Olympische Spiele in Peking:Blauer Himmel, 16 Jahre, schnelles Pferd

Die Spiele sind vorbei. Zeit, einmal zu überlegen, was hier eigentlich alles passiert ist. Eine philosophische Bilanz mit Hilfe einiger alter Chinesen - und eines nicht ganz so alten Chinesen.

Christian Zaschke, Peking

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Die Spiele streben dem Ende entgegen, Zeit, einmal zu überlegen, was hier eigentlich alles passiert ist. Bei diesen Überlegungen kann die Hilfe einiger alter und sehr philosophischer Chinesen und die eines nicht ganz so alten und nicht ganz so philosophischen Chinesen sicherlich nicht schaden.

"Das Wasser nimmt nicht mehr Platz ein, als es wirklich bedarf. So gleicht es der Mäßigung." Konfuzius, Philosoph, 551 v.Chr. - 479v.Chr.

Konfuzius hat sich zu jedem Thema des Universums endgültig geäußert, auch zum schönsten aller Elemente, dem Wasser. Offensichtlich wird die unterschwellige Zuneigung, die Konfuzius dem Wasser entgegenbringt, weil es nicht so ein Angeber und Sich-Breitmacher wie das Feuer ist.

Offiziell findet Konfuzius natürlich das Feuer genauso gut wie das Wasser oder die Luft oder die Erde, aber im kleinen Kreis lässt er durchblicken, dass ihm das Wasser doch diesen kleinen Tick besser gefällt. Somit lässt sich eine Brücke schlagen von Konfuzius, dem Weisen, zu den deutschen Sportfunktionären, denen das Wasser ebenfalls lieb ist, wenn auch nicht wegen der ihm innewohnenden Mäßigung, sondern weil es ohne Wasser keine Kanu-Wettbewerbe bei Olympia gäbe und also, grob geschätzt, nur die Hälfte an Medaillen.

Und ist es nicht herrlich, wie subtil Konfuzius andeutet, dass zwar das Wasser der Mäßigung gleicht, nicht aber zur Mäßigung anhält? Könnte Konfuzius durch die Zeit sehen (vermutlich kann er), dann hätte er mit einem Lächeln den maßlosen Michael Phelps betrachtet, der achtmal Gold gewann und einige Weltrekorde aufstellte. Überhaupt hätte Konfuzius über all die Schwimm-Weltrekordler gelächelt.

"Aber Konfuzius", fragt der einfache Schüler seinen Meister, "wie kann es sein, dass die Schwimmer immer schneller schwimmen, jetzt, da es immer mehr Dopingtests und immer weniger Dopingfälle gibt?"

"Sieh, mein Freund", sagt Konfuzius, "sie haben das Becken mit zehn Bahnen ausgestattet und lassen die äußeren beiden frei, so dass es weniger zurücklaufende Wellen gibt. Zudem ist das Becken tiefer, auch das ist besser. Und die Schwimmer tragen Anzüge, in denen sie nicht mehr Platz einnehmen, als sie wirklich bedürfen." -

"Aber Konfuzius", fragt der Schüler, "warum sind dann nicht alle schneller. Die Deutschen sind so langsam wie eine alte Frau, die tauchen geht." "Mäßige dich, mein Guter", sagt Konfuzius, "es ist wie mit der Medizin, auf jeden wirkt sie anders. Für die Deutschen braucht man ein sehr kleines Schwimmbecken, das nicht so tief ist, und diese Anzüge sollten sie auch nicht tragen."

"Aber Konfuzius, Meister", ruft der Schüler, "das ergibt doch überhaupt keinen Sinn!" "Eben", sagt Konfuzius, "nun denke und finde die Lösung."

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"Himmel und Erde sind dunkel und gelb" Xingsi, 470 - 521 n. Chr.

Diese Zeile ist der Anfang des Tausend-Zeichen-Klassikers, eines Buches zur Erziehung. Zhou Xingsi soll es auf Befehl des Kaisers an einem einzigen Tag zusammengestellt und dabei vollständig graue Haare bekommen haben. Es besteht aus 250 Zeilen à vier Zeichen. Bisweilen wird die erste Zeile auch so übersetzt: Der Himmel ist schwarz, die Erde ist gelb.

