Oppositionsführer entlassen:Scherzend in die Freiheit

Alexej Nawalny verlässt Haft

„Ich bin so froh, frei zu sein“: Oppositionsführer Alexej Nawalny beim Verlassen der Haftanstalt, in der er für 30 Tage eingesessen hatte.

(Foto: Dmitry Serebryakov/dpa)

Rechtzeitig zum Anpfiff darf Kreml-Kritiker Alexej Nawalny nach 30 Tagen die Haftanstalt verlassen.

Von Julian Hans, Moskau

Unmittelbar vor Beginn der Fußball-WM ist der russische Oppositionsführer Alexej Nawalny aus der Haft entlassen worden. Die Freilassung erfolgte nur wenige Stunden vor der feierlichen Eröffnung in Moskau. "Ich bin nach 30 Tagen Dienstreise wieder bei euch. Ich bin so froh, frei zu sein", erklärte Nawalny, der in der Haft 42 Jahre alt geworden war. Nawalny hatte 30 Tage in einer Arrestzelle verbringen müssen, weil er Anfang Mai zu einer Demonstration aufgerufen hatte, die vorher nicht von den Behörden genehmigt worden war. Nawalnys Anwälte und Anhänger bezeichneten das Gerichtsverfahren als politisch motiviert. Der Kreml-Kritiker saß wegen seiner politischen Aktivitäten bereits mehrfach im Gefängnis.

Mit Blick auf die WM erklärte Nawalny im Online-Netzwerk Instagram ironisch, die Haftbedingungen hätten sich verbessert: Rechtzeitig zur Anreise der Fans aus aller Welt seien die Zellen renoviert worden, schrieb er. Offenbar rechne die Polizei damit, dass betrunkene oder randalierende Fans in Gewahrsam genommen werden. Die Gitter seien neu gestrichen und anstelle der Löcher im Boden seien echte Toiletten installiert worden. Im Hof für den Freigang seien sogar Tore aufgestellt und Fußbälle verteilt worden, schrieb er weiter. Sogar das Essen sei "besser als im Restaurant", es gebe zwei Menüs zur Auswahl, Polizeischüler bedienten die Häftlinge. "Das Krasseste ist aber, sie haben in den Zellen Flachbildschirme installiert, damit die Häftlinge die Spiele gucken können."

Da die Vollzugsbeamten kein Englisch sprächen, seien Studentinnen von Fremdsprachen-Fakultäten angestellt worden. "Sie tragen eigene Uniformen, irgendwas zwischen Polizisten und Stewardessen. Sie langweilen sich, weil noch keine Ausländer da sind, und fordern deshalb Massenverhaftungen, damit sie Bekanntschaft schließen können."

Sollte der russische Staat bei seinen Bemühungen um ein tadelloses Erscheinungsbild tatsächlich in Winkel vorgedrungen sein, die in keinem Reiseführer stehen? Nachdem die Pressestelle der Polizei einen halben Tag lang alle Nachfragen abwimmelte, löste Nawalny am Nachmittag auf: alles nur ein Scherz. Die Polizeistationen sind im gleichen Zustand wie bisher.

Unterdessen sorgt auch eine Kreml-treue Politikerin für Aufsehen. Tamara Pletnewa, Vorsitzende des Ausschusses für Familie, Frauen und Kinder im russischen Parlament, warnte ihre Landsleute davor, sich während der Weltmeisterschaft auf intime Beziehungen mit Ausländern einzulassen. Die Erfahrung mit den Olympischen Spielen 1980 hätten gezeigt, dass davon nur unglückliche alleinerziehende Mütter zurückblieben. Vor allem aber hätten die Kinder darunter zu leiden: "Wenn sie von der gleichen Rasse sind, dann geht es ja noch. Aber wenn sie von einer anderen Rasse sind, dann leiden sie doppelt. Wir sollten unsere eigenen Kinder zeugen", forderte die Abgeordnete im Sender "Hier spricht Moskau".

Nach den Olympischen Spielen 1980 waren in der Sowjetunion erstmals in größerer Zahl Kinder nicht weißer Hautfarbe zur Welt gekommen. Ein Ergebnis intensiver Begegnungen zwischen Gästen aus afrikanischen Staaten und russischen Frauen.

Während Pletnewa unerwähnt ließ, dass Kondome ein guter Schutz nicht nur vor ungewollter Schwangerschaft sondern auch vor sexuell übertragbaren Krankheiten wären, stellte einer ihrer Kollegen die Gefahr einer Viren-Epidemie ins Zentrum seiner Überlegungen. Massenveranstaltungen begünstigten bekanntermaßen die Verbreitung von Erregern, warnte Alexander Scherin, stellvertretender Vorsitzender im Verteidigungsausschuss. Immerhin kämen die Gäste aus unterschiedlichen Klimazonen der ganzen Welt angereist. "Wir können nicht Millionen Touristen durch Duschen mit gechlortem Wasser treiben. Sie kommen ja nach Russland, nicht in ein deutsches Konzentrationslager", sagte er einem Moskauer Radiosender. Um Ansteckung zu vermeiden, sollten die Landsleute keine Geschenke annehmen, keine Kaugummis, keine Zigaretten, "vor allem aber: dieses russische dreifache Küssen und Umarmen, auf Bruderschaft trinken aus einem Glas, zusammen Friedenspfeife rauchen, das alles würde ich vermeiden."

Wladimir Putins Sprecher korrigierte am Donnerstag die Warnungen der Abgeordneten Pletnewa. Russische Frauen seien reif genug, um selbst zu entscheiden, mit wem sie intim werden wollten, sagte Dmitrij Peskow.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: