Olympische Spiele in Peking:Zu Tode gesiegt

Der Spitzensport hat es mit seiner Großartigkeit in Peking offensichtlich übertrieben. Womöglich entwickelt der olympische Wahnsinn aber heilende Kräfte.

Ralf Wiegand

Am Werbespot des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), dessen Ausstrahlung die Spiele von Peking flankiert, hätte Leni Riefenstahl ihre Freude gehabt. In mystisch beleuchteten Kulissen begegnen sich in einer Art olympischem Utopia The Best of Us - der schnellste Mann, das fliegende Mädchen, der Unbesiegbare, die Wasserfrau, allesamt phantastische Wesen aus der wunderbaren Welt der Athletik. Stramme, glänzende Körper stürmen Pyramiden hinauf und pflügen die Wellen des Ozeans, während ein Gott gewordener Greis dazu dröhnt: "Ihr alle macht uns stolz, zur Menschheit zu gehören. Wenn ihr solche Größe erlangen könnt, ist nichts mehr unerreichbar!" Eine Botschaft wie Donnerhall: Der Leistungssportler als Krönung der Schöpfung. Komm nur, Jugend der Welt, und mache mit!

Olympische Spiele in Peking: Ein Vorbild? Für die meisten außerhalb Jamaikas ist Usain Bolt wohl keines.

Ein Vorbild? Für die meisten außerhalb Jamaikas ist Usain Bolt wohl keines.

(Foto: Foto: Reuters)

Die deutsche Wasserfrau ist gerade heimgekehrt vom chinesischen Olymp. In Berlin hat es für Britta Steffen einen hübschen Empfang im Freibad Britz gegeben und eine einigermaßen hohe Auszeichnung: die Ehrennadel des Bezirks Neukölln. Hunderte Kinder drängelten nach Autogrammen am roten Teppich, über den das müde Gold-Kind schlurfte. Heute noch im Planschbecken der SG Neukölln, morgen schon sein, was sie nun ist: The Best of Us.

Dann wäre ja wieder mal alles in Ordnung in der Welt des Sports, wie sie sich nach zwei Wochen der Sommerspiele von Peking präsentiert. Es war schließlich immer so: Der Sport produzierte Helden, die Helden weckten die Sehnsucht im Publikum, die Sehnsucht steigerte den Ehrgeiz, aus dem Ehrgeiz entstand neuer Heldennachwuchs. So war das bei Schmeling und Seeler, bei Becker und Graf, bei Henri Maske, Michael Schumacher, Franziska van Almsick, Jan Ullrich - doch, sogar bei dem. So ist es bei Dirk Nowitzki, bei Britta Steffen. Wenn sie nicht zum Vorbild taugen, die Sieger, unsere Besten - wer sonst?

Leider, man ahnt es bereits, ist es nicht so. Auch der Bezirksbürgermeister von Neukölln sollte schon ein bisschen auf sein Glück hoffen, dass alles gut geht mit der Ehrennadelträgerin Britta Steffen. Denn nichts ist peinlicher, als solch eine Auszeichnung wieder aberkennen zu müssen. Die wenigsten Olympiasieger gewinnen Gold, weil sie die Krönung der Schöpfung sind oder Zeus' Blitz sie getroffen hat. Sie gewinnen, weil sie nichts unversucht lassen für den absoluten Erfolg. Auch bei Britta Steffen schwamm der Zweifel mit auf allen Bahnen, die sie im Pool von Peking zog. Diesem Zweifel, sagte sie, müsse sie sich stellen. Sie fragte: "Warum soll ich nicht genauso schnell sein dürfen wie die anderen?"

Die Kraft der Kartoffel

Die von den Ringe-Vermarktern ersponnenen Superwesen, die über Rassen und Grenzen hinweg ihre Spezies nur mit Muskelkraft auf eine neue Stufe heben, sind in Wirklichkeit doch auch wieder nur Menschen. Klar, der raketenartige Antrieb des Sprinters Usain Bolt mag tatsächlich vom Genuss heimischer Süßkartoffeln kommen, wie sein Vater behauptete. Aber dann müsste schon die gesamte jamaikanische Sprintmannschaft in einen Topf voller Kartoffelsuppe gefallen sein, ehe sie alle Goldmedaillen über 100 und 200 Meter bei Männern und Frauen gewann und noch ein bisschen Silber und Bronze dazu.

Zu Tode gesiegt

Der Spitzensport hat es mit seiner Großartigkeit in Peking ganz offensichtlich etwas übertrieben. Um als Vorbild zu taugen, muss die Leistung eines Athleten wenigstens menschlich erscheinen. Die Illusion muss bestehen, dass Talent und Trainingsfleiß ausreichen könnten, um einen Meister zu machen. Usain Bolt aber taugt nicht zum Vorbild. Er, der schaffte, woran eine ganze erwiesenermaßen gedopte Sprintergeneration scheiterte - 9,70 Sekunden über 100 Meter zu unterbieten und überdies die zwölf Jahre alte 200-Meter-Bestmarke zu knacken - kommt sogar seinen direkten Konkurrenten nicht mehr vor wie ein Mensch, sondern wie eine Halluzination. Wer sich ihn zum Vorbild nähme, könnte auch gleich Batman sein wollen.

Ähnliches gilt für die programmierten acht Goldmedaillen des US-Schwimmers Michael Phelps oder all die nach chinesischem Staatsplan verwirklichten Siege von gedrillten Turnküken oder maskenhaften Turmspringern. Wem oder was sollte ein Kind da nacheifern wollen: Mit angeblich 16 auszusehen wie eine Zehnjährige? Nicht lächeln zu können auf dem Siegerpodest? Die olympische Idee ist sicher nicht erst in Peking zu Tode gesiegt worden - aber hier besonders.

Wohltuendes Desinteresse

Da aus dem Sport heraus die Wende anscheinend nicht zu schaffen ist, könnte eine veränderte Wahrnehmung des Sports ihm vielleicht helfen. Die Zeichen werden deutlicher, dass die Gesellschaft nicht mehr bedingungslos bereit ist, dem Fach Körperertüchtigung alles durchgehen zu lassen. Schon die Vergabe der Spiele ans chinesische Regime löste eine spannende Debatte aus, inwieweit der Sport so tun darf, als lebe er in seiner eigenen, unpolitischen Wirklichkeit.

Bundestagsabgeordnete bereisen Peking - nicht mehr nur, um sich mit Siegern ablichten zu lassen, sondern auch, um Missstände anzuprangern. Abseits der Olympischen Spiele, etwa im Fußball, durchkreuzt das Kartellamt die Pläne zum ungebremsten Geldverdienen mit den Fernsehrechten. Gleichzeitig hinterfragt die Politik, warum die Allgemeinheit den Showbetrieb Bundesliga mit seinen Millionengehältern subventionieren muss, indem die Polizei unentgeltlich für Ordnung am Stadion sorgt. Je weiter sich der Spitzensport von der Basis entfernt, je brüchiger das Vertrauen in die Leistungen dort oben wird, umso geringer wird die Bereitschaft, die Spitze zu fördern - egal, ob mit Geld oder Anerkennung.

Anders als das IOC in seinem Werbespot suggeriert, trauen ja nicht einmal die Funktionäre selbst ihrer muskulösen und moralischen Menschheitselite. Die Besten der Besten müssen von einem Heer von Dopingfahndern kontrolliert werden, und das Misstrauen erweist sich als angebracht: Schützen drosseln ihren störenden Puls mit Betablockern, und Pferde werden schmerzempfindlicher und damit leistungsbereiter gesalbt - welch verheerendes Signal an die Schützenvereine und Ponyhöfe. Mit "hopp, hopp, hopp, Pferdchen lauf Galopp" ist es jedenfalls nicht mehr getan.

Womöglich entwickelt der olympische Wahnsinn aber heilende Kräfte. Im verstörten Publikum bahnte sich in den Tagen von Peking eine interessante Wende an. Zumindest hierzulande ist gelegentlich schon ein wohltuendes Desinteresse zu spüren gewesen an den Nachrichten aus dem olympischen Absurdistan. Die Einschaltquoten, konstatierten ZDF und ARD, erfüllten nicht die Erwartungen. Das liegt nicht nur an der Zeitverschiebung - auch die Zusammenfassungen zur hiesigen Primetime kommen nicht gut an. In die Reportagen aus China mischte sich zur gewohnten Faszination so etwas wie Ekel. Dagegen umwölkte ungeahnte Milde daheim manch deutschen Verlierer, der ja umso sauberer sein könnte, je schwerer er geschlagen wurde. Das wäre doch ein Sieg: Wenn The Best of Us nicht mehr die Ersten sein müssen.

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