Olympia:Tobas Schmerzens-Tat: nicht nachmachen!

Rio 2016 - Turnen

Tränen in Rio: Andreas Toba, r., und Bundestrainer Andreas Hirsch.

(Foto: dpa)

Turner Andreas Toba ist ein olympischer Held. Der Weichei-Spruch des Sportdirektors ist dennoch dumm.

Kommentar von Thomas Hummel

Andreas Toba ist der erste deutsche Held der Olympischen Spiele. Oder ist er ein Idiot? Das kommt auf den Blickwinkel an.

Der Turner aus Hannover begann seine Übung auf dem Boden mit einer dieser Laufbahnen mit schwindelerregenden Überschlägen und Drehungen. Atemraubend und schwierig: Als er aufkam, knickte ihm das rechte Knie weg. Selbst vor dem Fernseher gruselte es die Zuschauer. Toba blieb liegen, Entsetzen flackerte aus seinen Augen, nur gestützt von Betreuern konnte er die Matte verlassen. Diagnose: komplexe Knieverletzung unter anderem mit einem Riss des vorderen Kreuzbandes und einer Verletzung des Innenmeniskus. Olympia-Aus! Oder?

Kurz darauf humpelte er vor das nächste Gerät, das Pauschenpferd. Er wirkte etwas bleich, er schnaufte nochmal durch. Dann zeigte er die beste Leistung aller Deutschen auf dem Gerät. Als er gelandet war, brach Toba in Tränen aus, die Kollegen führten ihn vom Podium herunter. Durch seine außergewöhnlich gute Darbietung verhalf er der deutschen Mannschaft als Achter der Qualifikation gerade noch in den olympischen Endkampf.

Was zunächst bleibt, sind die Emotionen des unglückseligen Turners, der sein ganzes Leben auf diesen Auftritt in Rio de Janeiro ausgerichtet hatte und nun so schwer verletzt war. "Ich habe geheult wie ein kleines Kind", erklärte er: "Die Schmerzen im Knie sind groß, aber die in mir sind unbeschreiblich und viel größer." Toba hatte sich trotz dieser Schmerzen für die Kameraden aufgeopfert."Du musst dem Team helfen und am Pferd turnen. Wir sind hier nicht bei irgendeiner Gau-Meisterschaft." Doch ihm waren die möglichen Auswirkungen durchaus bewusst: "Ich hatte große Angst, dass es höllisch wehtun wird."

Heroisch nennt man das. Das Wohl der Gruppe über das eigene gestellt. Sogar seine körperliche Unversehrtheit riskiert. Tausende Hollywoodfilme haben solche Geschichten erzählt. Aber das hier ist das wahre Leben. Andreas Toba hat nur diesen einen Körper, dieses eine Knie. War es also unvernünftig, dass er trotzdem am Pauschenpferd turnte?

Das Wichtigste zu Olympia 2016 in Rio

Die deutschen Turner haben einen Arzt dabei, Hans-Peter Boschert aus Freiburg, der offenbar die medizinische Verantwortung übernommen hat. Wobei das im Umfeld von Olympischen Spielen nicht ganz leicht ist. Bei Olympia verletzt auszuscheiden, ist ein fürchterlicher Schlag. Wenn nun ein Sportler inständig darum bittet, noch einmal starten zu dürfen, ist der Druck auf einen Mediziner hoch. Was für ein Geist in diesem Umfeld herrscht, verdeutlichte Wolfgang Willam, Sportdirektor des Deutschen Turner-Bundes (DTB). Der sagte: "Andi hat eindrucksvoll bewiesen, dass er ein großes Kämpferherz hat und kein Weichei ist." Was ja im Umkehrschluss bedeutet: Hätte er mit all seinen Schmerzen einen Start verweigert, müsse man Toba verweichlicht nennen. Willams Spruch war sicherlich der bislang blödeste bei Olympia.

Toba startete am Pauschenpferd, weil er hier nur beim Abgang sein Knie braucht, sonst muss er es ohnehin gestreckt halten. Mediziner Boschert hat kein Veto eingelegt, sich aber am Samstag nicht öffentlich geäußert. Nur die Frage von Bundestrainer Andreas Hirsch ist überliefert: "Sag ehrlich: turnst du oder nicht? Wenn ja, dann musst du voll da sein." Und Toba sagte: "Ja."

Anderer Umgang mit Schmerzen

Es ist eine Episode, wie sie nur der Spitzensport erzählt. Oder zumindest erzählen sollte. In diesen Grenzsituationen ist er wie Vertreter Willam kein Vorbild für den Breitensport und schon gar nicht für die Jugend. Bitte nicht nachmachen! müsste als Untertitel mitlaufen. Denn hier ist der Sport einfach nicht mehr gesund. Olympioniken wie Toba sind Schmerzen gewohnt, wer es überhaupt bis nach Rio bringen will, muss schon vorher viele aushalten. Der Körper wird jahrelang geschunden und wenn nötig wieder zusammengeflickt. Das geht bisweilen über die Grenzen des medizinisch Empfohlenen hinaus. Tabletten gegen den Schmerz gehören häufig schon in der Fußball-Bezirksliga dazu.

Ob es fern vom Weichei-Faktor dumm war von Toba, am Pauschenpferd trotz der schweren Knieverletzung anzutreten? Er hätte beim Abgang schief landen und alles noch verschlimmern können. Toba hat seinem Können vertraut. Die Trainer und Mediziner offenbar auch. Toba hat es gepackt, die Verletzung ist genauso schwer wie vorher.

Und so bleiben die Bilder eines weinenden Turners in den Armen seiner Teamkollegen. Von einem, der trotz Schmerzen seinen Kollegen ins Finale verholfen hat. Die litten mit und huldigten ihm zugleich. Die Bilder von Andreas Toba gehen durch das Sportland und machen ihn dort zu einem olympischen Helden.

Übrigens hat er sich mit seiner Übung am Pauschenpferd als einer der weltbesten Acht auf diesem Gerät sogar für das Einzel-Finale am Montag qualifiziert. Toba kündigte an: "Wenn es irgendwie möglich ist, will ich auch im Finale noch einmal turnen." Der Deutsche Turner-Bund hat ihm aber jeden weiteren Wettkampf untersagt. "Das ist medizinisch nicht zu verantworten", sagte Delegationsleiter Sven Karg. Es war die richtige Entscheidung.

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