Pechstein: Streit mit Verband:Blutdoping - Aussage gegen Aussage

Von wegen Kuhhandel: Der internationale Eislaufverband wehrt sich in der Blutdoping-Affäre gegen die Vorwürfe von Claudia Pechstein.

Thomas Hummel

Egal, ob Claudia Pechstein nun schuldig ist im Sinne der Dopingankläger oder nicht: Sie musste zu diesem Auftritt perfekt aussehen. Und das tat sie dann auch mit ihren blondierten Haaren, mit dem gerade noch dezenten Rouge auf den Wangen und den Lippen in Glitzer-Rosa.

Pechstein: Streit mit Verband: Als erste Sportlerin wurde Claudia Pechstein nicht aufgrund eines gefundenen unerlaubten Mittels in ihrem Körper gesperrt, sondern wegen abnormaler Werte und abnormaler Veränderungen in ihrem Blutbild.

Als erste Sportlerin wurde Claudia Pechstein nicht aufgrund eines gefundenen unerlaubten Mittels in ihrem Körper gesperrt, sondern wegen abnormaler Werte und abnormaler Veränderungen in ihrem Blutbild.

(Foto: Foto: ddp)

Einen Tag nach den öffentlich gewordenen Dopinganschuldigungen gegen die 37-jährige Eisschnellläuferin trat sie im Aktuellen Sportstudio des ZDF auf. Das perfekte Aussehen diente als Schutzschild gegen die Bedrohungen durch Fragen und Nachfragen.

Claudia Pechstein ist schnellstmöglich in die Offensive gegangen. Sie wollte ihre Ansicht der Dinge der deutschen Öffentlichkeit näherbringen, die sie so sehr verehrt hat, als große Dame des deutschen Wintersports. Die Sportlerin mit dem mädchenhaften, schmalen Lächeln gelang es, sportliche Erfolge (neun Medaillen bei Olympischen Spielen) und sympathisches Äußeres aufs Blendenste zu verbinden.

Eine Verbindung, die auch ein paar Euro durch Werbeverträge einbrachte. Doch Werbekunden mögen keine Dopingnachrichten.

Angesichts der Situation legte die Berlinerin einen charmanten, bisweilen souveränen Auftritt im Sportstudio hin. Schließlich berichten seit 24 Stunden alle Medien über den Fall der Eisschnelllaufkönigin. Die sportliche Karriere, die Laufbahn als Werbeträgerin, das alles scheint dahin, sogar der berufliche Werdegang ist gefährdet. "Für mich steht zu viel auf dem Spiel", gab Pechstein zu, als Beamtin auf Lebenszeit bei der Bundespolizei müsse sie mit dem Verlust ihrer Stellung rechnen.

Neben den persönlichen Problemen der Athletin wurde im ZDF indes nochmals die Komplexität ihres Falls deutlich. Eines Falls, den es so im Sport noch nie gab. Und Doping-Interessierte müssen einen neuen Begriff lernen: Retikulozyten - junge, rote Blutkörperchen.

Als erste Sportlerin wurde Claudia Pechstein nicht aufgrund eines gefundenen unerlaubten Mittels in ihrem Körper gesperrt, sondern wegen abnormaler Werte und abnormaler Veränderungen in ihrem Blutbild. Offenbar war die Internationale Eislaufunion ISU der Spitzensportlerin Pechstein schon länger auf der Spur, während der Mehrkampf-WM in Norwegen im Februar ging sie dann in die Offensive. Der Retikulozytenwert bei der Berlinerin muss sehr hoch gewesen sein.

Eine sehr hohe Anzahl junger, roter Blutkörperchen, vor allem die Steigerung dieser Anzahl in einem Körper, lässt auf Blutdoping schließen und ist seit kurzen von der Internationalen Anti-Dopingagentur Wada als Grund für eine Sperre zugelassen. Das folgende Schauspiel um Claudia Pechstein lässt aber auch in die Hinterzimmer der Verbände blicken, wo mit Dopingverdächtigungen offenbar oft gerne ein Kuhhandel getrieben wird. Pechstein nannte das Vorgehen der ISU jedenfalls so: "Kuhhandel".

In Norwegen schlug der internationale Verband seiner renommierten Läuferin vor, doch besser eine Krankheit vorzutäuschen und abzureisen. Sonst würde man den erhöhten Wert öffentlich machen und eine Schutzsperre von ein paar Tagen beantragen. Pechstein erzählte nun, sie sei völlig vor den Kopf gestoßen gewesen und hätte schnell eingewilligt. "Aber ich wusste gar nicht, was dahinter steckt. Ich bin in Tränen ausgebrochen und habe gezittert."

