Olympische Spiele:"Die Kernfrage ist: Traust du den Leuten?"

IOC-Präsident Jacques Rogge spricht über Lehren aus Peking, Doping-Nachtests, virtuelle Olympiabewerbungen und Kristallkugeln in der Krise.

Thomas Kistner

SZ: Herr Rogge, nach einem spektakulären Sportjahr 2008 mussten Sie lange überlegen, ob Sie als IOC-Präsident wieder antreten. Was haben Sie abgewogen?

Olympische Spiele: IOC-Präsident Jacques Rogge in London: "Es gab auch früher virtuelle Bewerbungen, daraus wurden erfolgreiche Spiele."

IOC-Präsident Jacques Rogge in London: "Es gab auch früher virtuelle Bewerbungen, daraus wurden erfolgreiche Spiele."

(Foto: Foto: Getty)

Rogge: Es gab vier Fragen. Habe ich noch die Leidenschaft für das Amt? Wie ist meine Gesundheit? Ist meine Familie noch glücklich, besser: Wird sie nicht zu unglücklich damit? Die vierte, wichtigste Frage war: Kann ich im IOC noch Werte beisteuern? Ich hatte ein Ja zu allem, das motiviert mich.

SZ: Wie sieht Ihre Agenda bis 2013 aus?

Rogge: Werde ich wiedergewählt, will ich auf jeden Fall den Wertekatalog der olympischen Bewegung stärken. Ich denke, ich habe schon in dieser ersten Amtszeit in der Dopingbekämpfung einiges vorgelegt: die Testanzahl erhöht, auch im Training, die Polizei gerufen wie in Turin 2006. Ich habe verfügt, dass jeder, der mehr als sechs Monate gesperrt ist, automatisch den nächsten Spielen fernbleibt, dazu die Nachprüfung von Dopingproben. All das muss weiter gestärkt werden, es kommen definitiv neue Gefahren auf uns zu. Zweites Anliegen ist das Schiedsrichterwesen. Nach dem Eislaufskandal in Salt Lake City 2002 konnten wir den Eislaufweltverband ISU überzeugen, das Wertungssystem zu ändern und Computerüberwachung bei der Abstimmung zu installieren. Es ist objektiver, die Athleten beschweren sich nicht mehr. Wir haben das fortgesetzt mit Videoüberwachung im Fechten, Turnen, Taekwondo - aber all das ist nicht perfekt. Auch müssen wir gegen illegale Wetten vorgehen, die neue Bedrohung, die im Fußball zwar größer ist als bei uns, aber es bleibt eine Herausforderung.

SZ: Und was die Spiele angeht?

Rogge: Da will ich die Serie guter Spiele seit Salt Lake fortsetzen. Die ist kein Zufall, sie beruht auf einer Philosophie, die ich eingebracht habe, als ich die Sydney-Spiele 2000 koordinierte: Seither wird das Knowhow von Stadt zu Stadt weitergereicht. Dann will ich die Jugendspiele aufbauen, an denen ich sehr hänge. Schließlich - ich sage das in schwierigen Finanzzeiten - möchte ich die Einnahmen erhalten, die wir in der Vergangenheit hatten. Das ist genug für vier Jahre.

SZ: Blick zurück auf Peking. Hat man dort einen anderen Jacques Rogge erlebt als in den Jahren zuvor? Einen IOC-Präsidenten, der Zugeständnisse an China machte, der an das alte IOC unter Samaranch erinnerte? Und war nicht auch die Dopingbekämpfung recht harmlos?

Rogge: Die Kritik am Umgang mit China ist Ansichtssache, das respektiere ich. Mich überrascht aber die Einschätzung in der Dopingfrage.

SZ: Erst zu China: Das IOC war weltweit unter Beschuss, der Fackellauf geriet außer Kontrolle und die Medien gerieten in Peking unter Internet-Zensur. Ist Ihre stille Diplomatie gescheitert?

