Olympische Jugendspiele:Olympia-Talente: Training, Schule, essen, schlafen

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Talente wie Anton Grammel (rechts, Bronze im Riesen-Slalom) arbeiten früh im Leben ein großes Pensum ab. (Foto: Simon Bruty/AP)
  • In Lillehammer finden die olympischen Jugendspiele statt.
  • Die deutschen Elitesportler müssen schon früh im Leben ein enormes Pensum meistern - und schaffen das meist auch ohne Probleme.
  • Dabei sind ihre Tagesabläufe oft streng durchgeplant - mit einer Mischung aus Schule, Training, essen und schlafen.

Von Thomas Hahn, Lillehammer

Neulich ist die Rodlerin Jessica Tiebel umgekippt. Es passierte beim Arzt, nach einer Spritze, die sie wegen eines grippalen Infekts bekommen hatte. Wahrscheinlich ist sie auf das Medikament allergisch, Jessica Tiebel lässt das gerade abklären. Aber ihr Arzt war erst nicht sicher, ob sie sich nicht eine Herzmuskel-Entzündung eingefangen hatte. Es dauerte eine Weile, ehe feststand, dass ihr Herz in Ordnung war. Ihren Einsatz bei der Junioren-WM in Winterberg am vorvergangenen Wochenende musste Tiebel trotzdem absagen. Blöd, aber okay. "Ich habe mich eh nicht gut gefühlt." Und bei den Olympischen Jugendspielen in Lillehammer ist sie ja jetzt wieder dabei - mit durchschlagendem Erfolg. Silber im Einzel, Gold mit der Staffel. "Bist du jetzt glücklich?", fragt jemand. "Ja", sagt Jessica Tiebel.

Die Altenberger Nachwuchs-Rodlerin Jessica Tiebel, 17, hat diese Geschichte vom Umkippen und Wiederaufstehen selbst erzählt in Lillehammer. Sie machte kein Drama draus. Außerdem war es gut zu wissen, dass ihr Arzt im Zweifel auch mal keinen Start möglich macht. Und trotzdem hat die Geschichte auch nachdenklich gestimmt. Eine 17 Jahre alte Athletin fällt in Ohnmacht? Sagt das nicht auch etwas über einen Sportbetrieb, der so zehrend ist, dass er selbst begabteste Teenager umhaut?

Junioren sollen keine Sportfachidioten sein

Dass es sich bei den Jugendspiele-Teilnehmern um ausgelassene Vertreter der Spaß-Generation handelt, wäre jedenfalls eine falsche Vorstellung. Lauter seriöse Eliteschüler trifft man bei U18-Olympia, lauter Profis im Profiwerden. Nicht alle 44 Mitglieder aus der deutschen Lillehammer-Mannschaft werden auch als Erwachsene erfolgreich sein. Aber die Wege ihrer frühen Lebensjahre sind im Grunde vorgezeichnet von einem System, das Medaillen produzieren soll. Gerade im Wintersport arbeiten die Verbände in dieser Hinsicht sehr effektiv. Schon 2014 in Sotschi standen Leute im deutschen Olympia-Team, die zwei Jahre zuvor bei den Jugendspielen in Innsbruck waren. Der Jugend-Olympiasieger Andreas Wellinger gewann sogar Gold mit der Skisprung-Mannschaft.

Wer mit seiner Begabung etwas werden will, muss sich einlassen auf beharrliches Üben und einen straffen Tagesablauf. Und weil sich bei den Verbänden vernünftigerweise die Haltung durchgesetzt hat, dass man Junioren nicht zu Sportfachidioten ausbilden darf, gehört zum Training eben auch das Lernen für den Schulabschluss. Jugendarbeit ist nichts für pädagogische Grobmotoriker. "Das ist eine sehr komplexe Thematik", sagt Dirk Schimmelpfennig, Vorstand Leistungssport im Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB). Neben der dualen Karriere, die Sport- und Berufsausbildung in Einklang bringt, ist ihm dabei noch etwas wichtig: das Privatleben. "Sportler müssen Zeit finden für ein Leben neben Leistungssport und der Schule. Da muss man für die jungen Menschen ein Programm haben, das ihrer Entwicklung und ihrer Belastbarkeit entspricht."

