Per Mertesacker beim FC Arsenal:Erste Hymnen auf den Liegestuhl

Nach Startschwierigkeiten erkämpft sich Per Mertesacker Spiel für Spiel mehr Respekt bei den Fans des FC Arsenal. Sein Coach attestierte ihm bereits die "steilste Lernkurve aller Neuverpflichtungen" und die Anhänger stimmen Fangesänge für ihn an - auf typisch britische Weise.

Raphael Honigstein, London

Das Resultat fiel dürftig aus, doch Per Mertesacker ist besser gelaunt, als es das 1:1 gegen die Abstiegskandidaten aus Wolverhampton vermuten lässt. Nach knapp der Hälfte seiner ersten Saison auf der Insel steht dem 27-Jährigen die Genugtuung ins Gesicht geschrieben; so sehr, dass man für einen Moment nicht weiß, wer sich mehr freut, jetzt im knallrot angemalten Empfangsraum vor der Spielerkabine zu stehen: die wenigen ausgewählten Fans, die ihre Helden devot nach Autogrammen fragen dürfen, oder Mertesacker, für den die Auftritte in der Arena des FC Arsenal noch nicht zur Routine geworden sind. "Es ist immer wieder ein Genuss, dabei zu sein", sagt er.

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Nicht viel hat gefehlt, und Per Mertesacker (links) hätte seine stetig steigende Formkurve beim FC Arsenal mit einem Kopfballtreffer gekrönt.

(Foto: AFP)

Der 79-malige deutsche Nationalspieler stand soeben noch in einem Pulk mit Reportern Rede und Antwort. "Auch das ist eine Herausforderung", sagt er mit übertriebener Bescheidenheit, tatsächlich ist sein Englisch sehr präzise. Dass sich die Reporter für seine Meinung interessieren, ist ein Indiz dafür, dass er mittlerweile zu den wichtigen Arsenal-Spielern gezählt wird. Die entscheidende Bestätigung seines neuen Status aber war während der ersten Hälfte gekommen - von den Rängen. "Big fucking German, we have a big fucking German!", intonierten Tausende herzhaft. Eine echte Liebesbekundung, auf Britisch.

In Internetforen war Anfang Dezember noch debattiert worden, ob der von Werder Bremen verpflichtete Innenverteidiger überhaupt schon seinen eigenen chant (Fangesang) verdient hätte, er habe "noch nicht genug gemacht", befand ein Anhänger.

Alle Zweifler hat er auch noch nicht überzeugen können, dafür war die ursprüngliche Skepsis an der Themse einfach zu groß. Als sich Trainer Arsène Wenger am Tag nach dem verheerenden 2:8 gegen Manchester United am 28. August entschloss, seine konfuse Abwehr mit Mertesacker zu verstärken, waren die Reaktionen höflich unterkühlt ausgefallen.

Die Basis hatte sich einen lauten "Blut und Schweiß"-Kämpfer wie den ehemaligen Kapitän Tony Adams gewünscht - mit dem Namen des gebürtigen Hannoveraners konnten viele nichts anfangen. "Ich halte gar nichts von Mertesacker", mokierte sich der ehemalige Erstligaprofi und BBC-Radio- Experte Robbie Savage, "er hat bei Real Madrid nicht überzeugt."

Und selbst bei weniger ignoranten Beobachtern, die ihn nicht mit dem einst in Spanien und heute für Schalke verteidigenden Christoph Metzelder verwechselten, stand Mertesacker unter Verdacht, zu leise und vor allem zu langsam für die naturgemäß hoch aufrückende Verteidigungslinie der Gunners zu sein.

Arsenal stabilisierte sich nach seiner Ankunft, aber für Mertesacker war die schnellere, körperlich und geistig anstrengendere Premier League zunächst ein kleiner Kulturschock. "Technisch ist das Niveau mit der Bundesliga vergleichbar, aber die Wege, die man in Deutschland gesehen hat, muss man hier anders berechnen", erklärt er. Viele Gegner seien entweder "enorm schnell" oder vom "Typ Bulle" - man könne da "nicht so einfach gegenlaufen".

Steilste Lernkurve aller Neuverpflichtungen

Mertesacker ließ sich zwei, drei Mal gravierend überlisten, und das harsche Boulevard-Echo blieb nicht aus. "Die Grazilität eines kaputten Liegestuhls", attestierte ihm die Daily Mail nach einem von ihm verschuldeten Gegentreffer (2:1-Sieg über Norwich) im November, während der Mirror sich durch ihn an die jüngst beim FC Arsenal aufgestellten Bronzestatuen von Adams, Herbert Chapman und Thierry Henry erinnert fühlte. "Von allen Neuverpflichtungen war seine Lernkurve am steilsten", umschrieb nun das Stadionheft zum Wolverhampton-Spiel Mertesackers anfänglichen Schwierigkeiten bemüht diplomatisch.

Und selbst sein niederländischer Teamkollege Robin van Persie neckte ihn: "Ich hoffe, dass wir uns im Sommer (auf dem Platz) sehen", sagte der Arsenal-Kapitän nach der Auslosung der schweren EM-Gruppe, in der Deutsche, Niederländer, Dänen und Portugiesen zusammengeführt wurden.

Wenger, die nicht nur aufgrund seiner guten Deutschkenntnisse wichtigste Bezugsperson im Verein, behielt jedoch die Geduld mit seinem 9,6 Millionen-Euro-Einkauf. Der 1,91 Meter lange Elsässer hatte für Mertesacker mit einem Vorsatz gebrochen, da er einst erklärt hatte, er werde niemals einen Profi verpflichten, der länger sei als er selbst.

Der Wenger um sieben Zentimeter überragende Verteidiger überzeugte erstmals beim 3:1 gegen die Hoch-weit-Spezialisten von Stoke City und kam danach sukzessive besser zurecht. Gegen Wolverhampton hätte er fast seinen ersten Saisontreffer mit einem Kopfball erzielt, das hätte die Wandlung von der Enttäuschung zum Kulthelden in spe perfekt gemacht.

"s war ein Neuanfang, den ich sicher nicht für jeden Klub gemacht hätte", sagt er rückblickend, "aber man sieht, dass man mithalten kann und sich weiterentwickelt, auch als Person." Mit seiner jungen Familie hat er ein Haus im gutbürgerlichen Vorort Hampstead Garden Suburb bezogen, aber er hat sich fest vorgenommen, sich nicht in der grünen Idylle "einzugraben", sondern die Wesenszüge des Insel-Lebens zu genießen.

Es gibt diesbezüglich erste Teilerfolge: Bei einem fröhlichen Karaoke-Mannschaftsabend überzeugte er neulich laut Augenzeugen mit der Interpretation eines Rihanna-Songs. Mit der britischen Eigenart, Fußball zwischen den Jahren zu spielen, hat sich Mertesacker auch schnell arrangiert: "Die vielen Spiele schlauchen schon extrem, aber ich sammele diese Erfahrungswerte gerne", sagt er.

Neid auf seine derweil am Strand liegenden Ex-Kollegen aus Bremen komme keiner auf; er weiß um sein Glück. "Neujahr in London, ist doch auch schön!", sagt er.

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