer nationalen Angelegenheit geworden war. Es gab kein Mittel, das den Peruanern nicht recht gewesen wäre. Vor allem vor dem Rückspiel (Hinspiel: 0:0). Die Fluglotsen in Lima verwehrten der Maschine der Neuseeländer den direkten Anflug auf die peruanische Hauptstadt, sie musste nach einem planmäßigen Stop in Buenos Aires noch im nordchilenischen Iquique zwischenlanden, zur Verblüffung von Neuseeland-Coach Anthony Hudson.

"Als wir ins Flugzeug stiegen, fragte ich die Stewardess, wie lange es noch bis Peru wäre, und sie sagte: 'Wir fliegen nicht nach Peru, wir fliegen nach Chile!'" Als sie dann doch in Peru gelandet waren, setzte der Fahrer der "Kiwis" den Mannschaftsbus gegen die Stadioneinfahrt (wobei niemand verletzt wurde), während Schamanen auf dem Mannschaftsfoto der Neuseeländer herumtrampelten. Am Abend vor dem Spiel wurden vor dem "Kiwi"-Hotel so viele Böller verschossen, dass die Jetlag-geplagten Neuseeländer laut Trainer Hudson schlechter schliefen als Vampire.

Auch an anderer Stelle machten die Peruaner generalmobil. Staatspräsident Pedro Pablo Kuczynski suchte das Team im Mannschaftsquartier auf, die Luftwaffe überflog das Stadion mit Nationalfahnen im Schlepptau, ein Infanterieregiment tauschte das Olivgrün gegen das legendäre weiße Trikot mit der rotschwarzen Schärpe aus. Auf dem Rasen hatten die Neuseeländer dann nicht genug entgegenzusetzen, so dass nach dem Abpfiff die hochprozentigen peruanischen Pisco-Bestände vernichtet wurden. Das war insofern nicht weiter dramatisch, als das Arbeitsministerium in weiser Voraussicht den Donnerstag für den Fall einer WM-Qualifikation zum Feiertag erklärt hatte.

"Ich habe ein geeintes Peru gesehen", sagte denn auch Ricardo "El Tigre" Gareca, der argentinische Trainer, der mit seinem Team ein geflügeltes Wort zertrümmern half, das auf der peruanischen Seele lastete wie ein Fluch. "Wann genau hatte sich Peru in die Scheiße gesetzt?", lautet jener Satz, den der peruanische Literaturnobelpreisträger Mario Vargas Llosa 1969 in seinen Roman "Gespräch in der Kathedrale" gegossen hatte, und der für den Fußball nun vorerst nicht mehr gilt.

Darf Guerrero an der WM teilnehmen oder nicht?

Der Schlüssel war dazu auch eine Kontinuität, die vielen anderen Nationalmannschaften der Südamerika-Gruppe abging. Zum Beispiel dem Copa-América-Sieger Chile, der sich nicht für die WM qualifizieren konnte. "Wir wussten, was wir auf dem Rasen wollten", sagte Gareca, der Peru 2015 übernommen hatte und schon bei der damaligen Copa América aufhorchen ließ, mit gefälligem, taktisch diszipliniertem, offensivem Spiel. Das Gerüst seines Teams stand auch jetzt stabil - trotz des Schocks, den vor wenigen Tagen die vorerst dreißigtägige Sperre Guerreros auslöste.

Guerrero, einst beim Hamburger SV und dem FC Bayern, nunmehr bei Flamengo Rio de Janeiro aktiv, war am vorletzten Spieltag der Südamerikagruppe beim Dopingtest aufgefallen. Im Organismus des Mittelstürmers und Kapitäns der Peruaner war nach der Partie in Argentinien Benzoilecgonin nachgewiesen worden - ein Kokain-Metabolit. Brasilianischen Medien zufolge hat Guerrero eine Haarprobe abgegeben, das Resultat beweist angeblich, dass er nicht gekokst habe. Als Erklärung für den positiven Test gilt nun, dass er ein verunreinigtes Nahrungsergänzungsmittel zu sich genommen haben soll. Ende November muss der Weltverband Fifa in Zürich entscheiden, ob Guerrero an der WM teilnehmen darf. Er selbst beteuert seine Unschuld.

Auf einen Einsatz ihres Kapitäns hoffen die Peruaner inständig, "er ist unser Kapitän, ein Emblem, ein Idol", sagte Trainer Gareca, der trotz Guerreros Sperre auf den immer wieder um eine Bewerbung bittenden Neu-Kölner Claudio Pizarro, 39, verzichtete. Vor allem Farfán, genannt "La Foquita" (das Seehündchen), hätte Guerrero gern wieder dabei, er ist mit Guerrero erst auf die selbe Schule und dann zur Fußball-Akademie des Spitzenklubs Alianza Lima gegangen. Und es wird Farfán nicht trösten, dass eine peruanische TV-Moderatorin, die zu 100 Prozent dem eurozentrischen Schönheitsideal entspricht, nun das Gelübde einlösen muss, Farfán mit Küssen zu furnieren. Denn Peru ist zum fünften Mal nach 1930, 1970, 1978 und 1982 bei einer WM dabei.

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