Parmas Stürmer Antonio Cassano:Der Straßenköter geht bellend vom Hof

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Und wenn's vorbei ist mit der Karriere, na und? Antonio Cassano, 32, hat jetzt den FC Parma verlassen, wie es seine Art ist: mit einem lauten Knall.

(Foto: Hochzwei/imago)

Kindskopf, Aufschneider, Frauenheld: Italiens umtriebiger Nationalspieler Antonio Cassano will mit den Leuten, die seinen FC Parma ruinieren, nichts mehr zu tun haben und schmeißt hin. Wie es so seine Art ist: mit einem lauten Knall.

Von Birgit Schönau, Rom

Er ist der Bad Boy des italienischen Fußballs, und sein schlechter Ruf reicht weit über die Landesgrenzen hinaus. Als "Straßenköter" sortierte ihn einst der Fernseh-Rassehund Reinhold Beckmann ein - das war 2012, als der Nationalspieler Antonio Cassano seinem damaligen Sturmkollegen Mario Balotelli bei einem Tor gegen die Deutschen assistiert hatte.

"Straßenköter", so ähnlich hatten sie Cassano in seiner Heimatstadt Bari auch genannt, wo er als uneheliches Kind seiner Mutter aufgewachsen war. Der verheiratete Vater hatte eine andere Familie, gut bürgerlich waren sie alle nicht. Ein Halbbruder: Anführer der "Porsche-Cayenne-Bande", benannt nach dem Gefährt, mit dem die Ganoven geklaute Geldautomaten abtransportierten. Die Mutter: als Hausmeisterin einer Schule verwickelt in eine üble Drogensache. "Wäre ich nicht Fußballer geworden, ich hätte wohl als Krimineller Karriere gemacht", hat Cassano mal in der ihm eigenen entwaffnenden Art gestanden.

Jetzt ist er 32 und schon seit 15 Jahren Profi. AS Bari, AS Rom, Real Madrid, Sampdoria Genua, AC Mailand, Inter Mailand, Parma. Stopp, Schluss, Aus, Ende. Vielleicht für immer.

Und doch hat Antonio Cassano soeben in Parma gezeigt, dass Straßenköter mehr Würde haben können als eine ganze Mannschaft reinrassiger Pinscher. Anstatt für ein paar Brosamen weiter das absurde Theater der Klubführung zu ertragen, ist Cassano türenknallend gegangen. Er löste seinen Vertrag auf, er verzichtete auf sein Geld, er hatte keine Lust mehr, das Hündchen für die Besänftigung des Publikums zu spielen: "Ich lasse mich nicht verschaukeln."

Mit einem Bruttogehalt von drei Millionen Euro war Cassano Parmas bestbezahlter Spieler, jedenfalls auf dem Papier. Denn seit Juli bekommen die Kicker des FC keinen Cent Gehalt mehr.

Der FC Parma ist faktisch pleite

Innerhalb von zwei Monaten wurde der Klub zweimal verkauft, in acht Wochen lösten sich fünf Präsidenten ab. Am Dienstag, um Mitternacht, verstrich auch die letzte Frist zur Zahlung der Gehälter. Nun ist der FC Parma faktisch pleite, mit 100 Millionen Euro Schulden und einem Präsidenten, dessen in Slowenien ansässiges "Dienstleistungsunternehmen" ein Stammkapital von 7500 Euro aufweist. "Das Geld ist unterwegs", beteuerte Giampietro Manenti noch am späten Montagabend. Auslandsüberweisungen dauerten halt ihre Zeit, Belege habe er leider keine. Die ersten Klub-Autos ließ der Staatsanwalt schon pfänden, und das Tabellenschlusslicht kassiert wohl weitere Strafpunkte.

Die Zweitklassigkeit ist eh schon besiegelt. Doch mit der Pleite kommt der Absturz in die Amateurliga, und es ist nicht unwahrscheinlich, dass Präsident Manenti genau darauf spekuliert: Für den symbolischen Preis von einem Euro einen Traditionsklub aus einer der reichsten italienischen Provinzstädte zu übernehmen, mit ihm hinabzusteigen ins Unterholz - und sich dann aufhelfen zu lassen.

Eine Rückkehr nach Bari wäre zu gefährlich

Parma ist ja schließlich nicht irgendwo, sondern eine europäische Marke für Essen, Oper und Lebensart. Nach der Milliardenpleite des Parmalat-Konzerns 2003 kommt jetzt für die immer noch propere ehemalige Herzogsresidenz der nächste Imageschaden. Für Manenti aber wird die Rechnung aufgehen. Entweder er verkauft den Pleiteklub, der als neugegründeter Amateurverein seiner Schulden ledig ist, einfach weiter. Mehr als einen Euro wird's schon bringen. Oder er bleibt und sucht sich Investoren.

Straßenköter haben bekanntlich eine feine Nase. Und Cassano hat das Schachern um den Klub beizeiten gestunken. Er bekam ein Angebot vom AS Bari, seinem alten Verein, der vor ein paar Monaten ebenfalls vor dem Konkurs gestanden hatte, dann aber von den eigenen Tifosi und dem Ex-Schiedsrichter Gianluca Paparesta gerettet worden war. Ein paar Tage dachte der Spieler über seine Rückkehr in die Heimatstadt nach, dann sagte er ab: "Mein Herz hängt an Bari. Aber auch an meiner Familie. Leider kann ich meiner Frau und meinen beiden kleinen Kindern in Bari kein ruhiges Leben garantieren."

Sie wären dauerbelagert von den Fans des "Fantantonio", der als Junge in die Welt hinauszog, sich dort mit Dutzenden von Kollegen und Trainern überwarf, bei Sampdoria Genua sogar öffentlich den Präsidenten zum Teufel schickte - und jetzt ganz plötzlich erwachsen geworden ist.

Und wenn's vorbei ist mit der Karriere, na und? Geld hat Cassano genug, Ruhm hat er sich auch erworben mit seinem Talent und seinen Aussetzern, für die das italienische Schmähwort "cazzate" (jugendfrei übersetzt: Eseleien) eigens in "cassanate" umbenannt wurde. "Cassanate" wie die Behauptung, über 600 Frauen erobert zu haben. Oder der Affront gegen Homosexuelle ("Tunten bei uns in der Nationalmannschaft? Ich hoffe nicht!").

Zuletzt musste er in Parma zehn Kilo abnehmen

Die Entschuldigungen kamen fast immer so prompt wie Cassanos Tore. 111 Erstligatreffer, Hunderte Zuspiele und Dribblings. Überragend war er selten, unterhaltsam immer. Ein fleischgewordenes Manifest gegen zu viel Disziplin im Leben und im Fußball - zuletzt musste er in Parma zehn Kilo abnehmen. Cassano, das Dickerchen. Schön war er nie, elegant noch viel weniger. Er spielte für Geld und für Spaß. Wenn beides nicht mehr kommt, dann heißt es Aufhören.

Spielertypen wie Antonio Cassano sind auch in Italien selten geworden. Der Fußball bietet kaum noch Möglichkeiten des sozialen Aufstiegs, die wenigen Talente suchen im Ausland ihr Glück. Und die Straßenköter sitzen inzwischen in den Vorständen.

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