Rogge: Ich finde, wir haben das Maximum erreicht. Die Spiele wären ein Fiasko geworden, wenn wir mit China aggressiv umgegangen wären.

SZ: Es gab nur die Wahl zwischen Servilität und Aggressivität?

Rogge: Wir glauben, wir haben den Chinesen ein paar klare Botschaften gegeben. Auf einige sprachen sie an, auf andere nicht. Das ist ihre Souveränität. Wir sind keine souveräne Organisation, aber klar war, dass das IOC wie eine Regierung mit China arbeiten musste. Wenn du mit einer Regierung arbeitest, deren Unterstützung du brauchst, kannst du mit ihr nicht im Kriegszustand leben. Oder du riskierst einen radikalen Kurs und sagst, wir stoppen alles und nehmen uns die Freiheit zu tun, was wir wollen.

SZ: Es war also reines Krisenmanagement für Sie?

Rogge: Es gab Krisenmanagement. Ich denke, das IOC hatte 2001 für Peking gestimmt, weil das die technisch beste Bewerbung war. Damals hatten wir allergrößte Probleme mit der Vorbereitung von Athen, wir waren auch unruhig wegen Turin, nichts ging voran. Gibt man die Spiele dann an das bevölkerungsreichste Land der Welt, weiß man, die schaffen es. Wir wussten, es würde Kritik geben. Aber niemand konnte den Gewaltausbruch am 10. März in Lhasa vorhersehen. Das hat das Bewusstsein geändert, die ganze Welt gegen den Fackellauf aufgebracht und gegen China. Was uns überraschte, ist, dass der Protest von Tibetern ausging, die sonst gewaltfrei sind. Aber du änderst die Geschichte nicht, und wir haben eindeutig die blutigen Unruhen unterschätzt. Ab da waren wir nicht mehr die Handelnden, wir mussten reagieren.

SZ: China ließ sich nicht zur Mäßigung bewegen?

Rogge: Wir haben doch wichtige Dinge durchgesetzt. Etwa, den Fackellauf trotzdem durchzuführen. Wir haben erreicht, was zu erreichen war gegenüber Menschen mit dieser asiatischen und orientalischen Auffassung, dass sie niemals das Gesicht verlieren dürfen. Das war ganz wichtig in allen Gesprächen.

SZ: Gibt es Lehren, die das IOC gezogen hat?

Rogge: Als einer, der in der Zeit der Achtundsechziger aufwuchs, sage ich: Wäre ich auf die Barrikaden gegangen und hätte gegen China agitiert, hätte Peking sehr schlechte Spiele erlebt. Ich habe Verantwortung gegenüber den Athleten, die nahm ich wahr. Also stille Diplomatie. Wir sagten China: Öffnet euch so weit wie möglich, und ihr müsst auch etwas für die Umwelt tun. Das setzten wir durch. Die neuen Gesetze für ausländische Medien waren nicht perfekt, aber besser als die vorherigen. Diese Gesetze sind verlängert worden, auch das ist nicht perfekt, aber ein Zeichen für einen möglichen Wandel.

SZ: Dann ist Peking optimal gelaufen?

Rogge: Großartige Spiele, aber der Weg dorthin war nicht einfach - und das ist noch untertrieben.

SZ: Gibt es etwas zu ändern?

Rogge: Der Fackellauf wurde ja auch in Turin 2006 von Demonstranten benutzt, es ging da um einen Tunnelbau. Wir hatten vier Tage Protest wegen etwas, das nichts mit den Spielen zu tun hatte. Sie haben nur die Kameras benutzt, die den Lauf begleiteten, das müssen wir künftig beachten. Wir können nicht sagen, okay, jetzt gehen wir nach Vancouver oder London und haben kein Problem. Wir haben einen Fackellauf, mit dem hat es Missbrauch gegeben. Wir werden ihn in den Veranstalterländern aufrecht erhalten, aber ob wir ihn weiter international ausrichten, darüber müssen wir reden.

SZ: Was ist Ihre Position?

Rogge: Wir müssen die Leute hören, die die Spiele organisieren. Dann genau denkbare Protestformen analysieren, im Gastgeberland und anderswo. Ich weiß noch nicht, wohin sich die Waage da neigt.

Auf der nächsten Seite: Rogge über die Forderungen der Doping-Labors nach immer neuen Maschinen, unausgereifte Tests und seinen Glauben an die Sauberkeit des Wunderläufers Usain Bolt.

"Die Kernfrage ist: Traust du den Leuten?"

SZ: In der Dopingbekämpfung haben Sie viel bewegt. 2002 wurden neue Epo-Tests dem Deutschen Mühlegg und zwei Russinnen zum Verhängnis. 2004 in Athen brachten Sie die Volkshelden Kenteris und Thanou mit Zielkontrollen zur Strecke. 2006 in Turin ließen Sie die Polizei ins Olympiadorf, die Razzia brachte Österreichs Wintersport ins Wanken. In Peking aber wurden angeblich nicht mal alle Testverfahren angewendet. Das Labor war mäßig bestückt, der Laborchef klagte über gebrauchte Geräte. Und die Beobachter der Wada durften gar nicht ins Labor - sind das keine Rückschritte?

Rogge: Die Labors und Geräte sind heute nicht mehr unter IOC-Aufsicht, die werden von der Wada akkreditiert. Also sind wir nicht zu beschuldigen. Und von einem Laborchef werden Sie wohl immer die Klage hören: Oh, die Spiele kommen, ich brauche neue Maschinen.

SZ: Es ist jedoch auf einige Faktoren wie Insulin nicht getestet worden.

Rogge: Aber generell bin ich wirklich irritiert von der Legende, die in Ihrem Land umgeht über all das, was nicht getestet wurde. Nehmen Sie SARMs (fördert den Muskelaufbau ohne anabole Nebeneffekte, d. Red.). Kürzlich fragt mich ein deutscher Fernsehreporter: Warum haben Sie nicht auf SARMs getestet? Ich sage, weil es keinen Test gibt. Frage: Warum haben Sie nicht auf Designerdrogen getestet? Antwort: Weil es keinen Test gibt. Ich mailte Dr. Schänzer (Chef des Kölner Antidoping-Labors, d. Red.) an, er antwortete: Diese Legende hat bei der Deutschland-Radtour begonnen. Die Organisatoren hätten gesagt, es würde alles getestet, null Toleranz, nichts wird passieren. Das war irreführend. Sie wollten ehrlich sein, das bezweifle ich nicht, aber es gab falsche Informationen. Man könne SARMs und Designerdrogen testen - beides ist nicht wahr. Es lässt sich bezüglich Designerdrogen nur etwas Verräterisches im Blut bestimmen, wir wissen aber nicht, was es ist. Wir kennen diese Methode, aber sie ist nicht zugelassen. Wir bewahren also die Proben acht Jahre auf, und wann immer ein neuer Test da ist, wenden wir ihn an. Das ist wie mit dem Epo-Stoff Cera - bei den Spielen war der Test nicht ausgereift. Aber jetzt wenden wir ihn an.

SZ: Seit der Verbesserung der Epo-Tests ist Eigenblutdoping besonders beliebt - wurde darauf getestet?

Rogge: Auch bei Eigenblut fehlt der wissenschaftliche Beweis. Und Olympia ist nicht der Ort für Experimente. Denn wir hatten auch noch den Zeitfaktor: Wir mussten jeden Tag 360 bis 400 Proben im Labor untersuchen, rund um die Uhr, wir brauchten die Ergebnisse ja sehr schnell. Also suchten wir nur, was sicher nachweisbar ist, und nicht nach Substanzen, denen sich ein Laborspezialist viele Stunden lang widmen müsste. Das können Sie nach den Spielen tun, bei den Nachtests.

