Olympia:Kämpferin mit Kopftuch

Ibtihaj Muhammad

In ihrem Sport geht es permanent darum, sich der Gefahr zu stellen - im Säbelfechten besonders: Ibtihaj Muhammad.

(Foto: Damian Dovarganes/AP)

Die Fechterin Ibtihaj Muhammad tritt als erste Amerikanerin bei Olympia mit einem Kopftuch an. Sie ist zum Symbol für die Rechte muslimischer Frauen geworden und hat eine Botschaft an Donald Trump.

Von Volker Kreisl

Am 5. August beginnen die Olympischen Spiele in Rio. Nach dem Willen der Funktionäre soll es dann nur um den Sport gehen. Doch längst begleiten politische und gesellschaftliche Themen das Denken vieler Olympia-Kandidaten. Die SZ stellt in einer Serie einige Athleten und Athletinnen vor, die auch für ein Ziel jenseits des Kampfes um Gold, Silber und Bronze stehen: Manche für persönliche Ziele, manche für die brisanten Themen unserer Zeit.

Schuld ist Qareeb. Zumindest hat er den Stein ins Rollen gebracht, damals, als er und seine Schwester klein waren. Qareeb war ein Jahr älter und hatte daher großen Einfluss. Qareeb, so vertraute die jüngere Schwester im März dem Time Magazine an, habe alles daran gesetzt, um klarzumachen, wer höher springen, schneller laufen und härter kämpfen kann. Einmal sei er sogar zu Hause in New York vom Innenhofdach in den Pool gesprungen, damit klar ist, wer sich mehr traut. Qareeb gewann immer. "Ich habe viel geweint", erinnert sich die jüngere Schwester.

Aber wie es dann eben läuft im Leben: Qareeb Muhammad war damals zwar stärker, aber Ibtihaj Muhammad kämpft nächste Woche bei den Olympischen Spielen in Rio um eine Medaille.

Medaillenkandidaten gibt es unzählige, jeder, der mal einen Grand Prix gewonnen hat, ist einer. Doch Ibtihaj Muhammad wird in Rio in grellerem Rampenlicht stehen, denn es ist ja auch Wahlkampf in den USA, und in fast allen Medien lief ihre Geschichte. Präsident Obama wies im Februar in einer Rede auf die 31-Jährige hin und bat sie aufzustehen, denn sie saß im Publikum. Wenn also nicht gerade Michael Phelps zur selben Zeit schwimmt, werden sehr, sehr viele US-Zuschauer verfolgen, wie sich Muhammad am 8. August zum Gefecht aufstellt.

In ihrem Sport geht es permanent darum, sich der Gefahr zu stellen. Genauer gesagt ist sie Säbel-Fechterin, da wird nicht nur mit der Klingenspitze gestochen, sondern es wird gestochen, touchiert, gewischt und gehauen, das alles in irrwitzigem Tempo. Muhammad wird also eine weiße Fechthose anhaben, mit dem US-Logo am Oberschenkel. Über dem Sicherheitshemd wird sie die Kontaktweste für die Trefferanzeige tragen, auf dem Rücken wird ihr Name stehen, darunter in großen Lettern: USA. Von ihren Haaren aber werden Zuschauer nichts sehen, die Donald-Trump-Sympathisanten, darunter nicht wenige Islam-Verächter, genauso wenig wie die Wähler der Demokratischen Partei. Denn Muhammad wird den Hijab tragen, ein Kopftuch, als erste Amerikanerin bei Olympischen Spielen.

Auch wenn er es eigentlich nicht mehr sein sollte: Dieser Kontrast ist immer noch ungewöhnlich, dieses Debüt spektakulär, und die Geschichte dazu beginnt mit dem Geschwister-Gerangel. Ibtihaj suchte sich andere Rivalen als Qareeb, aber dann kam ein unsichtbarer Gegner hinzu. Ihre Volleyball-Kameradinnen liefen in Tanktops und knappen Hosen auf, und Muhammad war noch nicht so weit, dass sie ihr langärmeliges und knöchellanges Sportgewand, ihr flatterndes Kopftuch unter all den pubertierenden, sich vergleichenden Mädels als etwas Selbstverständliches empfand. "Für ein Mädchen ist das sehr schwierig", erzählte sie. Zum Glück entdeckte ihre Mutter Denise da das Fechten.

