Olympische Spiele:Verbotene Fragen

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"Befolgen Sie die offizielle Linie": Chinas Medien haben 21 Richtlinien bekommen, wie sie berichten sollen. Das IOC führt bizarre Presse-Abwehrschlachten.

Thomas Kistner

Willkommen im Presse- und Informationszentrum Peking, wo die Veranstalter Bocog und das IOC nach einem Tag Erholung schon wieder tüchtig an der Öffnung des Landes arbeiten. Am Mittwoch galt es, eine ganze Stunde mit den Medienleuten aus aller Welt zu überstehen, da tut Vorsorge gut. Bocog-Vize Wang Wei verlas eingangs die zentralen Datensätze der letzten Spieletage, die hier jeder Computer ausspuckt, wechselte aber - bevor er bei der Gründung des Internationalen Olympischen Komitees durch Coubertin anlangte - zum Wetterbericht: "Leichte Winde bis zwei Stundenkilometer werden nachts in Qingdao erwartet."

Manche Fragen bleiben bei den Pressekonferenzen in Peking unbeantwortet. (Foto: Foto: AFP)

Auch Giselle Davies ist wieder da, die Stimme des IOC, und hat Verstärkung mitgebracht. Timo Lumme ist TV-Direktor des Ringe-Clans und hat für die Medien einen Geschenkkorb bereitet, randvoll mit leckeren Ziffern und Zahlen. 5000 Stunden Olympia wurden in 220 Länder ausgestrahlt (unklar, ob in die hohe Länderzahl Regionen wie Bayern, Taiwan oder Tibet eingerechnet sind), 842 Millionen Chinesen guckten die Eröffnungsfeier und 500 Millionen seitdem ständig Spiele, was natürlich auch daran liegen könnte, dass sich auf den Kanälen des Staatssenders CCTV sowieso nur zwischen Chinas Medaillenhelden im Gewichtheben, Turnen, Tischtennis oder anderen Sparten herumzappen lässt.

Irgendwann holt Lumme Luft, die Chance für eine Frage: "Warum sind die Transkripte der Konferenzen hier nie korrekt verfasst, wer entscheidet über die Veränderung der Inhalte?"

Bocog-Vize Wang Wei pariert die Peinlichkeit vorbildlich: "Das entscheidet die Internet-Redaktion, wir akzeptieren es."

Der Nächste, bitte.

"Geben Sie das Mikro zurück"

Der Nächste will zwecks Nachfrage das Mikrofon nicht wieder rausrücken, das ihm der Volunteer gereicht hat. Seine Frage gilt den 77 Protestaktionen, die bei Pekings Behörden für die freizügig angekündigten Protestzonen in der Stadt beantragt worden sind. 77 davon wurden abgeschmettert, zwei mit der Begründung, dass Kinder dabei gewesen wären, die sind vor Missbrauch zu schützen. Da blitzt sie auf, die neue Offenheit. Chinas Kinder werden ja sonst gern von klein auf zu harter Arbeit rangezogen, manche sogar in olympischen Drillcamps, dies ist bei den Spielen hier gut an den Gold-Küken um Turnerin Ke Hexin zu erkennen.

"Geben Sie das Mikro zurück!", bellt Presseoffizier Sun Weide vom Podium, "Volunteers! Sie haben zu arbeiten!"

Wang, der zum Protest Befragte, verzieht die Mundwinkel und sagt: "Geben Sie sich zufrieden mit der amtlichen Auskunft. So geht unsere Kultur mit Konflikten um: Will jemand zum Gericht oder die Scheidung, versuchen wir immer erst zu schlichten. Unsere Kultur betont die Harmonie, in anderen Ländern findet man das vielleicht nicht gut." Wang indes findet "nicht gut, wenn jemand protestieren will, Lösungen sollten juristische sein". So wie hier: Anträge eingegangen, in den Papierkorb weitergereicht.

"Volunteer, nehmen Sie das Mikrofon weg!", bellt Herr Weide vom Podium, und um die Krisenrunde etwa aufzulockern, erteilt er nun ständig Journalisten das Wort, die er sorgfältig im Saal aussucht und die TV-Direktor Lumme fortwährend Gelegenheit geben, sein Zahlenreferat zu wiederholen.

Zwischendurch erfährt man, dass Wang nicht mitgekriegt hat, dass wegen wiederholter Protestanträge zwei nicht ganz so fest im nationalen Harmoniehumus verankerte Mitbürger ins Arbeitslager expediert worden sind. Und Davies spielt Weide, als TV-Direktor Lumme gefragt wird, ob China Wort gehalten und sein Versprechen von mehr Transparenz erfüllt habe - "Timo wird gleich antworten", sagt die IOC-Sprecherin hastig, "wir haben Marketingerhebungen gemacht, nach der die Peking-Spiele ein großer Erfolg sind."

Aber jetzt! Es wird es heikel: "Stimmt es, Herr Wang, dass Chinas Journalisten einen Katalog mit 21 Vorschriften in die Hand bekamen, wie sie sich bei kritischen Themen verhalten müssen?"

Während Wang behauptet, Chinas Presse sei frei und laut Behörde gebe es "keine 21 Richtlinien für die Medien", schweifen wir ab ins Innere dieses Pressepalazzos, vorbei am Friseursalon, dem Fitnessraum und dem Raum für kostenlose Nackenmassage, mit dem Goldenen Buddha. Bei all den Wohltaten für die Berichterstatter fällt kaum auf, dass es hier eines nicht gibt: Informationen, die mehr als statistische Bedeutung haben.

Im Bürolabyrinth, zweite Etage, in einem sehr entlegenen Raum, sind Daten einer Diskette erhältlich, die besagte 21 Punkte auflistet (E-Mails waren den Zulieferern zu riskant). Zunächst hatte das mäßig konforme Blatt South China Morning Star Andeutungen zum Thema publiziert, die Richtlinien habe das Propaganda-Büro in Peking an Journalisten erlassen, sie geben vor, wie weltpolitische Themen oder kritische Fragen zu den Spielen auszublenden sind.

Tiibet ist tabu

Zu den Tabus zählen neben Tibet, Falun Gong und kontaminierten Nahrungsmitteln - "wie krebserregendem Mineralwasser" - auch die drei Protestparks. Die Disc wurde australischen Reportern zugespielt, nachdem John Ray, Korrespondent der Independent Television News China, am Rande einer Tibet-Demonstration kurz festgesetzt worden war. Nachrichten darüber wurden von der Inlandspresse ebenso wenig verbreitet wie über die olympische Verbindung des zu Spielebeginn ermordeten US-Touristen, oder über die Tänzerin, die bei Eröffnungsfeierproben von einer Bühne stürzte und nun gelähmt ist.

Die 21 Punkte weisen chinesische Reporter an, für Berichte über diplomatische Verbindungen des Landes nur die Staatsagentur Xinhua zu nehmen, "speziell zur Doha-Runde, den US-Wahlen sowie Chinas Kooperationen mit Iran, Simbabwe und Paraguay". Sollten Ausländer in Notfälle verwickelt sein, gelte es "die offizielle Linie zu befolgen, gibt es keine, halten Sie sich vom Thema fern". Ebenso von illegal Eingereisten, Darfur-Fragen und allem, was der olympischen Berichterstattung schaden könnte: "Machen Sie kein Aufheben über Cash-Zuwendungen an Athleten. Bewahren Sie kühlen Kopf bei den Darbietungen chinesischer Sportler, seien Sie vorbereitet auf mögliche Fluktuationen im Medaillenrennen. Und werben Sie für unsere Antidoping-Maßnahmen."

Zurück im Konferenzsaal, mit den 21 Geboten des Propagandabüros im Kopf, versteht man jetzt ganz gut, warum sich auf die boshafte Frage nach der Existenz der schwarzen Liste eine Reporterin des Staatskanals CCTV erhebt und statt einer Frage ein privates Statement abgibt: Sie verstehe gar nicht, warum hier solche Falschheiten verbreitet würden, sie bestätige gerne, dass sie "frei und ohne Beschränkungen" arbeite.

Man versteht sogar, dass Herr Wang "noch nie davon gehört" hat, dass Chinas verletzter Hürdenstar Liu Xiang auf zehn Millionen Euro Werbeeinkünfte per annum kommt. Nur IOC-Sprecherin Davies, die bizarre Presse-Abwehrschlachten wie diese als "Beweis für die katalytische Wirkung" der Spiele in China wertet, als Beleg für die künftige Öffnung, die versteht man schon lange nicht mehr.

© SZ vom 21.08.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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