Olympia:Wenn schon Überraschung, dann richtig

Ice Hockey - Winter Olympics Day 12

Patrick Reimer schubst den Puck zum entscheidenden Tor am schwedischen Torhüter vorbei.

(Foto: Getty Images)
  • Das deutsche Eishockey-Team hat in einem packenden Spiel Weltmeister Schweden geschlagen und steht im Olympia-Halbfinale.
  • Zum dritten Mal in diesem Turnier entschied sich das Spiel der Deutschen erst in der Verlängerung.
  • Nach dem Überraschungssieg traut sich die Mannschaft gegen Kanada nun offenbar einiges zu: "Wir können hier Großes erreichen", sagt Torhüter Danny aus den Birken.

Von Johannes Aumüller, Pyeongchang

Und dann kam jener Moment, in dem sich fast niemand mehr bewegte. So gebannt waren sie alle. Schlussmann Danny aus den Birken stand alleine in der Nähe seines Tores, die Feldspieler versammelten sich an der Bande. Nur der Verteidiger und Vizekapitän Christian Ehrhoff, eigentlich gestählt mit der Erfahrung aus fast 800 Spielen in Nordamerikas Profi-Liga NHL, drehte Kringel auf dem Eis. Alle Übrigen starrten in Richtung der Männer in den schwarz-weiß gestreiften Oberhemden.

Es waren quälende Sekunden. Aber dann wiederum war diese Qual auch ein würdiger Abschluss dieses dramatischen Viertelfinales gegen Schweden.

2:0 hatten die Deutschen vorne gelegen, im Schlussdrittel hatten sie das 3:3 kassiert, Verlängerung - dann, die Uhr zeigte 61:30 Minuten reine Spielzeit, dieses Stochertor von Patrick Reimer. Jubel! Dann abbrechender Jubel! Die Männer in Schwarz-Weiß hatten sich entschlossen, das Tor auf seine Korrektheit zu überprüfen. Sekunde um Sekunde verstrich. Alle starrten, Ehrhoff drehte Kringel - dann der erlösende Pfiff, und rund um Danny aus den Birken entbrannte ein Freudentanz, unter dem das Eis zu schmelzen schien.

Patrick Reimer, der 35-Jährige von den Nürnberg Ice Tigers, hat die nicht gar so ruhmreiche Geschichte des deutschen Olympia-Eishockeys um ein ruhmreiches Kapitel erweitert. Das Team des Deutschen Eishockey-Bundes (DEB) steht im Halbfinale. Es hat den Weltmeister geschlagen. Und nun geht es am Freitag im Halbfinale gegen Kanada um die Chance auf die erste Medaille seit 1976 in Innsbruck. Damals gab es kein Halbfinale, sondern eine Sechsergruppe, die das Podium unter sich ausspielte. "Es ist ein historischer Tag für das deutsche Eishockey", fand Ehrhoff, nachdem er ein bisschen Luft geholt hatte.

Es war ungemein spannend, was die Deutschen und die Schweden boten. Während der Vorrunde waren beide Mannschaften schon mal aufeinandergetroffen. Da hatten die Deutschen früh ein Gegentor kassiert, hielten anschließend aber tapfer mit und unterlagen nur 0:1.

Glück und Geschick helfen den Germanen

Auch am Mittwoch gehörte die Startphase den Schweden: Johan Fransson, Patrik Hersley und Dick Axelsson hatten bald erste Gelegenheiten, aber anders als im Duell zuvor trafen sie nicht ins Tor. Erst gegen Mitte des Auftaktdrittels stabilisierte sich das DEB-Team - und verblüffte mit seiner Chancenverwertung. Binnen einer Minute erfolgte der Doppelschlag: In einer Überzahlsituation zog Ehrhoff ab zum 1:0 (14.), kurz danach reagierte Marcel Noebels bei einem Abpraller am schnellsten, 2:0.

Die Schweden waren gefordert. Und sie kamen. Im zweiten, vor allem dann zu Beginn des dritten Drittels. Sie drückten und schossen und schossen - 34:22 nach Schüssen stand es irgendwann für die Skandinavier. Eine Statistik, die nichts zählt. Denn von wo aus die Schweden es versuchten, der Puck fand über eine Dreiviertelstunde lang nicht den Weg ins deutsche Tor. Glück und Geschick halfen dem DEB-Team. Mal flog der Schläger, mal der Körper eines Deutschen in die Schussbahn. Und wenn das nicht half, war da ja Danny aus den Birken, der Torwart des EHC München, der alle Kritiker, die sich vor dem Turnier gemeldet hatten, zum Verstummen brachte.

Hielt aus den Birken einen Fernschuss mal nicht fest, fiel der Puck nicht etwa einem Schweden vor die Füße, sondern dem eigenen Verteidiger, der klärte. Und ging einem Deutschen ein Schläger verloren - kein Problem, dann warf sich Ehrhoff, der Recke von den Kölner Haien, halt schlägerlos in die Flugbahn. "Wahnsinn, was unsere Jungs für Schüsse geblockt haben", sagte aus den Birken: "Jeder hat Kopf und Kragen riskiert."

Vorentscheidung? Nicht in diesem Spiel!

Aber irgendwann ist auch mal Schluss mit jedem Abwehrglück, und sei es noch so leidenschaftlich unterfüttert. In diesem Fall war es in Minute 47 so weit. Nach einem der vielen Schüsse blockte aus den Birken den Puck zwar noch ab, aber im Gewühl war Anton Lander der Schnellste. Es stand nur noch 2:1 - und die dramatische Schlussphase hatte ihren Anfang.

Zunächst konterten die Deutschen: Keine zwei Minuten später erwischte bei einem Konter Dominik Kahun den Puck und erhöhte mit feinem Schuss auf 3:1. Die Vorentscheidung? Von wegen! Schweden bekam postwendend eine Überzahlsituation, und Patrik Hersley, der zuvor ein halbes Dutzend Mal am Tor vorbeigezogen hatte, traf (50.). Schon zwei Minuten später folgte der Ausgleich, das 3:3, erzielt von Mikael Wikstrand. Um ein Haar wäre den Schweden in der Folge ein Eigentor unterlaufen (58.), aber im letzten Moment zuckte Torwart Viktor Fasth und hielt den Puck.

So ging es in die Verlängerung, zum dritten Mal in diesem Turnier fürs deutsche Team. Wie schon in der Vorrunde gegen Norwegen und im K.-o.-Spiel gegen die Schweiz hatte es das bessere Ende für sich, dieses Mal dank Reimers Tor. Das aber soll es nicht gewesen sein. In diesem Olympia-Turnier ohne NHL-Profis, in dem auch deshalb so viele Überraschungen möglich sind, am Freitag vielleicht gegen Kanada. "So schön das ist: Wir wollen jetzt nicht aufhören", sagte aus den Birken: "Ich habe schon vorher gesagt: Wir können hier Großes erreichen."

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