Daraufhin schritt ihr damaliger Trainer Peter Mueller vor die Kamera und erzählte etwas von hohem Fieber, das seine Athletin zur Aufgabe zwinge.

Im Aktuellen Sportstudio behauptete Gerd Heinze, Präsident der Deutschen Eisschnelllaufgemeinschaft (DESG), dass die ISU später ein weiteres Angebot machte. Sollte Pechstein ihre Karriere beenden, werde man den Befund unter den Tisch fallen lassen. Heinze sah es allerdings nicht für nötig an, Pechstein darüber zu informieren.

Die Athletin nannte "den zweiten Kuhhandel" im Sportstudio nun "den absoluten Hammer". Sie wolle in Vancouver im kommenden Jahr noch einmal eine Olympiamedaille gewinnen. "Und jetzt erst recht."

Nachdem also die deutsche Seite nicht auf die Geschäftsvorschläge der ISU einging, wählte diese nun den Gang an die Öffentlichkeit. Und geht dabei selbst ein hohes Risiko ein: Denn die ausgesprochene, zweijährige Sperre beruht allein auf Indizien im Blutbild der Berlinerin. Deren Anwalt Simon Bergmann hat bereits Klage eingereicht beim Internationalen Sportgerichtshof Cas. Dort wird nun ein Grundsatzurteil erwartet.

Aus Sicht des Eisschnelllauf-Weltverband ISU stellt sich der gesamte Vorgang etwas anders dar. Die ISU wehrt sich gegen die Vorwürfe, einen "Kuhhandel" angeboten zu haben. "Wir haben DESG-Teamleiter Helge Jasch erklärt, dass wir abweichende Blutwerte festgestellt hätten, die möglich im Gegensatz zum Antidopingkode stehen. Die Ursachen seien Krankheit oder Manipulation. Wir haben kein Startverbot ausgesprochen und auch keinen Rat gegeben, was die DESG und Claudia tun sollten", sagte Professor Harm Kuipers (Niederlande), zuständiger ISU-Arzt bei der Mehrkampf-WM in Hamar.

Auch von dem zweiten "Kuhhandel", den Fall komplett zu vertuschen, sollte Pechstein ihre Karriere sofort beenden, will die ISU nichts wissen. "Das höre ich heute zum ersten Mal", sagte Kuipers. Gerhard Zimmermann, ISU-Vizepräsident und bis vor vier Jahren DESG-Präsident, räumte jedoch ein, dass es "unter den Juristen" durch ISU-Chefankläger Gerhardt Bubnik (Tschechien) "einen entsprechenden Vorschlag gegeben haben könnte". Bis ins ISU-Präsidium sei dieser aber nicht vorgedrungen: "Wir waren da außen vor. Die Disziplinarkommission ist zuständig."

Das Aktuelle Sportstudio mit ZDF-Moderator Michael Steinbrecher, der ohnehin nicht wegen hartnäckigen Nachbohrungen bekannt ist und seine Gäste lieber mit guter Laune und Küsschen verabschiedet, hätte beinahe als einzige Fürsprache für die gut aussehende, mädchenhaft lächelnde Sportlerin und gegen den bösen Internationalen Eislaufverband gewertet werden müssen.

Wenn da nicht Fritz Sörgel gewesen wäre, Professor der Pharmakologie und Dopingexperte aus Nürnberg. Sörgel entschuldigte sich bereits vor seinen Ausführungen bei der offenbar auch ihm sympathischen Pechstein.

Doch seine Ausführungen waren deutlich: Der festgestellte Wert bei der 37-Jährigen sei derart hoch gewesen, dass es dafür kein natürliches, nicht einmal ein genetisches Argument geben könne. Solche Begründungsversuche würde "alle im Sand verlaufen", prophezeite Sörgel. Dennoch sei es für ihn nun spannend zu beobachten, wie sich dieser bislang einmalige Fall entwickle, "auch wenn das für sie natürlich nicht so schön ist", bemerkte der Professor in Richtung Pechstein.

Das hörte sich nicht gut an für die erfolgreichste deutsche Winter-Olympionikin aller Zeiten. Auch wenn sie selbst auf diese Worte mit ihrem mädchenhaften Lächeln antwortete. Ihr Aussehen war immer noch perfekt.

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