Unter der Maske fühlte sie sich wohl. Auf der Planche und während der stundenlangen Lektionen studierte sie die Mechanismen dieses Sports ein, die zigfachen millimetergenauen, exakt getimten Bewegungen über die Schulter oder zum Rumpf, über links, über rechts, aus den Knien, von oben, springend, stoßend, und so weiter. Legte sie die Maske ab, blieb zunächst ein Gefühl von Unsicherheit. Fechten ist ein überwiegend von Weißen ausgeübter Sport. Und Muhammad war sensibel genug, um auch jene Vorurteile herauszuhören, die höflich verpackt sind. "Manche Eltern fragten, ob Fechten mit Hijab, auch wenn es generell okay sei, für andere Kinder gefährlich werden könnte", erzählte sie. Auch unschuldige Fragen können zermürbend wirken, wie sie der New York Times berichtete, "wie zum Beispiel die, ob es nicht zu heiß werde unter dem Kopftuch". Doch am Ende machten Muhammad die Fragen nur noch stärker.

"Trump ist ein Faschist, der eine Plattform für Hass braucht"

Fechten ist vielleicht ein Sport der Weißen, aber er verändert sich gerade, er breitet sich von Europa in die Erdteile aus und er gibt jedem, der darin Erfolg hat, Selbstbewusstsein. Ibtihajs Mutter hatte nicht nur das Fechten als Alternative entdeckt, sondern später auch im Internet die Peter Westbrook Foundation, eine Fechtschule für alle, mitten in New York, betrieben vom afro-amerikanischen Olympiabronze-Gewinner Westbrook. Bei ihm blühte Muhammad auf, und Westbrook selbst urteilte: "Mit einem Säbel in der Hand ist niemand gemeiner."

Die Nullerjahre brachen an, und die Stimmung wurde rau. Die Muhammads aus New York waren über den Terror des 11. September genauso erschüttert wie alle Amerikaner, aber sie befanden sich als Muslime zugleich unter einem undefinierten, bleiernen Generalverdacht. Denise Muhammad erzählte nun der Zeitschrift New Yorker: "Die Kinder wurden ausgegrenzt, und die Leute brüllten mich an, als ich die Straße hinunterfuhr." Das war die extreme Zeit nach dem ersten Schock, doch die Vorbehalte sind geblieben - und nun droht den Amerikanern Donald Trump. Der schlägt zur Lösung des Terror-Problems zum Beispiel ein Einreiseverbot für Muslime vor, was für Ibtihaj Muhammad pure Zündelei ist. Sie sagt: "Trump ist ein Faschist, der eine Plattform für Hass baut." Mehr und mehr werde akzeptiert, dass die Leute faschistische Ansichten aussprechen dürfen, "das ist erschütternd".

Muhammad erhält Hass-E-Mails, aber sie fühlt sich herausgefordert, und dann dringt sie durch alle Paraden vor bis zur Trefferfläche, bis zum Ursprung der Herausforderung. Spätestens seit diesem Jahr ist sie eine politische Stimme des Sports. Mit dem Säbel wurde sie 2014 Teamweltmeisterin, sie ist Weltranglisten-Achte und Panamerika-Meisterin. Und nun steht sie vor der Welt, Absolventin in Afro-Amerikanistik an der Duke-University, eine "All-American", die unter dem Label Louella Mode für moderne Muslimas entwirft und vertreibt und insgesamt alle etwas verwirrt, weil sie nicht in das Klischee der unfreien muslimischen Frau passt.

Dabei ist dies das Wesen aller Freiheitskämpfer: Sie verweigern sich jedem Muster. So wie Muhammad der Aufforderung, das Kopftuch fürs Foto gefälligst abzunehmen. Bei einem großen Festival in Austin/Texas hatte das im März der Mitarbeiter verlangt, der für die Festival-Passfotos zuständig war. Er hielt das Kopftuch für eine Art Hut, den man ja auch je nach Wetter absetzt. Das Ganze gab am Ende großen Ärger, aber nicht für Muhammad.

Trotzdem, es steckt eben drin in den Köpfen, und unschuldig fragen wird ja noch erlaubt sein: Warum ist er denn nun so wichtig, der Hijab? Welche religiösen Gründe stecken denn genau dahinter, und klar: Dieses Kopftuch ist natürlich nicht gefährlich für den Gegner auf der Planche - aber ist es nicht doch ein Zeichen für die Diskriminierung der Frau?

All das muss offenbleiben, denn es tut nichts zur Sache. Die Amerikanerin Ibtihaj Muhammad hat sich für das Kopftuch entschieden wie viele muslimische Mädchen, junge Sportlerinnen und Frauen. Muhammad muss das nicht rechtfertigen, und die Welt hat das - wie man in Rio sehen wird - zu akzeptieren.

Bisher erschienen: Indiens Tennisspielerin Sania Mirza (16. Juli), Südafrikas 400-Meter-Läufer Wayde van Niekerk (20. Juli), Großbritanniens Boxerin Nicola Adams (22. Juli), Fidschis Rugby-Spieler Jarryd Hayne (26. Juli), Syriens Flüchtlingsschwimmerin Yusra Mardini (28. Juli).

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