Olympia:"Bratwurst-Gina" macht vieles richtig

Rio 2016 - Leichtathletik

Sprinterin Lückenkemper: "Was macht sie denn da?"

(Foto: Michael Kappeler/dpa)

Gina Lückenkemper ist ein Sprinttalent, das es so in Deutschland lange nicht gab. In Rio überzeugt die 19-Jährige auf vielen Ebenen - nicht nur über 200 Meter.

Saskia Aleythe, Rio de Janeiro

Die Sache mit der Bratwurst wird Gina Lückenkemper nun nicht mehr los. Der Spitzname Bratwurst-Gina macht die Runde, wenn die 19-Jährige läuft, sie geht zurück auf eine Aussage im vergangenen Jahr. Es ist gar nicht so selten, dass sie vor einem Rennen nochmal Hunger bekommt, und dann wird eben gegessen. Keine Energieriegelchen oder Obst, sondern auch schonmal eine Wurst. "Da nützt mir eine Banane wenig."

Und schon das sagt ja etwas über Gina Lückenkemper aus, dass sie vor Wettkämpfen nicht mit nervösem Magen zu kämpfen hat. Andere kriegen schon Stunden vorher nichts mehr runter. Gina Lückenkemper macht sich wenig aus Druck und großen Events. Als sie am Dienstagabend in Rio de Janeiro für ihr Olympia-Halbfinale über 200 Meter am Startblock stand, war sie verwundert. Links neben ihr stand die Kanadierin Crystal Emmanuel, die war alles andere als ruhig. "Die hat immer so geschnauft vor dem Start", sagte Lückenkemper später und lachte, "ich dachte nur: Was macht sie denn da?" Probleme mit Nervosität haben definitiv die anderen.

Das Wichtigste zu Olympia 2016 in Rio

Lückenkemper wurde 14. mit einer Zeit von 22,73 Sekunden. Das reichte zwar nicht fürs Finale, zuletzt hatte es 1988 eine Deutsche in einen Olympia-Endlauf über diese Distanz geschafft. Aber Lückenkemper war nun nur sechs Hundertstelsekunden von ihrer Bestzeit entfernt. Lückenkemper ist ein Sprinttalent, das es so in Deutschland länger nicht gab. Und man kann das schon so sehen wie ihr Trainer Uli Kunst, der sagt: "Für die Leichtathletik ist sie eine dankbare Person." Wenn nicht sogar ein Geschenk.

Völlig normaler Teenager

Rückblick, Juni 2013: Lückenkemper ist 16 Jahre alt und gerade in die deutsche Bestenliste gelaufen, über 200 Meter steht sie auf Rang drei. Sie tritt bei einer Leichtathletik-Gala in Regensburg auf, ein Interview auf dem Hotelzimmer? Kein Problem. Lückenkemper sitzt entspannt auf dem Bett, redet über ihre Ziele, Motivationen. So reflektiert wie es manch anderer in seinem Leben nie sein wird. Sie redet von Glücksschnürsenkeln, die sie sich ums Handgelenk bindet, sie ist ein völlig normaler Teenager. Oder davon, wie winzig sie sich mit 15 bei der U-20-WM vorkam. Und dass ihre Reaktionszeit beim Start eine Katastrophe sei.

Disziplin-Trainer Alexander Seeger sagt damals: "Wenn sie nicht viel falsch macht, sehen wir sie bei Olympia wieder." Und dann machte sie ziemlich viel richtig.

Trainingsweltmeister? Weltmeisterin im Training

Uli Kunst arbeitet seit 2014 mit Lückenkemper zusammen, zu verbessern gab es trotz ihrer guten Zeiten einiges. Ihr Kniehub war zu flach, sie hatte einen zu langen Schritt, ist in Körpervorlage und mit Hüftknick gelaufen. "Dann habe ich angefangen und zwei, drei Sachen mit ihr gemacht, um die Technik zu verbessern", erinnert sich Kunst. "Da ist sie nach Hause gegangen und hat diese Sachen vor dem Spiegel geübt."

Beim nächsten Training war der 65-Jährige dann ganz verblüfft, habe gesagt: Gina, was ist denn nun los? Ich habe geübt, habe Gina gesagt. Eine Trainingsweltmeisterin ist sie deshalb nicht , aber sie sei "eine Weltmeisterin im Training", sagt Kunst. "Im Fokussieren auf die Dinge, die wichtig sind." Auch wer locker und befreit ist, kann es durchaus ernst meinen mit seinem Sport.

Lückenkemper kann Menschen für den Sprint begeistern, was es in Deutschland dann doch nicht so oft gibt. Und das hat dann auch Gründe abseits der Zeiten, denn dass da jemand unverkrampft am Startblock steht, mit dem Publikum agiert und beherzt seine Rennen läuft, sieht man sonst eher von Athletinnen anderer Nationen.

"Wenn der Kopf locker ist, dann läuft der Rest auch", sagt Lückenkemper selber. Als sie im vergangenen Jahr bei der U20-EM zum Finale über 200 Meter antrat, fing sie zu tanzen an, stimmte Laolas mit den deutschen Fans an. "Ich bin relativ früh an große Meisterschaften herangeführt worden", sagt Lückenkemper, "ich konnte ohne Druck überall reinschnuppern, das war sehr wertvoll".

"Beine haben sich geil angefühlt"

Rumgeturnt ist sie nun nicht vor ihrem ersten Olympia-Halbfinale, natürlich beeindruckt das selbst eine Gina Lückenkemper ein bisschen. Aber ihre Leistung beeinflusste es nicht: "Meine Beine haben sich vorm Start so geil angefühlt, ich war so leichtfüßig und dachte, ich kann Bestzeit laufen." Das hat dann ja auch fast geklappt.

Ihr Trainer sagt, dass sie noch lange nicht ihrem Limit ist und das ist ja der positivste Satz, den es gibt. "Ich bin schon immer die gewesen, die am Anfang eines Rennens hinterherlaufen musste, weil ich einfach eine miserable Reaktionszeit habe", sagt Lückenkemper. Sich herankämpfen können ist im Sprint ja keine unwichtige Fähigkeit.

Am Donnerstag tritt sie mit der deutschen 4x100-Meter-Staffel noch einmal in Rio an. Mit Lisa Mayer, die über 200 Meter 19. wurde, Rebekka Haase und Tatjana Pinto holte sie in Amsterdam EM-Bronze. "Wir sind echte ein tolles Team", sagt Lückenkemper, "ich freue mich darauf, mal gucken was noch drin ist." Und wenn sie der Hunger vorher überkommt, wird sie mit Sicherheit eine Lösung finden.

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