SZ: Dann erlebte Peking nur das Grobverfahren, und die 500 Nachtest lassen noch so lange auf sich warten, bis die neuen Tests reif sind?

Rogge: Insulin und Cera sind jetzt testbar. Und SARMs werden wir testen, sobald das möglich ist - in einigen Wochen. Wir geben 400 Peking-Proben ins Labor nach Lausanne, 100 nach Köln, einige gehen nach Paris wegen Cera. Und wenn bis 2015 noch ein neuer Test kommt, werden wir ihn auch machen.

SZ: Bis dahin sind die besonders verdächtigen Proben doch längst vertestet.

Rogge: Es gibt ein quantitatives Problem. Um die Rechte der Athleten zu wahren, werden B-Proben nicht angerührt. Und von den A-Proben verschwindet mit jedem Test etwas. Deshalb wollen wir nur wichtige Dinge testen, mit Methoden, die absolut abgesichert sind.

SZ: Zielen diese 500 Nachtests auf ausgesuchte Athleten?

Rogge: Zielkontrollen sind doch das einzige, was funktioniert, sie erhöhen die Trefferchance enorm. 2002 haben wir Mühlegg und die Russinnen nicht im Wettkampf, sondern mit Überraschungstests in ihren Häusern in Salt Lake gefangen. Ihre Wettkampftests waren okay, aber wir hatten einen Verdacht, also haben wir die Kontrolleure losgeschickt.

SZ: Auch die Betrüger lernen dazu...

Rogge: Deshalb erstellen wir mit Experten von Wada und den Verbänden Verdachtsprofile. Wir fertigen Blutprofile an, die anzeigen, da muss etwas sein. Dann schicken wir Fahnder. Wir beobachten Ausschläge in der Leistung. Oder Verbesserungen, die unglaubwürdig sind. Oder Athleten, die mit Trainern oder Doktoren von schlechter Reputation arbeiten. Wir nehmen auch die ins Visier, die öfter verspätet oder gar nicht angetroffen werden.

SZ: Wurden in Peking die Überflieger Usain Bolt und Michael Phelps besonders intensiv getestet?

Rogge: Beide wurden außerhalb des Wettkampfes mindestens zwei- bis dreimal getestet, Bolt hat sich sogar beschwert: Er müsse bald ohne Blut rennen.

SZ: Glauben Sie daran, dass ein ungedopter Athlet mit offenem Schuh Weltrekord rennt und dabei fast ins Ziel joggt?

Rogge: Das fragen viele. Es ist der ewige und natürliche Verdacht gegen jeden, der eine großartige Leistung zeigt.

SZ: War die nicht größer als großartig?

Rogge: Bolt lief mit 17 Jahren 19,65 Sekunden über 200 Meter. Er hat sich fünf Jahre weiter entwickelt, und wurde oft getestet. Ich habe keinen Grund zu zweifeln.

SZ: Wirklich nicht? Jamaika hat nicht mal der karibischen Wada-Filiale angehört. Und Amerikas Doping-Guru Victor Conte, der die besten US-Läufer von Marion Jones bis Tim Montgomery so perfekt getunt hatte, dass sie bei hunderten Tests nie aufflogen, hat schon Ende 2007 einen jamaikanischen Doping-Ring angezeigt. Er gab der Wada Namen und Telefonnummern. Ex-Wada-Chef Pound räumte ein, dieser Ring sei nie untersucht worden.

Rogge: Herr Conte hat vieles gesagt, das will ich nicht kommentieren. Aber Phelps' Leistungen sind stetig gewachsen, das war eine Entwicklungssache.

SZ: Und seine kurze Regenerationsphase zwischen den Läufen?

