Paralympics:Zu fein geknüpftes Doping-Netz

Around the Games - Olympics: Day 14

Der IPC-Präsident Philip Craven begrüßte den Cas-Spruch als weiteren Schritt zu fairen Wettkämpfen und gleichen Bedingungen aller paralympischer Athleten.

(Foto: Matt Hazlett/Getty Images)

Die gesamte russische Mannschaft wird von den Behinderten-Spielen in zwei Wochen in Rio de Janeiro ausgeschlossen.

Von René Hofmann, Rio de Janeiro

Die vorläufige Begründung ist nicht besonders umfänglich. Auf einer Seite hat der Court of Arbitration for Sport (Cas), die höchste Sportgerichtsbarkeit mit Sitz in Lausanne, an diesem Dienstag zusammengefasst, warum das russische Team von den Paralympischen Spielen in Rio ausgeschlossen werden darf, die am 7. September beginnen.

Das Internationale Paralympische Komitee (IPC) hatte den Kollektiv-Bann am 7. August verkündet. Das Paralympische Komitee Russlands (RPC) hatte dagegen am 15. August beim Cas Beschwerde eingereicht. Eine ausführliche Anhörung beider Seiten hatte am 22. August, einen Tag nach dem Ende der Olympischen Spiele, in Rio de Janeiro stattgefunden.

Am Tag darauf konstatierten die Sportrichter im Kern drei Dinge: Erstens, der Ausschluss wurde formal tadellos durchgeführt. Zweitens, er ist den Verfehlungen angemessen ("proportionate in the circumstances"). Drittens, die russische Seite habe keinerlei Belege vorgelegt, welche die Vorwürfe entkräftet hätten ("the RPC did not file any evidence contradicting the facts on which the IPC decision was based").

Zumindest indirekt lässt sich all das als Kritik am Internationalen Olympischen Komitee lesen

Das IPC stützte seinen Entschluss, Russland die Mitgliedschaft zu entziehen (was dem Paralympics-Ausschluss gleichkommt) auf einen Bericht, den der kanadische Jurist Richard McLaren im Auftrag der Welt-Anti-Doping-Agentur erstellt hat. In diesem legte er am 18. Juli auf rund 90 Seiten dar, welch fein geknüpftes Netz staatlich geförderten Dopings es ab 2011 in Russland gab. Im Moskauer Anti-Doping-Labor waren systematisch Proben russischer Athleten manipuliert worden. Während der Winterspiele 2014 in Sotschi war im dortigen Anti-Doping-Labor mithilfe des Geheimdienstes der Inhalt von Proben russischer Sportler ausgetauscht worden. All dies fand, so steht es in dem Report, unter der Steuerung des von Witali Mutko geführten Sportministeriums statt.

Mutko wird in dem Report mehr als ein Dutzend Mal erwähnt. Das Kürzel "RPC" kommt nicht einmal vor. Trotzdem entschloss sich das Internationale Paralympische Komitee zu dem drastischen Schritt des Ausschlusses. Die Belege, die McLaren fand, ließen für das IPC keinen Zweifel daran, dass auch die paralympischen Sportler in das Betrugsprogramm eingebunden waren, das nach dem enttäuschenden Abschneiden bei den Winterspielen 2010 in Vancouver aufgelegt worden war. Laut McLaren hatte das Moskauer Anti-Doping-Labor beispielsweise mindestens 35 Positivproben von Paralympia-Athleten verschwinden lassen. Zum Verdeutlichen der Relationen: Insgesamt hatte es mehr als 640 Positivproben entsorgt; lediglich 37 davon aus nicht-olympischen Sportarten. Der Betrug im paralympischen Sektor war im Vergleich also offenbar keineswegs besonders ausgeprägt.

IPC-Präsident Philip Craven begrüßte den Cas-Spruch: "Die heutige Entscheidung unterstreicht unsere Überzeugung, dass für Doping im paralympischen Sport absolut kein Platz ist. Durch sie haben wir einen weiteren Schritt zu fairen Wettkämpfen und gleichen Bedingungen für alle Para-Athleten der Welt getätigt." Friedhelm Julius Beucher, der Präsident des Deutschen Behindertensportverbandes, erklärte: "Das ist eine gute Nachricht für die Fairness im Sport. Dieses Urteil ist ein Zeichen für konsequente Null-Toleranz-Politik in Sachen Doping, die dem Sport ein Stück Glaubwürdigkeit zurückgibt." Die Nationale Anti-Doping-Agentur für Deutschland teilte mit, aus ihrer Sicht sei dies "die einzig richtige Schlussfolgerung nach der Aufdeckung von gravierenden Manipulationen im Anti-Doping-System Russlands" und lobte sie als "ein klares Zeichen für saubere und faire Leistung".

Zumindest indirekt lässt sich all das als Kritik am Internationalen Olympischen Komitee (IOC) lesen. Unter der Führung von Thomas Bach hatte dieses keinen generellen Bann verfügt, sondern die Entscheidung, ob russische Sportler an den Spielen in Rio teilnehmen durften, den Sportverbänden überlassen. Dies führte dazu, dass zwar die russischen Leichtathleten fast alle zuschauen mussten, ansonsten aber mehr als 270 russische Athleten in vollem Ornat in Rio aufmarschierten und 56 Medaillen gewannen. Das IOC verteidigt sich gegen den Anwurf, es habe in der Russland-Frage eine ähnliche Konsequenz wie das IPC vermissen lassen, unter anderem mit einem Verweis auf die Formalitäten: Im IPC sind die Nationalen Paralympischen Komitees direkte Mitglieder, dies erleichtere den Ausschluss; im IOC sei dies mit den Nationalen Olympischen Komitees anders.

In Russland fielen die Reaktionen auf den Cas-Spruch erwartungsgemäß ablehnend aus. Sportminister Witali Mutko reagierte mit Unverständnis, "diese Entscheidung ist eher politisch als legal", sagte er der Nachrichtenagentur Tass. Die Aussage folgt dem Argumentationsmuster, das mehrere russische Athleten während der Olympischen Spiele vorgetragen hatten. Die mehrmals mit Doping in Verbindung gebrachte Schwimmerin Julia Jefimowa hatte nach öffentlichen Anfeindungen durch ihre US-Kollegin Lilly King die Athleten in aller Welt aufgerufen, nicht auf über Medien verbreitete Politik hereinzufallen. Auch die neu ins IOC gewählte Athletenvertreterin Jelena Issinbajewa hatte davor gewarnt, mit dem McLaren-Report werde Politik betrieben. Der Frage, ob sie selbst den Bericht vollständig gelesen habe, war die einstige Stabhochspringerin daraufhin allerdings ausgewichen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: