Olympische Spiele in Peking:Bolt macht Ernst

Jamaikas Sprinter verbessert bei seiner zweiten Goldmedaille in Peking den 200-Meter-Weltrekord auf 19,30 Sekunden - und lenkt von einem Dopingfall ab.

Thomas Hahn

Usain Bolt strich sich nochmal die Haare glatt, er zeigte wie ein Pistolenschütze nach oben. Dann rannte er. Die Kurve hindurch, die Gerade entlang. Und jetzt schien er für ein paar Sekunden Ernst zu machen. Usain Bolt lief das Rennen zu Ende, diesmal jubelte er nicht zu früh wie noch bei seinem 100-Meter-Weltrekord am Samstag, und als die Uhr stehen blieb, standen da die Ziffern des nächsten Weltrekords. 19,30 Sekunden.

Olympische Spiele in Peking: Usain Bolt gewinnt Gold über 200 Meter - wieder in Weltrekordzeit.

Usain Bolt gewinnt Gold über 200 Meter - wieder in Weltrekordzeit.

(Foto: Foto: dpa)

Die bisherige Marke war zwölf Jahre alt, der Amerikaner Michael Johnson hatte sie bei den Spielen in Atlanta mit 19,32 Sekunden gesetzt. Ein Jubelsturm brauste durchs Stadion, alles war bunt und laut, und natürlich war längst vergessen, dass gerade dieser zwölfte Tag der Pekinger Spiele der Leichtathletik ihren ersten heftigen Dopingfall gebracht hatte: Ludmilla Blonska, die Silber-Gewinnerin im Siebenkampf, 2003 schon einmal wegen Stanozolol-Missbrauchs gesperrt, ist in der A-Probe erneut positiv auf anabole Steroide getestet worden. Ihr droht eine lebenslange Sperre. Aber was kümmerte das Bolt und sein Publikum?

Niemand hatte eine Chance gegen Usain Bolt aus Jamaika an diesem Abend, alle mussten sich seinem Tempo und seinem Charisma unterordnen. Am Ende wurden nicht einmal mehr die Silber- und Bronze-Gewinner zur Pressekonferenz gebeten. Obwohl die vielleicht hätten erzählen können, wie sie die Disqualifikation des zunächst zweitplatzierten Churandy Martina (Niederländische Antillen) wegen Bahnverlassens erlebt hatten, zu der es nach einem Protest der USA kam. Aber die Amerikaner Shawn Crawford (19,96) und Walter Dix (19,98), die von der Jury-Entscheidung profitierten, waren wohl ganz froh, dass sie sich nicht mehr der unverwüstlichen Siegerlaune Usain Bolts aussetzen mussten.

Hymnen auf die Rekordjagd

Selbst am früheren Nachmittag bei einer Pressekonferenz des Leichtathletik-Weltverbandes IAAF, als noch niemand ahnte, dass Bolt seinen zweiten Olympia-Weltrekord vorlegen würde, war Bolt eines der wichtigsten Themen. IAAF-Präsident Lamine Diack war natürlich schwer zufrieden mit dem Verlauf der Leichtathletik-Bewerbe, was er auch an dem "fantastischen 100-Meter-Lauf" festmachte, den Bolt im Freudentaumel und mit offenen Schnürsenkeln in 9,69 Sekunden gewonnen hatte. Vor lauter Begeisterung schien Diack ganz vergessen zu haben, dass viele die Leichtathletik gar nicht mehr so sehr nach Rekorden als vielmehr nach der Qualität ihrer Duelle bewertet sehen wollen.

Und dann sprach Michael Johnson, der frühere Allesgewinner über 200 und 400 Meter. Er nannte Bolts seltsame 100-Meter-Party die "beeindruckendste Leichtathletik-Leistung, die ich je gesehen habe". Und fast demütig analysierte er, wenn Bolt seine Schnelligkeitsausdauer verbessere, "kann ich meinem Weltrekord den Abschiedskuss geben". Dass es gleich wenige Stunden später passieren würde, dachte er allerdings nicht.

Es ist der Job der Lobbyisten, ihren Sport bis zur Besinnungslosigkeit toll zu finden. Allerdings gab es am Ende des Tages auch keinen Zweifel daran, dass Bolts neuer Weltrekord der Leichtathletik nicht viel weiterhilft. Im Gegenteil. Seit dem ersten Tag der Leichtathletik-Wettbewerbe von Peking staunt ein Teil der Szene über sagenhafte Leistungssteigerungen und plötzliche Formhochs. Eine ganze Saison lang bestritt Rashid Ramzi aus Bahrain kein 1500-Meter-Rennen. Am Dienstagabend wurde er in 3:32,94 Minuten Olympiasieger - sein Trainer ist der Marokkaner Khalid Boulami, Bruder von Brahim Boulami, einst Weltrekordler im Hindernislauf und des Blutdopings überführt.

"Riesenverarschung"

Überlegene 100-Meter-Olympiasiegerin wurde in Shelly-Ann Fraser eine Zahnspangenträgerin, die 2007 gerade gut genug für Jamaikas Staffel war. Bolt wiederum steigerte am Mittwoch, einen Tag vor seinem 22. Geburtstag, seine 200-Meter-Bestleistung von 19,67 auf 19,30. Und mit der lässigen Art, mit der er vorher die Leistungen früherer Doping-Generationen unterbot, weckt er Argwohn unter Kollegen. Als "Riesenverarschung" tadelt der deutsche Sprinter Tobias Unger in Sport Bild das Bolt-Theater: "Er hat sich nicht mal warmgelaufen. Der kam in Badehose und Joggingschuhen, hat eine Steigerung und einen Start gemacht, seine Spikes angezogen und ist dann die 100 Meter in 9,92 Sekunden gejoggt."

So weit geht das Misstrauen in der Leichtathletik, dass mancher Medaillengewinner nicht einmal in den heimischen Medien auf Wohlwollen trifft. Frankreich kann in seiner Krise jede Medaille gebrauchen, aber als die erste und bisher einzige kam, eine silberne durch den 23-jährigen Hindernisläufer Mahiedine Mekhisse-Benabbad, war die Freude gedämpft. In Frankreich sind in den vergangenen Jahren viele Läufer ins Netz der Dopingfahnder geraten, und kaum einer kannte den jungen Mann mit algerischen Wurzeln. Die Zeitung L'Équipe fragte: "Sind sie bereit für den Verdacht?" Mekhisse-Benabbad antwortete: "Ich weiß, dass sich das Training auszahlt."

Atmosphäre des Misstrauens

Auch Bolt wird diese Atmosphäre des Misstrauens wohl nicht mehr los. Es fällt ihm leicht, darüber hinwegzusehen. In Jamaika ist er zum Volkshelden aufgestiegen, und auf seiner Pressekonferenz in Peking blieb er von Zweifeln unbehelligt. Bolt ordnete seine Leistung ein: "Sie hat die Welt überwältigt", sagte er. Und er hatte die Lacher auf seiner Seite.

Der entthronte Michael Johnson versuchte, Bolts Erfolg zu erklären. Es war die Erklärung, die zuletzt oft zu lesen war: 1,96-Meter-Mann Bolt sei in der Lage, seine mächtige Schrittlänge mit einer hohen Frequenz zu verbinden. Woher diese Kraft plötzlich gekommen ist, mit der Bolt seine langen Schritte schnell macht, darüber spekulierte Johnson nicht. Wegen Dopings vielleicht? "Die Fans machen sich ihre eigenen Gedanken", sagte Michael Johnson, "das ist die Erklärung, die ich anbiete." Er wünscht, dass man sie ihm abnimmt.

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