Olympische Spiele:China sitzt auf der Anklagebank

Lesezeit: 4 min

Drogenschmuggel staatlicher Firmen, pikante Funde in Sportschulen, belastete Trainer in hohen Ämtern - das Dopingsystem im Riesenreich hat viele Facetten.

Thomas Kistner und Grit Hartmann

China ist weit weg, Ekaterini Thanou kann nicht mit dem Motorrad hinfahren. Aber sie kommt und vernetzt symbolisch Peking mit Athen 2004: Thanou, die damals mit Sportskamerad Kostas Kenteris die Schlagzeilen vom Spital aus diktiert hatte, nachdem die zwei vor der Eröffnungsfeier auf der Flucht vorm Dopingkontrolleur einen Verkehrsunfall inszeniert hatten. Die, nun ja, behandelnden Ärzte wurden verurteilt, das Muskelfräulein Thanou machte unterdessen beinahe Karriere trotz Dopingsperre: Eigentlich wurde sie ja Olympiasiegerin, als Nachfolgerin der ihrer Goldmedaillen entkleideten Sprintheldin von Sydney 2000, Marion Jones. Dem IOC reichte es aber, dass Thanou dabei sein darf.

Hingucker der anderen Art: Ekaterini Thanou, Skandal-Sprinterin von 2004 in Athen, steht auch 2008 in Griechenlands Kader. (Foto: Foto: AFP)

Ihr auf Lebzeit gesperrter Lauftrainer Christos Tsekos brach derweil zu neuen Ufern auf und landete im Schwimmen, wo er Talent Ioannis Drymonakos vorfand. Drymonakos gewann im Februar bei der EM Gold über 200 m Kraul, Silber über 400 m Lagen - dann flog Hellas' erster Europarekordler als Doper auf: Methyltrienolon war das Steroid seiner Wahl, was umweglos ins Reich der Mittel führt. Nicht nur Drymonakos hatte die Substanz intus, sondern auch elf griechische Gewichtheber.

Deren Nationalcoach ist zufällig Tsekos' Intimus Christos Iakovou, beide sind seit jeher unter Verdacht. Das leberzersetzende Steroid stammt von der Firma Auspure Biotechnology in Shanghai - geht es um gewiefteste Dopingpraktiken, führen eben alle Wege nach China. Auspure, taten Chinas aufgescheuchte Behörden kund, werde dichtgemacht, der üble Laden habe keine Lizenz besessen. Was nicht nachvollziehbar ist eingedenk einer Produktpalette mit Hunderten Steroiden und Filialen in Korea und Hongkong - so ein Betrieb soll seit 2003 illegal gearbeitet haben?

Offenbar wird die in Verruf geratene Firma nur so abgeschottet wie GeneScience Pharmaceuticals. Offiziell verlor dieser Hersteller im Juni die Lizenz, es geht um das Wachstumshormon Jintropin, schon in der Entwicklung ein Schlüsselprojekt des 9. Nationalen Fünfjahresplans. Firmengründer Jin Lei hatte das seit 2001 gefertigte Präparat nach sich selbst benannt; "Jins" heißen die begehrten Ampullen im Doperjargon. Gefunden wurden sie schon beim Madrider Dopingarzt Eufemiano Fuentes, und Sylvester Stallone wollte damit den australischen Zoll passieren.

480 Millionen Dollar Jahresumsatz

Dr. Jins Firma wirbt damit, dass sie 80 Prozent der Wachstumshormone (HGH) aus China herstellt. Das wäre enorm: Laut Welt-Antidopingagentur ist China Nummer Eins auf dem globalen Dopingmarkt, HGH soll gar zu 80 Prozent aus China kommen, 480 Millionen Dollar Jahresumsatz. Bei GeneScience lässt sich dazu nichts mehr auf Englisch nachlesen. Es gibt nur noch die chinesische Website.

Die jähe Diskretion hat einen Grund. Ein Gericht im US-Bundesstaat Rhode Island hat GeneScience, Jin und drei Dealer angeklagt, wegen Drogenschmuggels und Geldwäsche. Auf New Yorker Bankkonten wurden, wie das Gericht im Juni bekanntgab, 2,7 Millionen Dollar unwideruflich beschlagnahmt, es war das erste Mal, dass die Amerikaner ihr Patriot Act gegen Chinesen anwendeten. Das Gesetz erließ der Kongress 2001 zur Terrorismusbekämpfung. Die US-Ermittler bezeichnen Jin als Kopf eines Drogenrings, der den lizensierten Weltmarkt mit HGH bedroht.

