Olympische Spiele in Rio:Das Fernsehen verliert die Macht über Olympia

Olympische Spiele in Rio: Die amerikanischen Fernsehzuschauer interessieren sich in erster Linie für die amerikanischen Sportler, weiß der Sender NBC - vor allem für solche aus bekannten Sportarten wie die Basketballerinnen.

Die amerikanischen Fernsehzuschauer interessieren sich in erster Linie für die amerikanischen Sportler, weiß der Sender NBC - vor allem für solche aus bekannten Sportarten wie die Basketballerinnen.

(Foto: Markus Ralston/AFP)

Der US-Sender NBC ist der einflussreiche Medien-Partner des IOC. Er kann aber nicht mehr alles kontrollieren.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Es ist eine himmelschreiende Ungeheuerlichkeit, dass die offizielle Amtssprache in Brasilien ausgerechnet Portugiesisch ist. Bob Costas hat diesen Makel direkt nach seiner Ankunft in Rio angemerkt. Er ist der Harry Valérien des amerikanischen TV-Sports, ein geradliniger Typ, der seit 24 Jahren auf dem Sender NBC die Olympia-Zusammenfassung zur besten Sendezeit moderiert und nicht nur vom Aussehen her an den Star-Wars-Helden Luke Skywalker erinnert. "Ich habe einen Fernseher auf meinem Zimmer", teilte er mit, "aber darauf laufen nur Programme auf Portugiesisch."

Die Vereinigten Staaten heißen bei diesen Spielen nicht United States, sondern Estados Unidos. Ein prächtiger Name, gewiss, der jedoch dazu führt, dass das Team der USA während der Eröffnungsfeier aus alphabetischen Gründen ziemlich früh ins Stadion einmarschieren muss - das E kommt bekanntlich weit vor dem U. Das ist, zumindest für NBC, eine Ungeheuerlichkeit; der Sender forderte sogleich vom Internationalen Olympischen Komitee (IOC), die Amerikaner zu einer besseren Sendezeit vorzuführen. Wer will denn, bitte schön, Athleten anderer Nationen dabei zusehen, wie sie in ulkigen Klamotten im Kreis spazieren? Mehr als 40 Millionen Amerikaner sollen einschalten, NBC fürchtet, dass sich die Hälfte davon nach der Ankunft ihrer Landsleute verabschiedet - ergo: nach dem E wird umgeschaltet.

Die schöne neue Fernseh-Welt existiert nicht mehr

Man könnte diesen Protest, der übrigens abgewiesen wurde, als ulkige Nebenhandlung abtun. Man muss ihn jedoch in einem größeren Zusammenhang betrachten: NBC hat für die Übertragung der Olympischen Spiele von 2014 bis 2018 insgesamt 4,38 Milliarden Dollar bezahlt - und später für weitere 7,75 Milliarden bis ins Jahr 2032 verlängert. Das Unternehmen ist Hauptgeldgeber des IOC und deshalb mit dem Selbstbewusstsein ausgestattet, in den USA die Deutungshoheit über Olympia zu haben. Und beim IOC auch ein wenig dabei mitreden zu dürfen, wer wann durchs Stadion läuft oder ins Becken hüpft.

Sowohl bei NBC als auch beim IOC bemerken sie gerade: Diese schöne Welt, in der die Olympischen Spiele als Einheitsparteitag mit Staatsfernsehen inszeniert werden konnten, die existiert nicht mehr.

Bei der Eröffnungsfeier 2012 zum Beispiel kürzte NBC die Hommage an die Opfer des Bombenanschlags 2005 in London aus der Übertragung, Pressechef Greg Hughes sagte danach lapidar: "Wir senden für das US-Publikum - es ist eine Hommage an Regisseur Danny Boyle, dass wir so wenig herausgeschnitten haben." Während der Winterspiele 2014 im russischen Sotschi unterließ es der Sender, die Goldmedaille des deutschen Rodlers Felix Loch zu erwähnen, auf SZ-Anfrage hieß es bei NBC, dass das Ergebnis doch auf der Internetseite vermerkt sei.