Leute wie Jessica Tiebel verleben demnach eine Jugend, in der es zu jedem Aspekt einen Plan gibt. Solange nicht irgendwelche medaillenversessenen Zyniker ihre Körper mit Dopingmitteln aufblasen oder sie verheizen, ist das auch nicht schlimm. Die Hochbegabten sind in ein Abenteuer geraten, das ihnen seltene Chancen eröffnet. Jessica Tiebel könnte Olympiasiegerin werden. Und Eishockey-Spieler Erik Betzold, 16, der an diesem Donnerstag im Technik-Turnier um eine Jugendspiele-Medaille kämpft, könnte eines Tages sein Lieblingsspiel zum Beruf machen.

Betzold kommt aus Nordhausen, seit zwei Jahren spielt er für die Jugend des DEL-Klubs Kölner Haie und wohnt im Sportinternat. "Ich habe jeden Tag Training, Athletik und Eis, teilweise bis 21 Uhr. Dazu gibt's nur noch Hausaufgaben, Essen und ins Bett." 30 Spiele umfasst außerdem die Schülerliga, plus das Finale um die Meisterschaft. Erik Betzold macht nicht den Eindruck, als sei ihm das zu viel. Im Gegenteil. Im Mai spielt die U16-Nationalmannschaft ein Sechs-Nationen-Turnier. "Hoffentlich bin ich da auch wieder dabei", sagt er.

Shorttrackerin Anna Seidel ist 17 und trotzdem schon berufstätig

Patente junge Leute vertreten den DOSB in Lillehammer. Sie sind höflich und selbstbewusst, sie gewinnen Medaillen, geben Interviews in fließendem Englisch. Und sie können lächeln. Anna Seidel zum Beispiel, in Lillehammer Bronze-Gewinnerin im Shorttrack, besitzt ein derart sonniges Temperament, dass man fast vergessen könnte, was dieses Persönchen schon alles zu schultern hat. Anna Seidel startet erfolgreich im Weltcup der Erwachsenen, sie war in diesem Winter schon in Japan, China und Russland. Beim Weltcup in Dresden war sie bei den Medien als Lokalmatadorin und größte Zukunftshoffnung der Deutschen Eisschnelllauf-Gesellschaft gefragt. Natürlich war Anna Seidel auch 2014 bei Olympia. Sie ist 17, muss noch Hausaufgaben machen und ist irgendwie trotzdem schon berufstätig. Ist das toll? Anna Seidel schreibt auf Facebook über Shorttrack: "Ich liebe diesen Sport so sehr."

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Von Thomas Hahn

Jessica Tiebel, die Junioren-Weltmeisterin von 2015, ist auch rumgekommen in dieser Saison mit Junioren-Weltcup und deutscher Meisterschaft. Lillehammer, Sigulda, Königssee, Innsbruck, noch mal Königssee, Altenberg, Oberhof, Umkippen, weiter. Tiebel grinst, als sie von ihrem Alltag erzählen soll. Da ist nicht viel mehr als Training, Schule, essen, schlafen. Und während der Saison lebt sie sozusagen auf Zuruf. "Den Ablaufplan bekommen wir meistens per WhatsApp immer für den nächsten Tag vom Trainer. Zum Beispiel: 7.30 Frühstück, 8.15 Abfahrt, 9 Uhr bis 12 Uhr Bahntraining usw." Sie weiß, dass sie keine Jugend wie jede andere hat, aber so ist jetzt halt ihr Leben. Und es klingt kaum ein Zweifel daran durch, als sie sagt: "Meistens fühle ich mich schon wohl."

© SZ vom 18.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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