Mindestens seit 2004 betrieb Jin via Internet mit zig Mailadressen und Konten Schwarzhandel mit Jintropin. Es war ein Drittel billiger als jedes andere HGH, inklusive Versicherung für den Fall, dass eines der als Spielzeug oder Haarwuchsmittel deklarierten Pakete im Zoll hängen blieb. In den USA drohen Jin bis zu 20 Jahre Haft, auch andere Länder führen ihn auf der Fahndungsliste. Doch die USA haben mit China keinen Auslieferungsvertrag. Und Peking, sagt Staatsanwalt Thomas Connell, hätte gar nicht reagiert auf die Anklage. Dabei ist es direkt betroffen: GeneScience, mit 570 Beschäftigten eine der größten Pharmafirmen des Landes, gehört zu 70 Prozent einer Tochter des Verwaltungskomitees der Changchun High&New Technology Development Zone, einer staatlichen Wirtschaftseinheit. In Amerika sitzt also China auf der Anklagebank. Der Staat soll vom Drogenschmuggel einer Firma profitiert haben, die ihm mehrheitlich gehört.

Ruhe seit 2001

Da wirken die Verrenkungen naiv, die das IOC vollführt, um Geschäftspartner Peking vom Verdacht systematischen Betrugs reinzuwaschen. So durchschaubar wie der mantrahafte Hinweis des IOC auf 4500 Dopingtests während der Spiele - als gäbe es nicht all die Tricks und Mittel, just aus chinesischer Produktion, um Tests zu umgehen. Schon 1998 musste das IOC nach Dutzenden Dopingfällen klären, ob in China ein System walte. Am Ende stand die Reinwaschung. Die fromme These hielt bis 2000, dann warf, Tage vor den Sydney-Spielen, Pekings Sportführung 27 gedopte Sportler und 13 Trainer aus dem Olympiakader.

Seither ist Ruhe. Die angeraten war, denn 2001 mussten erst die Spiele nach Peking geholt werden. Zugleich wurde der Sportstaatsplan "Projekt 119" initiiert, der auf den Gewinn aller Medaillen in olympischen Kerndisziplinen wie Leichtathletik, Schwimmen abzielte. Und wichtiger: In Peking wurde die erste zentrale Sportklinik eingerichtet. Li Guoping leitete sie von Anfang an, Chef des Sportärzteverbands und Chefarzt von NOK und Olympiateam. Bald gab es Ausreisekontrollen, aber keine internationalen Skandale mehr. Laut Li sind 30 Ärzte für die Nationalteams in der Klinik fest angestellt, weitere 120 werden von den Provinzen bezahlt. Alle unterstehen der Fachaufsicht seiner Klinik, die auch eine Forschungsabteilung hat und im vierten Stock die Spitzenathleten behandelt.

Dass Chinas Sportärzte zentral gesteuert sind, wird bisher ausgeblendet. Dabei fällt diese Steuerung wie einst im DDR-Sport zusammen mit dem Ende der großen Dopingchronik. Zugleich finden sich straffe Zuchtprogramme: Die Athleten in den Sportschulen sind offenkundig entmündigt, ohne Verbindung nach außen, Prämien laufen meist über Trainerkonten, sie sind nur darauf gedrillt, Land und Eltern Ehre zu machen. Kaufen so brave Kadergeschöpfe Dopingmittel auf eigenes Risiko? Als etwa 2007 in der Anshan-Sportschule im Nordosten 450 Flaschen mit Dopingstoffen gefunden wurden, mussten die Trainer zugeben, dass sie ihre 15- bis 18-Jährigen Eleven dopten. Sündenfälle in Teamstärke deuten immer wieder auf Systemdoping hin.

Wundertrainer Ma

An der Anshan-Schule wirkte übrigens auch Ma Junren, Chinas großer Wundertrainer. 1993 liefen seine Mädels Fabelweltrekorde im Akkord, über 1500, 3000 und 10.000 Meter, einige davon stehen heute noch. Vor den Sydney-Spielen verschwand Mas Läufer-Armee dann von der Bildfläche, sechs seiner Wundersportlerinnen hatten enorme Epo-Mengen intus. Bis heute wird Oberdoper Ma als temporäre Verirrung dargestellt, aus der alten, vergangenen Zeit.

Sein Schüler Gong Ke, Lauftrainer, weiß es besser: Ma, der nach Einführung des Epo-Tests eine Firma für Nahrungsergänzungsmittel führte, arbeitete noch jahrelang als Trainer, dem Staat blieb er erhalten. Er wurde zum Vizesportchef der Provinzregierung befördert und trat erst 2008 als Abgeordneter des Volkskongresses ab; in der Hafenstadt Dalian besitzt er ein Dutzend Villen mit Meerblick. Das offenbart die perfide Perfektion des Sportsystems: Auch andere Dopingtrainer arbeiteten weiter, Ma war nur der prominenteste.

Weniger perfekt ist dafür Chinas neues Kontrolllabor. Peking gab gerade mal drei Millionen Euro für die Ausstattung, die ja die "saubersten Spiele" garantieren soll. Das sind Peanuts eingedenk 40 Milliarden Gesamtkosten, die das Land für die Muskelshow springen lässt. Ein deutscher Experte merkt zur Laborqualität an: "Sie können mit dem BMW oder mit einem Ferrari messen." Laborchef Wu Moutian verhehlt erst gar nicht, dass er die Spiele mit einem Gebrauchtwagen begleitet. Wenn es mal Probleme gibt, hat kürzlich ein Kollege gesagt, "können wir es auch bei uns in Köln machen".

© SZ vom 06.08.2008/hum - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: