Olympia:Olympia-Dinos für die Ewigkeit

Ski Jumping - Winter Olympics Day -1

Will bis zu den Spielen 2026 Skispringer sein: Noriaki Kasai, 46.

(Foto: Getty Images)

Bei den Winterspielen treten Ü40-Athleten wie Noriaki Kasai, Claudia Pechstein und Janne Ahonen an. Wann ist es genug mit der Hatz nach Medaillen und Anerkennung?

Kommentar von Claudio Catuogno

Die Zeiten, als man den japanischen Schanzendino Noriaki Kasai noch mit einem Flugsaurier verwechseln konnte, sind auch schon wieder lange vorbei. Zwar handelt es sich bei Kasai eindeutig um eine Spezies vom Unterstamm der Wirbeltiere, welche sich mithilfe von flughautartigen Tragflächen durch die Luft bewegt (wobei noch erforscht werden müsste, ob Kasai die Tragflächen an- und abschnallt oder ob sie fest mit seinem Rumpf verwachsen sind). Bloß: Flugsaurier, das weiß jedes Kind, haben es lediglich vom Obertrias bis in die späte Kreidezeit geschafft, dann waren die Bandscheiben verschlissen, die Gelenke dahin, peng, ausgestorben.

Noriaki Kasai kann da nur lachen: Zwar zwickt der Rücken nach 30 Jahren in der Luft, zwar schmerzen die Knie nach 537 Weltcup-Springen mit Training, Qualifikation, Wertungsdurchgängen, trotzdem soll nach Pyeongchang noch nicht Schluss sein. Bis zu den Spielen 2026, für die sich seine Heimatstadt Sapporo interessiert, will er weiterspringen, und, sollte kein Meteorit dazwischenkommen, gewiss bis zur nächsten Eiszeit.

Zorn, Spaß, Geldprobleme: Gründe, als Sportler immer weiterzumachen, gibt es viele

Wenn es sich bei diesen Olympischen Winterspielen um eine Veranstaltung handeln sollte, zu der - im Sinn des guten alten Pierre de Coubertin - die "Jugend der Welt" zusammengerufen wird, dann ist der Begriff Jugend weit gefasst. Als die Evolution den unverwüstlichen Kasai hervorbrachte, irgendwann zwischen bleierner und Vorwendezeit, stand in Berlin noch eine Mauer, seitdem flog der Japaner von Olympia zu Olympia, 1992, 1994, 1998, 2002, 2006, 2010, 2014, nun 2018. Inzwischen ist er 46 - 2026 wird er 54 sein. Skispringen für die Ewigkeit.

Die Eisschnellläuferin Claudia Pechstein hat in ihrem Buch "Von Gold und Blut" berichtet, wie sie, als 1989 die Mauer fiel, lieber noch ein Stündchen weitergeschlafen hat in ihrem Bett in Ostberlin - wieso feiern, wenn doch das nächste Training immer das wichtigste ist? Pechstein wird in der zweiten Spiele-Woche 46, aber mit der tatsächlichen Jugend der Welt nimmt sie es weiter locker auf. Ihr Erfolgsgeheimnis (nach eigenen Angaben): "Wenn es weh tut, mache ich weiter."

Wann ist es genug mit der Hatz nach Zeiten, Medaillen, Anerkennung? Das können Athleten nur für sich beurteilen. Mitunter tut es dem Publikum schon früher weh als den Aktiven selbst. Auch der Finne Janne Ahonen, 40 und ebenfalls Skispringer, zählt in Pyeongchang zum Klub jener, die schon lange nicht mehr 20 sind. Zweimal zurückgetreten, zweimal zurückgekehrt: Da schwingt beim Zusehen auch das Bedauern mit, dass es nicht nur die Langeweile war, die einen Großen seines Fachs wieder zurücktrieb auf die Schanze. Sondern auch Geldprobleme. Bei Pechstein ist es anders: Sie trug den Titel "erfolgreichste deutsche Winter-Olympionikin" bereits mit Stolz, ehe sie wegen auffälliger Blutwerte die Spiele 2010 in Vancouver verpasste; Hämatologen diagnostizierten eine vererbte Blutanomalie, die Sache liegt bei den Gerichten. Nun ist jeder Triumph auf dem Eis auch einer gegen ihre Kritiker. Und Noriaki Kasai? Hat längst keine Kritiker mehr. Er springt, weil er es will ("ich sehe das als Ehre an") - und weil es in Japans Geschäftskultur nicht üblich ist, dass die Jungen die Alten vertreiben.

Ach, das Alter. Wenn der FC Bayern einen 72 Jahre alten Trainer zurückholt, ist das ein Signal gegen Altersdiskriminierung im Arbeitsleben, wenn aber eine Frau und zwei Männer über 60 eine Regierung bilden wollen, ist das auch wieder nicht recht. Dabei hilft es nichts: Wenn wir Menschen bald 110 oder 120 werden, müssen wir auch den Begriff der Jugend neu denken. Noriaki Kasai, der Fahnenträger der Japaner, ist nur der erste Vorbote dafür, dass nicht die Rente mit 67 die Zukunft ist, sondern die Jugend bis 67.

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