Olympische Spiele:Die große digitale Mauer

Wie die Zensur funktioniert: China hat inzwischen nicht nur die meisten Internetnutzer in der Welt, sondern auch die avanciertesten Filter- und Blockade-Einrichtungen für das Netz.

Bernd Graff

Nirgends ist Zensur so heimtückisch wie im Internet. In Büchern sind geschwärzte Stellen zu erkennen, in Filmen abrupte Schnitte zu sehen, im Netz aber werden missliebige Inhalte spurlos gelöscht. Wer in China nicht weiß, dass es Websites von Amnesty International, von BBC News oder auch der Deutschen Welle gibt, wird die Zensur des Ministeriums für Öffentliche Sicherheit nicht einmal bemerken. Wer dort im Netz nach Begriffen wie "Massaker"oder "Meinungsfreiheit" forscht, erhält entweder gar nichts oder gesiebte Ergebnisse oder Fehlermeldungen, die glauben machen, Seiten seien aufgrund von Störungen nicht verfügbar. Die ausgeklügelte Technik dahinter hat einen Namen: "Golden Shield" nennt sich die 1998 errichtete große chinesische Digital-Mauer, mit der die Kommunisten Inhalte des Internets dem Volk vorenthalten, ohne offen den Eindruck zu erwecken, dass sie es tun. China hat inzwischen nicht nur die meisten Internetnutzer in der Welt, sondern auch die avanciertesten Filter- und Blockade-Einrichtungen für das Netz. Eine Langzeitstudie der Harvard Law School hatte bereits Ende 2002 rund 19.000 Websites aufgelistet, die chinesischen Augen ohne jeglichen Hinweis verborgen blieben (http://cyber.law.harvard.edu/filtering/china).

Olympische Spiele: Ein gewohntes Bild in diesen Tagen: Ein chinesischer Polizist verwehrt den Eingang zum National Stadium.

Ein gewohntes Bild in diesen Tagen: Ein chinesischer Polizist verwehrt den Eingang zum National Stadium.

(Foto: Foto: AFP)

Schund fernhalten

Dabei kommen verschiedene Techniken zum Einsatz, die vom simplen Blocken der inkriminierten Internetadressen, der Filterung von Inhalten bei ihrer Übertragung und der Verweigerung eines Verbindungsaufbaus zwischen Computern reichen bis hin zur Umleitung von Suchanfragen. So kann man zum Beispiel durch die Manipulation von Namenslisten-Servern die Anfrage nach der Seite einer Menschenrechtsorganisation mit der Ausgabe einer regierungsfreundlichen Seite beantworten.

Und doch gibt es auch - nicht minder fortschrittliche - Methoden, diese Seiten-Blockade zu umgehen. Eine ist die Verschlüsselung von Internetadressen und den Inhalten auf Webseiten, die von den Filtern dann nicht mehr gelesen werden können. Eine andere die Verbreitung von Information über Videos, die Suchalgorithmen gezielt unterlaufen. Die letzte und wohl raffinierteste heißt Picidae. Sie stammt von den Deutsch-Schweizern Christoph Wachter und Mathias Jud (http://www.picidae.net). Hinter dem lateinischen Namen für Specht, eine Reminiszenz an die Berliner Mauerspechte, verbirgt sich eine Software, die alle gewünschten Internetadressen nicht als Textseiten in HTML, sondern als Bilder ausgibt. Damit macht sie sich ein Manko der Überwachungsmechanismen zu Nutze: Lesen können die Zensurmechanismen zwar, aber sie haben keine Augen, um Bilder zu dechiffrieren.

Und noch etwas: Die chinesische Regierung begründet die Zensur-Maßnahmen auch damit, dass sie damit wirksam Pornographie und Schund aus dem Land halten könne. Die Harvard-Studie hat nachgezählt: Nur etwa 15% solcher Seiten werden von chinesischen Filtern geblockt. Saudi Arabien hingegen lässt 86% außen vor. Wollten es die Chinesen wirklich, sie könnten es also.

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