Gegen Ende der Spiele in Russland dann interviewte Costas den IOC-Präsidenten Thomas Bach. Es hätte ein packendes Duell werden können wie zwischen Luke Skywalker und Darth Vader - es wurde eine Farce: Bach guckte bei politischen Fragen wie ein Stuntman, der genau weiß, wohin der Gegner zielen würde. Er musste nicht ausweichen, er durfte routiniert und ohne überraschenden Zwischenhieb parieren.

Social Media macht NBC Konkurrenz

Sie hatten da lange Zeit eine richtig nette Ich-tue-dir-nichts-du-tust-mir-nichts- Vereinbarung: NBC bekam den Präsidenten exklusiv und durfte sogar pikante Fragen stellen. Der kannte diese vermeintlichen Angriffe, konnte sich vorbereiten und durfte souverän und authentisch wirken.

Es war eine wunderbare Welt für die National Broadcasting Company, die aufgrund des Live-Monopols hohe Einschaltquoten sicher hatte, weil die Amerikaner dann doch sehen wollten, wer den 100-Meter-Lauf gewinnt. Der Sender konnte es sich sogar leisten, während der Schlussfeier 2010 die damals neue Reality-Show "The Marriage Ref" einzustreuen. In diesem Jahr wird die Eröffnungsfeier zeitverzögert (um eine Stunde an der Ostküste, gar um vier Stunden an der Westenküste) und verkürzt ausgestrahlt. Costas sagt: "Die Klagen darüber sind Unsinn. Wir können ein bisschen frisieren - und welcher vernünftige Mensch an der Westküste würde lieber am Nachmittag einschalten, anstatt zur Primetime?" Ein Widerspruch vom IOC ist offiziell nicht bekannt.

Es geht um nichts weniger als um die Relevanz des Fernsehens

Diese schöne Fernseh-Welt aber verändert sich. US-Sportler beklagen sich nicht mehr bei NBC über ihre Unterkünfte, sondern über den Internet-Dienstleister Snapchat. Dramatische Familiengeschichten veröffentlichen sie nicht mehr in Homestorys oder Interviews, sondern bei der Snapchat-Konkurrenz von Instagram. Live-Bilder von der Eröffnungsfeier zeigen sie bei Twitter, direkt aus dem Stadion. Zahlreiche TV-Zuschauer haben angekündigt, die NBC-Übertragung zu boykottieren, da sie nicht mehr live zu sehen ist.

Es geht um nichts weniger als um die Relevanz des Fernsehens bei diesen Olympischen Spielen. Und darum, wer die Deutungshoheit über dieses Ereignis bekommt. NBC hat Stars der Social-Media-Szene verpflichtet, die zusammen auf 120 Millionen Abonnenten kommen. Es wird einen eigenen Kanal auf Snapchat geben, dort und auch auf dem hauseigenen Streamingservice wird die Eröffnung dann auch live gezeigt. Insgesamt will NBC auf allen Kanälen 6755 Stunden Olympia-Programm senden, zur Not auch den Sieg eines Sportlers aus Madagaskar, oder den Einmarsch der deutschen Sportler in ihren neuen Kleidern. "Die Fernsehzahlen werden kaum sinken, die im Internet deutlich steigen - das werden die profitabelsten Spiele unserer Geschichte", sagt NBC-Chef Steve Burke, der mit Werbeeinnahmen von mehr als 1,2 Milliarden Dollar rechnet.

NBC sucht nach Relevanz in dieser neuen Welt. Ein paar Elemente aus vergangenen Zeiten dürfen dennoch nicht fehlen - was dem IOC gefallen dürfte. Wenn es Abend wird in Rio, wird im US-Fernsehen Bob Costas, 64, zu sehen sein. Am Ende der Spiele, da wird Thomas Bach, 62, vorbeischauen und ein paar Fragen beantworten. Vielleicht wird Wladimir Putin zugeschaltet und darf die Dopingpolitik seines Landes ausführlich und ohne Zwischenfrage erklären. Auf ein Zwinkern zu Bach und Costas dürfte er verzichten. Das wäre dann doch eine allzu himmelschreiende Ungeheuerlichkeit.

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