Rogge: Im Schwimmen muss die Muskulatur nicht, wie beim Laufen, ständig Stöße abfedern, sie liefert harmonische Bewegungen. Man sieht das an der deutlich geringeren Laktatproduktion. Ein Schwimmer kann alle 40 Minuten antreten, ein Fußballer alle drei Tage, ein Marathonläufer nur einige Male im Jahr.

Auf der nächsten Seite: Jacques Rogge über gefälschte Geburtsdaten, die regelrechte Versteigerung der Spieleorte 2012 und 2014 und eine Garantie von Wladimir Putin.

"Die Kernfrage ist: Traust du den Leuten?"

SZ: Es gab andere Probleme in Peking. Glauben Sie an die Geburtsdaten, die die Chinesen für ihre Turnmädchen angaben? Gelöschte Daten im Internet von früheren Wettkämpfen lassen vermuten, dass sie um zwei Jahre älter gemacht wurden, um bei Olympia starten und siegen zu dürfen.

Rogge: Es gibt ein Fragezeichen bezüglich des Alters. Wir haben die Chinesen gedrängt, alles vorzulegen, Schulzeugnisse, Familienbücher, innerhalb von 24 Stunden aus Provinzen, die weit weg sind. Wir haben es dem Turnweltverband weitergeleitet, und der sagte, okay, wir haben keinen Grund zu zweifeln.

SZ: Dann waren also die älteren Daten falsch?

Rogge: Ich glaube, die Chinesen gaben auch dafür eine Erklärung, ich war aber nicht dabei. Es ist nun mal so: Wir brauchen Fakten. Wir müssen glauben, was uns Regierung und Verband sagen.

SZ: London und Sotschi, die Spieleorte 2012 und 2014, wurden regelrecht versteigert. In Sotschi gibt es keine Wintersporttradition, auch London hatte ein großes virtuelles Angebot - erwirbt künftig der Meistbietende die Spiele?

Rogge: Es gab auch früher virtuelle Bewerbungen, daraus wurden erfolgreiche Spiele. Sydney hatte bei der Bewerbung nur ein Cricket-Feld und ein altes Stadion. Aber wir glaubten an die Qualität der Australier, und sie schafften es. Lillehammer hatte nur ein Tal und die Berge. Die Kernfrage ist: Traust Du den Leuten, die die Spiele austragen? Ich persönlich bin nicht so glücklich mit virtuellen Bewerbungen. Ich bevorzuge etwas, das existiert. Andererseits sorgen virtuelle Bewerbungen für eine Konzentration der Spielstätten und bessere Nachhaltigkeit.

SZ: Dabei gibt es ein gewaltiges Risiko...

Rogge: ... ja, die Finanzen. Risiken durch politische Wechsel oder große Wirtschaftskrisen wie die aktuelle.

SZ: Bringt diese Weltfinanzkrise, wenn die Befürchtungen halbwegs eintreffen, nicht auch die Reißbrettspiele von London und Sotschi in enorme Schieflage?

Rogge: In Vancouver stehen die Gebäude schon, wir starten bald mit Testwettkämpfen. In London ist das Problem nicht sehr groß, es gibt eine Unterdeckung mit privaten Geldern bei der Gesellschaft, die das Olympiadorf baut. Die Regierung gibt 90 Millionen Pfund Darlehen, die Bauherren geben das Geld zurück, sobald die Appartements in East London verkauft sind. Das ist geregelt. Doch was morgen mit der Welt sein wird, weiß ich nicht, ich habe keine Kristallkugel.

SZ: Und Sotschi? Wann wird dort richtig gebaut?

Rogge: Sotschi ist eine besondere nationale Aufgabe der Regierung. Wir bekamen gerade von Wladimir Putin die Zusicherung, dass die Budgets stehen. Sotschi ist erst in sechs Jahren, es ist viel Zeit.

SZ: Fünf Jahre. Und den Oligarchen geht das Geld aus.

