Olympische Eröffnungsfeier:Das stärkste Zeichen

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Mit der Wahl des Fahnenträgers brüskiert die US-Mannschaft China und die eigenen Funktionäre: Es ist der sudanesische Flüchtling Lopez Lomong.

Christian Zaschke

Die 23 Kapitäne der amerikanischen Olympia-Mannschaft haben das bisher stärkste Zeichen dieser Spiele gesetzt: Sie haben Lopez Lomong zum Fahnenträger bei der Eröffnungsfeier ernannt. Es ist eine außergewöhnlich mutige und selbständige Geste, eine, mit der sich die amerikanischen Sportler positionieren und zeigen, dass Athleten sehr wohl politisch denken und handeln können. Der 1500-m-Läufer Lopez Lomong stammt aus dem Sudan, er musste von dort als Sechsjähriger fliehen, es ist nicht weniger als ein Wunder, dass er überlebte, dass er in die USA kam, dass er sich für Olympia qualifizierte, und dass er nun die amerikanische Flagge trägt.

Ein Überlebender als Botschafter: US-Mittelstreckler Lopez Lomong stammt aus dem Südsudan - einer von jahrzehntelangem Bürgerkrieg zwischen dem islamisch-arabischen Norden und dem schwarzafrikanisch-christlich geprägtem Süden verwüsteten Region. China gilt als wichtigster politischer und wirtschaftlicher Partner des Sudan. (Foto: Foto: AP)

Mit seiner Nominierung nehmen die amerikanischen Sportler bewusst in Kauf, dass sie sowohl die chinesischen Gastgeber als auch ihre eigenen Funktionäre brüskieren. Lomong ist Mitglied im "Team Darfur", das auf den brutalen Konflikt in der Krisenregion im Sudan aufmerksam machen will. Laut Angaben der Vereinten Nationen sind bei den Auseinandersetzungen zwischen schwarzafrikanischen Stämmen und der Zentralregierung in Karthum seit 2003 rund 400.000 Menschen getötet worden, rund 2,5 Millionen wurden vertrieben.

China gilt als wichtigster politischer, wirtschaftlicher und militärischer Partner der sudanesischen Regierung. Im Februar 2008 haben unter anderem zahlreiche Nobelpreisträger, Künstler, hochrangige Politiker und olympische Sportler sich in einem offenen Brief an Staatschef Hu Jintao gewandt. Sie fordern China dazu auf, sich stärker in Darfur zu engagieren und zu einer Lösung des Konflikts beizutragen, China habe dazu die "Möglichkeit und die Verpflichtung". Weiter heißt es: "Das permanente Versäumnis, dieser Verpflichtung nachzukommen, ist unserer Meinung nach mit Unterstützung dieser Regierung gleichzusetzen, die fortdauernd Gräueltaten gegen das eigene Volk begeht." Jacques Rogge, der Präsident des Internationalen Komitees (IOC), erhielt eine Kopie des Briefs.

Mitgründer des "Team Darfur"

Ein Vorgang der vergangenen Woche verleiht der Wahl Lomongs zum Fahnenträger zusätzliche Brisanz. Joey Cheek, Olympiasieger von 2006 im Eisschnelllauf, ist Mitgründer und Präsident des "Team Darfur"; er ist zudem Lomongs Vorgänger als Fahnenträger. Die chinesische Regierung entzog ihm am vergangenen Dienstag ohne Angabe von Gründen die Einreisegenehmigung, weniger als 24 Stunden vor der geplanten Abreise. Eine Sprecherin des amerikanischen Präsidenten George W. Bush sagte, man nehme die Sache sehr ernst. Das amerikanische Nationale Olympische Komitee (Usoc) wollte jedoch offenbar alles tun, um die Chinesen nicht zu verprellen und erklärte rasch, es handele sich um eine Angelegenheit zwischen einer Privatperson und dem Staat China. 2006 war Cheek Sportler des Jahres des Usoc. Dass das Komitee nun nichts mit dem Fall zu tun haben will, liegt wohl auch daran, dass es auf die Unterstützung der Chinesen bei der Bewerbung Chicagos hofft, das 2016 die Sommerspiele ausrichten will.

Die amerikanischen Team-Kapitäne haben den Funktionären nun gezeigt, was sie von dieser Art des Vorgehens halten - sie haben sie beschämt. Die Wahl Lomongs ist ein Zeichen an China, ein Zeichen an die Handelnden und Händler im olympischen Funktionärswesen - und eine Erinnerung daran, was eine olympische Idee im besten Falle sein könnte.

Unmissverständliche Botschaft

Lomongs Geschichte ist so bewegend, dass zu befürchten steht, dass sie bald kommerziell ausgeschlachtet wird. Mit sechs wurde er von seiner Familie getrennt und verschleppt; gemeinsam mit drei anderen Jungen gelang ihm die Flucht, sie liefen drei Tage und kamen nach Kenia. Zehn Jahre lebte Lomong in einem Lager, es gab eine Mahlzeit am Tag. Das Hilfsprogramm "Lost Boys of Sudan" war seine Rettung. Er bewarb sich und schrieb seine Lebensgeschichte auf und seinen Traum vom Leben in Amerika. 2001 kam er in eine Pflegefamilie im Staat New York. Später ging er an die Northern-Arizona-Universität, um zu studieren und sein Talent als Läufer zu pflegen. 2007 wurde er amerikanischer Staatsbürger. 2008 qualifizierte er sich für die Olympischen Spiele, obwohl er den entscheidenden Lauf über 1500 Meter mit verstauchtem Knöchel bestreiten musste. Sein Wille hat ihn getragen.

"Das ist der aufregendste Tag meines Lebens", sagte Lomong am Freitag, "es ist eine große Ehre für mich, dass meine Teamkollegen mich ausgewählt haben. Die Eröffnungsfeier ist (...) der beste Moment des olympischen Lebens. Ich bin hier ein Botschafter meines Landes." Das IOC wollte Äußerungen über Menschenrechte unbedingt vermeiden und verbot sogar harmlose Armbänder. Die Amerikaner haben sich weder vom IOC noch von China unterkriegen lassen. Lomong trägt die Fahne - diese Botschaft kommt an, unmissverständlich.

© SZ vom 08.08.2008/hum - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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