Olympische Spiele in Peking:Kartoffelbrei und andere Sachen

Cheryl Haworth war einmal die stärkste Gewichtheberin der Welt, nun ist sie noch sehr klug und sehr begabt.

Holger Gertz

Wo Cheryl Haworth ist, ist auch immer jemand aus ihrer Familie, sie hat eine große Familie, und die Familie ist ihr Nest. Wenn man sagen würde, jemand wie Cheryl Haworth brauche ein großes Nest, auch räumlich gesehen, könnte das vielleicht verletzend rüberkommen, aber es hilft ja nichts: Sie ist 1,75Meter groß und 136 Kilogramm schwer, das ist sogar für Gewichtheberinnen ein beachtliches Gewicht.

Olympische Spiele in Peking: Cheryl Haworth

Cheryl Haworth

(Foto: Foto: dpa)

Wie sie so schwer werden konnte, hat Sheila Haworth erzählt, ihre Mutter, die bei den Spielen in Sydney bei ihr war. Cheryl war ein dünnes Kind, sie aß nicht gern, sie war auch dauernd krank, bis der Arzt herausfand, dass die Mandeln chronisch entzündet waren. Cheryl - da war sie sechs - verlor vorübergehend weiteres Gewicht: das der Mandeln, die sofort entfernt wurden. Aber als alles abgeheilt war, erzählte ihre Mutter, brachte sie dem kleinen Mädchen einen Teller mit Kartoffelbrei. "Ich erinnere mich genau, wie ihre Augen gestrahlt haben, als sie essen konnte und keine Schmerzen hatte dabei."

Cheryl Haworth, die immer noch sehr gern Kartoffelbrei isst und viele andere Sachen, wuchs und wurde schwer und schwerer, und ihre Mutter fand: "Wenn meine Tochter ein großes Mädchen wird, dann wird sie eben ein großes Mädchen." So ist es gekommen, und irgendwann fing sie mit Gewichtheben an, weil sie für alles andere zu schwer war, außer für Softball, aber auf Softball hatte sie keine Lust. Sie war bald eine gefürchtete Gewichtheberin, daheim in Savannah. Wenn sie die Eisen im Gym stemmte, schickte der Trainer der Footballmannschaft von Savannah seine Jungs nicht in dieses Gym, weil sie sich neben der Gewichtheberin nicht lächerlich und schwach vorkommen sollten.

In Peking stand Cheryl Haworth in der Gewichtheberhalle und wirkte auf rätselhafte Art zierlich, im Vergleich vor allem mit Olha Korobka aus der Ukraine, die wiegt 167 Kilo. Wobei, zierlich ist natürlich das falsche Wort, alle Frauen aus der Klasse über 75 Kilo sind wie Felsen, auf dem Siegerpodest sahen die dicht beieinanderstehenden Medaillengewinnerinnen wie eine Art Gebirge aus.

Foto-Termin bei Anne Leibowitz

Das richtige Wort für Cheryl an diesem Abend war: chancenlos. Sie wirkte so, wie sich die Footballspieler damals vorgekommen wären, hätten sie sie gesehen. Im Reißen schaffte sie nicht die 118Kilo, im Stoßen nicht die 150. Das Gesamtergebnis waren 259 Kilo, das reichte nur für Platz sechs. "Es ist schon bitter, im Training bin ich besser gewesen", sagte sie, die von Mitgliedern der Familie und guten Freunden vergeblich angefeuert worden war, und man konnte dabei erkennen, dass in Savannah nicht nur Gewichtheberinnen gut und deftig essen.

Cheryl Haworth ist, als sie endlich ausgewachsen war, mal die stärkste Frau der Welt gewesen, ein Gegenstück zum US-Präsidenten, der ja der mächtigste Mann der Welt ist. Sie war 17 bei den Spielen in Sydney, Frauen-Gewichtheben war neu im Programm, und sie war das Gesicht dieser Disziplin, eine angenehme Person, die Spaß daran hatte, von ihrem komischen Sport zu erzählen. Sie ist von Annie Leibovitz fotografiert worden und war in der Show von Jay Leno, wo sie eine gute Figur machte. Sie lacht sehr viel, in der Schule wurde sie "Fun" genannt, einfach "Fun".

In Sydney ist sie damals Dritte geworden, es war sportlich eine Enttäuschung, aber sie hat das weggesteckt. Bei den Spielen in Athen wurde sie Sechste, 280Kilo hob sie damals, obwohl sie Schmerzen im Ellbogen hatte. Diesmal waren es 20 Kilo weniger, obwohl sie fit war. Die stärkste Frau der Welt ist gar nicht die stärkste Frau der Welt, das hat jeder gesehen, in Sydney, in Athen, in Peking. Die stärkste Frau der Welt wird ihre Karriere irgendwann beenden und vielleicht nur eine kümmerliche Bronzemedaille in der Kommode haben. Aber darauf kommt es ja auch nicht an.

Das Gewichtheben ist von Doping verseucht wie der Radsport, diesmal flogen ganze Hebermannschaften der Griechen und Bulgaren schon auf, bevor die Spiele angefangen hatten. Und wenn man der Gewichtheberin Cheryl Haworth ihre Geschichte nicht so einfach abnimmt, dass ihre Kraft von Kartoffelbrei kommt, gehört sie zu denen, die öfter eine Haltung zeigen, wenn es um Doping geht. "Es ist frustrierend, die Doper verschwenden ihr Leben, sie verschwenden die Zeit ihrer Fans", hat sie in Athen gesagt, als sie wieder zu den Geschlagenen gehörte. In Peking hätte sie auch auf Chinesisch etwas zum Thema beitragen können, weil sie ein paar Brocken aufgeschnappt hat. Allerdings, sie hat die Phrasen, die sie kann, bei den Simpsons gehört, der besten Comicserie aller Zeiten, die sie so liebt. Einer der Sätze heißt übrigens: "Du kannst nie genug Arbeitssklaven haben", und dass sie ihn hier nicht mal im Smalltalk untergebracht hat, war klug von Cheryl Haworth. Sie hat ja auch einen IQ von 135, ist eine begabte Fotografin, hat an der "Savannah Arts Academy" studiert. Ihre Zeichnungen sind in Ausstellungen gezeigt worden.

Starke Menschmaschinen

Vielleicht sind die anderen Gewichtheberinnen sogar noch klüger - der optische Eindruck stützt diese Vermutung zwar nicht, aber in Peking lernt man ja, Eindrücken nicht zu blind zu vertrauen. Vielleicht können die anderen Gewichtheberinnen auch schön malen. Aber Jang Mi-ran (Gold), Olha Korobka (Silber) und Mariya Grabovetskaya (Bronze) wirken eher wie aufs Gewichteheben ausgerichtete Menschmaschinen, und auch wenn nur sehr eingeweihte Experten mit letzter Sicherheit sagen können, was die kluge und lustige Cheryl zu tun oder zu lassen bereit ist, um mit den Menschmaschinen mitzuhalten: dass sie nicht mithält, spricht für sie.

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