Olympia: Rodeln:"Das ist kein Pillepalle"

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Tatjana Hüfner gewinnt Gold im Rodeln und unterstreicht die Dominanz der Deutschen in diesem Sport. Die Konkurrenz darf dennoch hoffen.

Michael Neudecker, Whistler

Norbert Loch kam als Erster. Tatjana Hüfner war gerade erst von ihrem Schlitten aufgestanden, da kam auch schon Loch, der Bundestrainer im Rodeln, und umarmte Hüfner. Gleich danach kam Natalie Geisenberger, Hüfners Mannschaftskollegin, zur Umarmung. Und schließlich noch die Österreicherin Nina Reithmeyer.

Tatjana Hüfner im Eiskanal. (Foto: Foto: dpa)

Man hat sich inzwischen daran gewöhnt, dass die deutschen Rodlerinnen nach einem Rennen umarmt werden, und es ist überraschend, wie euphorisch das jedes Mal aussieht, immer noch. Aber dieses Mal war es auch etwas Besonderes, dieses Mal war Olympia, und Tatjana Hüfner ist zwar schon dreimal Weltmeisterin geworden, aber eben noch nie Olympiasiegerin. Bis Dienstag.

Das Whistler Sliding Centre hat nun zwei Wettbewerbe bei diesen Olympischen Spielen gesehen, bei denen sechs Medaillen vergeben wurden - vier davon holten die Deutschen. Bei den Männern siegte am Sonntag Felix Loch, 20, vor David Moeller, 28, und nun gewann Tatjana Hüfner, 26, bei den Frauen, Natalie Geisenberger, 22, wurde Dritte; nur Dritte, so könnte man formulieren. Dass die Österreicherin Nina Reithmeyer sich zwischen die beiden schob, das ist ja beinahe sensationell: Bei den Spielen 2002 und 2006 hatten die Deutschen jeweils noch Dreifachsiege gefeiert.

Es ist schon viel geschrieben und gesagt worden über die beispiellose Dominanz der Deutschen im Rodeln, und das wird nun auch in Zukunft so sein. Allein die Zahlen erzählen viel über den Zustand im Rodelsport der Frauen: Seit 1997 haben die Deutschen alle ausgetragenen Weltcuprennen gewonnen, Hüfners Olympiagold war das vierte für Deutsche in Folge, und die letzte Rodel-Olympiasiegerin, die nicht in Bayern, Thüringen oder Sachsen trainierte, war die Italienerin Gerda Weißensteiner. Sie siegte in Lillehammer, vor 16 Jahren.

Nur einmal, ein einziges Mal, gab es eine Ausnahme: Bei der Weltmeisterschaft in Lake Placid 2009, da gewann die Amerikanerin Erin Hamlin, Geisenberger wurde Zweite. "Das ist ein kleiner Schock für uns", sagte sie damals. Spätestens jetzt, bei Olympia 2010, ist der Normalzustand wiederhergestellt. Überraschend ist das nicht.

Es gibt weltweit 16 Kunsteisbahnen, allein vier stehen in Deutschland, mehr als irgendwo anders; zudem hat Deutschland zwei Anlagen, auf denen der Start geübt werden kann, auch im Sommer. Allein der Unterhalt der Bahnen verschlingt jährlich rund zwei Millionen Euro. Natalie Geisenberger stellte dies auch als entscheidenden Vorteil heraus, als sie im Whistler Sliding Centre nach dem Grund für die Stärke der Deutschen gefragt wurde: "In anderen Ländern haben sie zwei, eine oder gar keine Bahn."

Hinzu kommt der Status, den die deutschen Sportlerinnen genießen: In einem Sport, der längst nicht genug Geld einbringt, um davon leben zu können, haben sie - wie das im deutschen Sportfördersystem üblich ist - als dauerhaft freigestellte Bundeswehrsoldatinnen und -polizistinnen sowohl die finanzielle Sicherheit als auch die Zeit, sich ausschließlich auf ihren Sport zu konzentrieren. Und deshalb ist eben immer irgendeine Deutsche die beste Rodlerin der Welt, derzeit ist das Tatjana Hüfner, die für den WSC Erzgebirge Oberwiesenthal startet.

Niemand denke an die Serie, das hat Natalie Geisenberger einmal gesagt, jede gewinne für sich. Tatjana Hüfner war deshalb ganz bei sich, als sie nach dem Rennen über ihren Sieg sprechen sollte, sie war so glücklich, wie man es nur sein kann, wenn man Olympiagold gewonnen hat. "Ein Traum wird wahr", sagte sie, "ich weiß nicht, was ich sagen soll, ich bin sprachlos."

Sie hatte das Rennen, das nach dem Unfall des Georgiers Kumaritaschwili verkürzt wurde, vom ersten Durchgang an kontrolliert. Die Entscheidung, die Frauen vom Juniorstart ins Rennen gehen zu lassen, wurde im Großen und Ganzen mit Blick auf die Umstände als richtig befunden. "Ich denke schon, dass das Rennen olympiawürdig war", sagte Anke Wischnewski, die Fünfte wurde, "wir sind im Ziel mit Tempo 135 unterwegs gewesen, das ist kein Pillepalle." Und was Tatjana Hüfner angeht: Es war, wie sollte es anders sein, ein überaus verdienter Sieg.

Dass dahinter aber keine Deutsche, sondern eine Österreicherin rangierte, das gibt der Konkurrenz nun ein bisschen Hoffnung - überhaupt der ganzen Rodelgemeinde. Ihre Silbermedaille sei "sehr wichtig", sagte Reithmeyer, "man sieht jetzt, dass wir alle gute Rodler sind und doch eine Chance haben". Eine Chance auf Platz zwei, immerhin.

Im Video: Die Biathletin Neuner holte eine Goldmedaille, ebenso wie die Rodlerin Hüfner. Die Rodlerin Geisenberger gewann eine Bronzemedaille.

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