Olympia:Wenn der olympische Moment zerbröselt

Pyeongchang 2018 Winter Olympics

Viktoria Rebensburg fuhr bei Olympia an den Medaillen vorbei - aber ist deshalb plötzlich alles schlecht?

(Foto: Leonhard Foeger/Reuters)

Für einen Sportler taucht eine olympische Medaille alles in ein warmes Licht. Bei Platz vier oder fünf ist die Enttäuschung riesig - aber ist deshalb plötzlich alles schlecht?

Kommentar von Johannes Knuth, Pyeongchang

Einer der interessantesten Orte bei Olympischen Spielen ist die sogenannte Mixed Zone, in der Athleten vor Journalisten erörtern sollen, warum sie gerade Erste oder Fünfte oder Elfte geworden sind. Olympische Mischzonen haben oft ihren eigenen Sound: Alles ist stärker. Nirgendwo vibrieren die Sportler so sehr vor Freude, nirgendwo sieht man, wie sehr eine Niederlage das Gemüt zerbeulen kann. Und manchmal vereint ein Sportler sogar beides in sich, der Skirennfahrer Michael Matt zum Beispiel.

Matt war im ersten Lauf des Slaloms von Pyeongchang weit zurückgefallen, der zweite gelang ihm besser, aber das schien nicht zu reichen für eine der verdammten Medaillen. Matt grantelte in der Mixed Zone also minutenlang vor sich hin, irgendwann sah es so aus, als ob er Vierter werde, da grantelte Matt noch ein wenig mehr. Knappes Scheitern ist ja das schmerzlichste Scheitern. Dann stolperte Henrik Kristoffersen, der letzte Starter, in den Schnee. Und der Österreicher Matt war ein Bronzegewinner.

Das deutsche Team - eine Auswahl der Extreme

Zero reimt sich nicht umsonst auf hero, die Null auf den Helden, das ist bei Olympia das Spektrum. Aber das muss nicht etwas Gutes bedeuten.

Auch das deutsche Team war bei diesen Winterspielen in Südkorea eine Auswahl der Extreme. Manche Abteilungen räumten fast alle Hauptpreise ab, die Nordischen Kombinierer und Schlittenfahrer zum Beispiel. Andere hatten bis zum Samstag gar nichts Handfestes aufgetrieben, Freestyler, Alpine, Eisschnellläufer. Der deutsche Alpindirektor Wolfgang Maier hat in Pyeongchang erzählt, er habe im deutschen Haus mit Arnd Peiffer gesprochen, dem Biathlon-Olympiasieger, der in diesem Winter kein Einzelrennen gewonnen hatte. Ein bisschen zero to hero quasi. Peiffer habe gesagt: Die Skirennfahrer haben den Winter geprägt, die Biathleten prägen jetzt halt Olympia.

Maier weiß freilich, wie andere auf derartige Erträge schauen: "In einer Olympia-Saison kannst du viele schlechte Ergebnisse mit einer guten Performance hier wiedergutmachen", sagte er: "Du kannst aber auch viele Ergebnisse mit der Performance wieder kaputt machen."

Spitzensportler erzählen oft von Olympias Größe. Dass sie jeden Tag in den Dienst eines Moments stellen, der alle vier Jahre wiederkommt, 100 Sekunden auf einer Abfahrtspiste zum Beispiel. Eine olympische Medaille taucht fast alles, was war und noch kommt, in ein wärmeres Licht. Aber wer einen Moment so sehr mit Bedeutung aufpumpt, lebt in dem Bewusstsein, dass es auch ein Gegengewicht gibt. Wenn der Moment zerbröselt, ist die Enttäuschung riesig, aber ist deshalb plötzlich alles schlecht?

Medailleninhaber können etwas vorweisen, das ihren Erfolg belegt. Die Deutschen hatten bis zum Samstag 13 Goldmedaillen gesammelt; die Vierten und Fünften hatten kein Belegexemplar in der Hand. Aber wenn nur ein Moment alles definiert, drohen die Geschichten dahinter auch unter der Last der Überhöhung zu zerbröseln. Platz fünf von Thomas Dreßen zum Beispiel, der für die positive Entwicklung der Abfahrer steht, im Januar in Kitzbühel siegte, der aber am Tag X bei Olympia das Podest verpasste. Oder die Buckelpistenfahrerinnen Lea Bouard und Katharina Förster, die fast raus waren aus ihrem Sport, weil der Verband sie nicht mehr fördern konnte - und die es trotzdem nach Pyeongchang schafften, auf eigene Kosten. Oder Platz vier im Riesenslalom von Viktoria Rebensburg, die in Südkorea wohl ihre letzte olympische Chance hatte, aber am kommenden Wochenende geht es im Weltcup wieder weiter; Rebensburg führt in der Riesenslalom-Gesamtwertung.

Platz vier, fünf oder elf, das ist oft halt auch nur eine andere Formulierung für: der Sieg von gestern oder morgen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: