Olympische Spiele 2008:Ästhet der Macht

Der Regisseur Zhang Yimou inszeniert für die Eröffnungsfeier in Peking ein bombastisches Spektakel. Für seine Kritiker ist der geniale Filmemacher die Leni Riefenstahl Chinas.

Kai Strittmatter

Das Stadion. Heute sein Reich. Wale werden darüber hinweg fliegen, Zehntausende sich wie von Zauberhand zu Bildern formen, am Ende werden die Turner zur digitalen Uhr. Drei. Zwei. Eins. Lasst die Spiele beginnen. Die Spiele, die China dazu nutzt, der Welt ein Bild, eine Vision seiner selbst zu präsentieren. Serviert bekommen wird die Welt eine Mischung aus Hollywood und Nordkorea, die Eröffnungsfeier ist da Programm. Dass mittendrin auch Terrakottasoldaten marschieren, die Krieger des Ersten Kaisers, dafür hat Zhang Yimou gesorgt. Zhang Yimou, der berühmteste Regisseur des Landes. Der einstige Liebling der Intellektuellen und der europäischen Kunstfilmfestivals. Der Erneuerer des chinesischen Kinos. Der geniale Filmemacher, den Weggenossen von einst heute einen Wendehals schimpfen. Ganz Böse, wie der Shanghaier Kritiker Wang Xiaoyou, nennen ihn "die Leni Riefenstahl Chinas": Wie jene, sagen sie, habe er sich zum willigen Bilderschöpfer der Diktatur machen lassen. Zhang Yimou, der heute die Regie führt, wenn der Welt der Mund offen stehen wird ob des Pekinger Spektakels, dem Vaterland und der Partei zu Ehren.

Olympische Spiele 2008: Zhang Yimou hat den freiwilligen Helfern für die Eröffnungsfeier ein filmreifes Lächeln beigebracht.

Zhang Yimou hat den freiwilligen Helfern für die Eröffnungsfeier ein filmreifes Lächeln beigebracht.

(Foto: Foto: AFP)

Wandel zum Propagandisten

Zhang Yimou hat selbst einmal einen Krieger des ersten Kaisers gespielt, im zurecht vergessenen Film "Kampf und Liebe eines Terrakottasoldaten" von 1989. Später hat er dem Ersten Kaiser ein Denkmal gesetzt, in seinem spektakulären Epos "Hero" 2003, welches viele Chinesen schockierte und ihnen mit einem Paukenschlag den Wandel des Regisseurs kund tat: einst Avantgarde, heute Populist und Propagandist.

Zhang Yimou kam zur Welt in jener Stadt, in der sie zuhause waren, der erste Kaiser und seine Soldaten: im heutigen Xi'an. Kindheit und Jugend waren keine leichten in der jungen Volksrepublik, Zhangs noch weniger: Seine Vater war Offizier der verhassten Nationalisten. Beim Start der Kulturrevolution 1966 wurde er aus der Schule gerissen und zur Arbeit aufs Land verschickt. Er begann zu fotografieren, und seine Bilder verschafften ihm 1978 einen Studienplatz an der Pekinger Filmakademie, für die er mit 27 eigentlich schon zu alt war. Er studierte mit Chen Kaige, ihre Klasse bildete den Abschlussjahrgang von 1982, die legendäre "fünfte Generation".

Chen und Zhang schufen gemeinsam als erstes Werk den Klassiker "Gelbe Erde", das Fanal zur Wiedergeburt von Chinas Kino. Die jungen Wilden gingen dran, das Kino der Propagandamaschinerie zu entreißen. Zhang Yimous erste Regiearbeit, das "Rote Kornfeld", katapultierte ihn gleich nach Berlin, wo er 1988 den Goldenen Bären gewann. Der Film offenbarte gleichermaßen Zhangs visuelle Kraft, die bis heute Bilder schafft, welche die Zuschauer wie betäubt zurücklassen, wie auch jenen Humanismus, den das an Körper und Seele schwer verwundete China nach Ende der Kulturrevolution langsam wieder freilegte.

"Marschiere mutig voran"

Bis heute ist das Titellied des "Roten Kornfelds" - eigentlich ein Aufschrei - in den Karaoke-Katalogen des Landes zu finden. "Mädchen!", ruft der Sänger trotzig der Heldin - schon damals Gong Li - zu: "Marschiere mutig voran!" Wohin aber? In ihr eigenes Leben, zur Freiheit, weg von Tradition und Repression. Ein Motiv, das Zhang später in Filmen wie "Judou" oder "Rote Laterne" variiert. Immer ist es eine Frau, die sich gegen den oft unsichtbaren, alles erstickenden Patriarchen auflehnt. Und meist wird der durch die Farbe Rot vertreten. Kein Wunder, dass Filme wie "Judou" oder "Leben" in China verboten wurden, die KP verstand sie zu Recht als Metaphern für den Kampf gegen autoritäre Führerfiguren. Gegen die Roten.

