Olympische Spiele 2008:Schattenboxer vor Cheerleaderchinesinnen

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In den Bildern der Eröffnungsfeier geht es um den Aufstieg Chinas, um die Dokumentation einer Erfolgsgeschichte - nicht finster inszeniert, sondern künstlerisch.

Holger Gertz

Die Eröffnungsfeier hatte offiziell noch gar nicht begonnen, auf den großen Leinwänden tickte nur der Countdown, da kamen Männer in silbrigen Gewändern ins Nationalstadion von Peking, jeder schob eine Art Wagen, aber wer im Programmheft nachschlug, konnte lesen, dass der Wagen Fou heißt und ein traditionelles chinesisches Percussioninstrument ist. Die Männer stellten sich nebeneinander auf, sie bildeten Reihen, immer mehr Männer kamen dazu, bildeten weitere Reihen, sie stellten sich auf ihren Platz und blickten dahin, wo das Publikum saß. Am Ende waren 2008 Männer da mit ihren Instrumenten, sie nennen sich "Fou Formation". Sie taten nichts, bestimmt eine Viertelstunde waren sie nur da. Das Publikum lärmte ein bisschen herum, aber es gab noch keine Musik, nicht mal die Olympische Flagge knatterte, sie war noch nicht gehisst. Wer gut saß, also weit unten und nah am Innenraum des Stadions, konnte den Männern ins Gesicht sehen, von weiter oben sahen sie aus wie eine Armee, und der Hubschrauberpilot über dem Stadion konnte ein perfekt ausgemessenes Muster erkennen.

91.000 Zuschauer und mehr als 15.000 Artisten: die imposante Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele in Peking. (Foto: Foto: ddp)

Man kann die Perfektionen, mit der so viele Männer vollkommen ruhig sein können, bewundern, man kann sich auch ein bisschen gruseln vor der chinesischen Fähigkeit zur Disziplin. Der ruhige Moment vor der Show mit den stillen Männern war einer, der hängenbleibt, vielleicht gerade, weil vorher so laut gestritten worden ist, ob die Spiele in Peking jetzt eine Schande sind oder eine Chance.Viele lehnen den Zinnober solcher Anlässe ab, aber jede Eröffnungsfeier erzählt etwas über das Land, das sie ausrichtet, und über die Zeit, in der sie stattfindet. 2000 in Sydney war die letzte in dieser unbeschwerten Phase vor dem 11.September, Cathy Freeman dürfte das Feuer entzünden, sie stand dabei in einem Wasserbassin, auch dieses Feier war voller Symbole. Versöhnung zwischen den Elementen, zwischen Aborigines und Australiern.

Schon in Salt Lake 2002 konnte man bei der Opening Ceremony auf den Dächern der Hochhäuser neben dem Stadion Scharfschützen liegen sehen, 2006 bei den Winterspielen in Turin hatten sie sich bewusst gegen das Monumentale entschieden, stattdessen tanzten als Kühe verkleidete Menschen über gefrorene Seen, und ein Vespafahrer hatten auch einen Auftritt. Ein kleines Mädchen sang Fratelli d'Italia, die italienische Hymne. Italienerhaft eben, man konnte das einordnen, als selbstironische und lässige Feier. Und am Ende sang Luciano Pavarotti.

Lang Lang begleitet am Flügel

Die Feier in Peking war eine perfekte Inszenierung, der Regisseur Zhzang Yimou hat sie drei Jahre lang geplant, ein halbes Jahr ist vorher geübt worden. 15.000 Artisten, 30.000 Komparsen und Statisten, das Motto war nicht der Karneval wie zuletzt in Italien, es ging um den Aufstieg Chinas, um die Dokumentation einer Erfolgsgeschichte, aber nicht finster inszeniert, sondern künstlerisch. Schattenboxer und fliegende Menschen, der Pianist Lang Lang begleitet am Flügel ein kleines Mädchen, lachende Gesichter auf gespannten Regenschirmen, fliegende Menschen, leuchtende Menschen mit Knochen wie aus Biegedraht.

Bei einigen Elementen sah man die Details erst auf den hochauflösenden Bildern der Stadionleinwand. Soldaten, die in tausend Stunden gelernt hatten, sogar ihre Mimik einander anzugleichen. Beeindruckend und irritierend für den, der das nicht kennt. Die Feier war in ihrer Wirkung auf die versammelten Gäste ein wenig wie China selbst.

Bei Eröffnungsfeiern von Olympischen Spielen legen die Organisatoren jedem Besucher einen Beutel auf den Sitzplatz, in dem sich verschiedene Geschenke befinden, mit denen er sozusagen Teil der Veranstaltung werden kann. Bei Winterspielen ist immer ein weißer Umhang dabei, und wenn sich alle Zuschauer wie gewünscht ihren weißen Umhang anziehen, sieht das im Fernsehen so aus, als läge im Stadion Schnee. In Peking fanden die Zuschauer verschiedene Taschenlampen und Fahnen und Rasseln in ihrem Beutel. Wann sie sie einzusetzen haben, wurde auf der Leinwand genau erklärt. Wenn die Sportler kommen: bitte rasseln.

Bitte selber wedeln

Wenn die Olympische Fahne hochgezogen wird: bitte selber auch wedeln. Die Organisatoren haben das gelernte Empfindungen wie Nationalbewusstsein so sehr im Blick wie kindliche Begeisterung, deshalb bekamen die Zuschauer genau diese Geschenke: die Fahnen und die Rasseln.

Beim Einmarsch der Athleten war mit Spannung erwartet worden, wer vielleicht den Mut haben würde, einen Protest zu wagen gegen Chinas Tibet-Politik. Die Debatte war monatelang geführt worden, die Vorschläge gingen so weit, dass sich mancher vorstellen konnte, mit der Glatze eines Tibetmönchs ins Stadion zu kommen. Er war dann aber eher unspektakulär, die politischen Debatten liegen wie Blei auf der Stimmung, vor allem war der Einmarsch unheimlich lang. Die Zahl der Teilnehmerländer hatte sich zwar noch von 205 auf 204 reduziert, nachdem das Sultanat Brunei ausgeschlossen worden war. Es hatte im Prinzip das getan, was viele Friedensaktivisten von anderen Ländern auch gefordert hatten, nämlich keinen einzigen Athleten angemeldet. Das Internationale Olympische Komitee beschloss den Rauswurf, nachdem die Anmeldefrist um 12 Uhr mittags abgelaufen war.

Es war sicher nicht geplant, aber auch beim Einmarsch der Nationen zeigte sich, dass die Welt zum Teil noch sehr weit weg ist von China, oder China von der Welt. Alle waren da, schwarze Glatzköpfe, kaukasische Kraftsportler, sie schlurften durchs Stadion, sie schritten oder stolzierten. Sie bewegten sich jedenfalls an Chinesinnen in kurzen Röcken vorbei, die so aussahen wie Cheerleader. 110 Minuten dauerte der Einmarsch, die Cheerleaderchinesinnen winkten und klatschten, sie taten das in einem bestimmtem Rhythmus, sie warfen ihre Beine nach vorne und lächelten und lächelten. 110 Minuten lang. Sie zogen das gnadenlos durch.

© SZ vom 09.08.2008/mb - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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