Wie auch immer, große Philosophen zeichnen sich dadurch aus, dass ihre Worte immer gelten, in der Vergangenheit, in der Gegenwart, in der Zukunft, und wie könnte man den Pekinger Smog besser beschreiben als Zhou Xingsi es bereits vor 1500 Jahren getan hat?

Ähnlich konkret hat sich zum Thema Luftverschmutzung lediglich der große Grieche Diogenes geäußert, der tagsüber mit einer Laterne durch Athen lief und rief: "Ich suche Menschen", 2350 Jahre bevor der Smog die Stadt wirklich einnebelte. Im Smog offenbart sich also die heimliche Verbindung der Spiele von Athen und von Peking: die Geistesverwandtschaft der Denker Zhou Xingsi und Diogenes.

Am Anfang war in Peking der Himmel nicht zu sehen. Alle Baustellen waren lahmgelegt worden, nur die Hälfte der Autos durfte fahren, und doch: Peking war eine Stadt ohne Himmel. Dann kam der Regen - das Wasser nahm den Platz ein, dessen es bedurfte, und reinigte die Luft. Konfuzius weiß schon, warum er es so mag. Und da galten auch in Peking wieder die großen drei Konstanten des Lebens: Wasser ist nass, der Himmel ist blau, Frauen haben Geheimnisse.

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"Auf den Hirsch zeigen und ihn ein Pferd nennen" Kleiner Trick, bekannt durch Zhao Gao, geb.:unbekannt - 207 v. Chr.

Zhao Gao war Berater des Kaisers, er wollte, kurz gesagt, die Loyalität der Minister testen. Er führte ihnen also einen Hirschen vor und sagte: "Na, ist das nicht ein schönes Pferd?" Einige sagten: "Das ist doch ein Hirsch." Andere sagten: "Oh ja, das ist ein schönes Pferd, Zhao Gao." Diejenigen, die darauf beharrt hatten, dass der Hirsch ein Hirsch sei, hatten ein kleines Problem, sie - sagen wir es so: Sie durften in der Regierung nicht mehr so richtig mitspielen.

Die Hirsch-Pferde-Nummer ist bis heute beliebt, auch bei den Spielen, zum Beispiel beim Frauenturnen. Die chinesischen Funktionäre und Trainer führten ein paar Minderjährige vor und sagten: "Na, sind das nicht tolle 16-Jährige. Sie haben Gold gewonnen." Manche Journalisten sagten: "Die sind doch minderjährig." Andere Journalisten sagten: "Herzlichen Glückwunsch, das ist ein wichtiger Tag für China."

Dass Zhao Gao recht bald nach der Hirsch-Pferde-Nummer ein eher unschönes Ende nahm - sagen wir es so: Er durfte in der Regierung dauerhaft nicht mehr mitspielen -, sei hier nur der Chronistenpflicht wegen erwähnt. Heutzutage geht es bei solchen Nummern zum Glück nicht mehr um Leben und Tod, sondern nur um ganz gewöhnliche Volksverarsche.

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"Wer die Wahrheit sagt, braucht ein schnelles Pferd." Chinesisches Sprichwort

Es handelt sich bei diesem Satz um ein Chengyu; das sind alte Sprichwörter, die verknappt einen größeren Zusammenhang wiedergeben. In der Regel ist der Hintergrund, die ausführliche Geschichte, vergessen, es existiert nur noch das Destillat. Wenn die ganze Geschichte eine Suppe ist, dann ist das Chengyu gewissermaßen der Brühwürfel.

Ein weiteres schönes Chengyu mit Pferd geht so: "War es nicht ein Glück, dass dem Alten an der Grenze sein Pferd davonlief?" Das erscheint auf den ersten Blick vollkommen sinnlos, nicht wahr? Übrigens: Ist es nicht verblüffend, wie Pferde immer wieder ein Thema sind bei den Spielen, zumindest aus deutscher Sicht?

In Athen gab es einigen Wirbel um die Vielseitigkeitsreiter, die ihre Goldmedaillen abgeben mussten. In Peking wurde das Pferd des Springreiters Christian Ahlmann in der A-Probe positiv auf Capsaicin getestet. Man nimmt es, um die Beine des Pferdes zu sensibilisieren, damit es so richtig schön weh tut, wenn das Pferd im Training an die Stangen kommt. Es springt dann beim nächsten Mal ganz gewiss höher. Unter den Spitzenreitern ist diese spezielle Form der Vorbereitung gar nicht mal so unüblich, weitere drei Starter wurden ebenfalls davon überrascht, dass man Capsaicin jetzt nachweisen kann. Christian Ahlmanns Pferd heißt Cöster, die beiden verbringen viel Zeit gemeinsam, Christian und Cöster. Und jetzt noch einmal: "War es nicht ein Glück, dass dem Alten an der Grenze sein Pferd davonlief?"