Kein Wunder auch, wenn Zhang Yimou es irgendwann satt hatte, im Ausland mit Preisen überhäuft, zu Hause aber sträflich unterschätzt zu sein. 2003, zum Erscheinen von "Hero", proklamierte er, es sei nun an der Zeit, sich "vom kommerziellen Filmmarkt ein Stück Fleisch herauszureißen". Von da an verlangte der mit dem größten Talent begnadete Regisseur Chinas auch mit den größten Budgets des Landes ausgestattet zu werden (seit "Hero" brechen Zhangs Filme regelmäßig den Rekord als "teuerster chinesischer Film aller Zeiten"). Der Zuschauer bekam ja auch etwas für sein Geld - wenn einen Zhang mit seiner visuellen Opulenz zuvor bloß betäubte, so erschlug er einen nun regelrecht damit, und seine Kampfsport-Akrobatik wurde zur hohen Balletkunst.

Eine Überraschung war es aber wohl, mit welcher Botschaft Zhang sein neues Werk und seine Protagonisten ausstattete. Statt Kung Fu einfach Kung Fu sein zu lassen, schlugen sich seine Helden ins andere Lager - in das der Macht. Das Verhältnis der Chinesen zu ihrem ersten Kaiser ist ein komplexes: Sie verdanken ihm die Einigung ihres Reiches und können ihm doch bis heute seine Grausamkeit nicht verzeihen, etwa die, konfuzianische Gelehrte lebendig begraben zu haben.

Auf der nächsten Seite: Morden, um das Reich zu einen - auch im Film.

Ästhet der Macht

Zhang Yimou kommt das Verdienst zu, als erster Künstler seit dem Tod des Kaisers vor 2200 Jahren den blutrünstigen Tyrannen als von Sorge um sein Volk zerfressenen Menschen zu zeichnen. Warum er unser Mitleid verdient? Weil er - unter Schmerzen - für das heilige Reich tötet. "Ich töte, um das Töten zu beenden. Ich brandschatze, um Ordnung zu bringen", klärt der Kaiser in "Hero" den Attentäter auf, der angeschlichen war, ihn zu beseitigen: "Ich erobere, um das Reich zu einen." Dann verdrückt der Kaiser eine Träne, und der Attentäter lässt sich gerührt fassen und hinrichten. Aha, resümierte ein Kritiker hernach sarkastisch: "Wer die meisten Leute umbringt ist also der größte Pazifist." Tatsächlich erklärte Zhang Yimou, sein Held opfere sich "für eine gerechte Sache". Und auch der Hongkonger Hauptdarsteller Tony Leung pries den Pazifismus des Films. "Zum Beispiel", sagte Leung, "nahm ich während des 4. Juni 1989 (Massaker am Platz des Himmlischen Friedens, Anm. d. Red.) an keiner Demonstration teil - weil die chinesische Regierung das Richtige tat: Stabilität zu erhalten, das war gut für alle."

Olympische Spiele 2008: Der Regisseur Zhang Yimou inszeniert die Eröffnungsfeier in Peking.

Der Regisseur Zhang Yimou inszeniert die Eröffnungsfeier in Peking.

(Foto: Foto: AFP)

"Reaktionär der Filmwelt"

Die KP liebte den Film und liebt seither den Regisseur. Die Uraufführung fand in der Großen Halle des Volkes statt, das staatliche Filmbüro - die oberste Zensurbehörde - reichte ihn als Beitrag Chinas zu den Oscars ein. Die liberalen Intellektuellen aber verfolgten staunend den Wandel ihres Helden zum "Reaktionär der Filmwelt" (so der Kulturkritiker Zhu Dake). Wenn Zhang Yimou sich heute überhaupt verteidigt, dann gegen den Vorwurf des Kommerzes: Er kämpfe so gegen Hollywood für den Fortbestand "chinesischer Kultur und Tradition", sagte er im letzten Jahr. Ironisch nur, dass die Kommerzialisierung bei vielen die Befreiung von politischen Zwängen mit sich brachte, bei Zhang Yimou aber das Gegenteil bedeutet.

Seit den Attacken auf "Hero" meidet Zhang allzu offensichtliche Politik in seinen Filmen, manche wollten in seinem letzten Werk "Der Fluch der goldenen Blume" sogar versteckte Kritik am Massaker vom Tiananmenplatz erkennen. Für andere aber lässt sich auch dieser Film ebenso wie "Hero" als Bewerbungsstück für die Massengymnastik im Olympiastadion lesen: ein Rausch der Farben, der Spezialeffekte und der Massenszenen; dem Einzelnen im Tanz der Menge nur hie und da ein teilnahmsloser Blick. Eine Ästhetik der Macht.

Ein überzeugter Kommunist zu sein, hat Zhang Yimou noch keiner vorgeworfen; seine Kritiker sehen in ihm schlicht den Opportunisten. Der Schriftsteller Wang Shuo schlug vor, Zhang solle sich nach Ende der Spiele für den Posten des Filmministers bewerben. Zhang Yimou selbst hatte nach dem Drehschluss des "Fluches" mitgeteilt, er woll nicht ewig historische Massenspektakel verfilmen: "Vielleicht wird mein nächster Film eine tiefe soziale oder politische Botschaft haben. Schwer zu sagen."

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