Rogge: Uns ist zugesichert, dass im Fall eines Defizits an Privatgeldern die Regierung einsteigt. Die hat klar gesagt: Russland ist die Nation mit den drittgrößten ausländischen Währungsreserven. Sie haben über 500 Milliarden Dollar Reserven und sind Ölproduzent.

SZ: Sie sagen, es käme auf Glaubwürdigkeit an. Holen deshalb nun die Staatschefs persönlich die Spiele in ihre Länder? Blair warb für London, Putin für Sotschi - 2009 will Obama die Spiele 2016 in seine Heimatstadt Chicago holen.

Rogge: Dass immer mehr Staatsoberhäupter zur Städtewahl kommen, ist ein Reflex auf die Bedeutung der Spiele.

SZ: Die europäischen Fernsehanstalten hatten für die Verhandlungen um die Senderechte 2014/16 Zeit bis Ende 2008. Die Verhandlungen um den US-Fernsehvertrag aber stellt das IOC zurück, bis nach der nächsten Städtekür im Herbst 2009. Hat Chicago dann die Spiele, fließt gewiss viel Geld. Wenn nicht, gibt es sicherlich deutlich weniger vom US-Fernsehen. Ist dieses Timing Kalkül?

Rogge: Nein. Wir begannen die TV-Verhandlungen mit Europa vor der Finanzkrise, am 1. September. Es gab Angebote, die dem wirtschaftlichen Klima seinerzeit angemessen waren. Wir führten auch Gespräche mit den US-Sendern, aber die steckten schon tief in der Krise. Und es sind ja nicht staatliche, sondern private Gesellschaften: NBC, CBS, ABC. Alle leben sie von der Werbung, und die Werbepreise brechen ein. Nun wollen wir nicht in einer Periode verhandeln, wo uns der Partner sagt, wir müssen gerade viele Leute entlassen, die Budgets kürzen. Da warten wir lieber. Es ist also keine politische Absicht dahinter. Letztlich wäre es für das IOC besser, wenn die TV-Rechte vor der Städtewahl vergeben sind - was in guten Wirtschaftszeiten möglich ist. Aber jetzt wäre es töricht, zu verhandeln.

SZ: Auch in Europa, wo das IOC die Offerte des öffentlich-rechtlichen Verbundes EBU abgelehnt hat, läuft es auf die Privaten hinaus. Haben die hier nicht dieselben Probleme wie ihre US-Kollegen?

Rogge: Für die europäischen Rechte gab es eine Ausschreibung. Sie erbrachte ordentliche Offerten der staatlichen Bewerber, aber die Privaten boten mehr. Wir fragten sie dann, ob ihre Zahlen von September noch gelten, die Antwort war Ja. Also werden wir abschließen, denn diese Firmen haben uns gesagt, sie sind bereit, für 2014/2016 zu unterschreiben. Die Amerikaner waren nicht so weit.

SZ: Die EBU droht schon mit weniger Sportübertragungen. Keine Angst, dass mehr Geld fürs IOC auch bedeuten kann, dass kleinere und Randsportarten vom Bildschirm verschwinden?

Rogge: 94 Prozent unserer Einnahmen gehen an den Sport. Gleich nach Peking haben wir 296 Millionen Dollar an die internationalen Verbände überwiesen. Unter den 35 olympischen Verbänden sind 25 oder 26, die exklusiv von den TV-Geldern des IOC leben. Ich sprach gerade mit drei Weltverbandspräsidenten, in deren Budgets der Finanzbeitrag des IOC 80 Prozent ausmacht. Sie sagten mir: Jacques, bitte bring uns einen guten Vertrag, wir brauchen ihn. Und ich sage auch, wenn Europas staatliche Sender kein Geld in der Größenordnung von 600 bis 650 Millionen für Olympia ausgeben wollen, können sie es ja in andere Sportarten stecken. Diese Sender brauchen Sport. Sie kommen bestimmt zurück zu den Verbänden, da habe ich keine Zweifel.

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