Dann waren da noch fünf Menschen, die in Peking gedopt erwischt wurden. 4500 Tests gab es, von denen also nur rund 0,1Prozent positiv ausfielen. Der Oberfunktionär des deutschen Sports, Thomas Bach, hat kürzlich bemerkt, dass er von mindestens 90 Prozent sauberer Athleten ausgehe. Das dichte Kontrollnetz decke ein bis zwei Prozent der Fälle auf, und das Argument der Dunkelziffer ziehe nicht, denn selbst wenn man diese ein bis zwei Prozent verfünffache, sei man immer noch bei mehr als 90 Prozent sauberer Sportler.

Rechnet Bach da richtig? Wenn man nun die Olympiaquote nimmt und großzügig - der Dunkelziffer wegen - verzehnfacht, kommt man auf 99 Prozent saubere Athleten. So, und braucht man nun ein schnelles Pferd, wenn man das so sagt? Natürlich nicht, wer so rechnet, kann auch zu Fuß gehen.

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"Die größte Tragik eines Menschen ist der Tod seines Geistes. Der Tod seines Körpers ist nebensächlich." Zhuangzi, Philosoph und Schriftsteller, zirka 365 - 290 v. Chr.

Zhuangzi bedeutet "Meister Zhuang", und um die Dinge ein wenig verwirrend zu gestalten, gibt es auch ein großes Werk namens Zhuangzi, das allerdings nicht zur Gänze vom Meister verfasst worden ist; er war so freundlich, die ersten sieben Kapitel beizusteuern, wer den Rest schrieb, ist ungeklärt.

Ehrlich gesagt ist die gesamte Quellenlage eher lückenhaft, aber die schöne Feststellung vom Tod des Geistes als größte Tragik ist bis heute gültig und nirgends so gut zu beobachten wie bei den Spielen. Wobei freundlicherweise in vielen Fällen angenommen sei, dass der Geist lediglich schlafen gegangen ist.

Der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees, Jacques Rogge, hatte es prophezeit. Wenn die Spiele einmal ihre Magie entfalteten, sagte er, werde alles andere vergessen sein. Und er hatte Recht. Tibet, Menschenrechte, Umweltverschmutzung, Internetzensur, Marketing der Fernseh- und der Großkonzerne, Systemdoping, all das spielte bei vielen keine Rolle mehr, als die Spiele einmal liefen.

Rudern, der chinesische Doppelvierer der Frauen hat das ewig unbesiegte, das unschlagbare Boot der Britinnen besiegt. Frage in der Pressekonferenz: "Ihr seid so junge hübsche Mädchen. Denkt ihr manchmal daran, shoppen zu gehen und die neue Mode zu kaufen?"

Leichtathletik, Usain Bolt läuft gerade mal wieder Weltrekord, im Pressezentrum ist es auf großen Bildschirmen zu sehen. Als er durchs Ziel läuft, brandet begeisterter Beifall auf. "Das ist ein umwerfender Rekord", ruft einer, auf dessen Akkreditierung steht: Journalist. Die Magie der Spiele ist eine Magie der Körper. Der Geist schläft, und wer war doch gleich nochmal Schlafes Bruder?

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"Don't mix politics with games." Hu Jintao, chinesischer Staatspräsident, Oberbefehlshaber der Streitkräfte, KP-Chef, geboren 1942

Man möge die Olympischen Spiele nicht politisieren, sagte Hu Jintao unmittelbar bevor er diese hochpolitischen Spiele eröffnete. Na gut, dann nicht.

Dann aber noch dies: In den Toiletten auf dem olympischen Gelände sind fein säuberlich die Logos der Kloschüsselhersteller abgeklebt. Nur Logos der offiziellen Sponsoren sind erlaubt, auch auf dem Klo. Wenn man in einem unbeobachteten Moment so einen Aufkleber sorgfältig abkratzt, erscheint darunter die Aufschrift: American Standard.

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