Olympia:Nie war die Skepsis gegenüber Helden so groß

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Und wieder blicken alle auf ihn: Usain Bolt. (Foto: AFP)

Endlich übernehmen die Sportler die Olympia-Bühne. Usain Bolt und Michael Phelps wollen noch einmal strahlen - doch siegen sie, dürfte es Debatten geben.

Von René Hofmann, Rio de Janeiro

Auch dieses Rennen gewinnt Usain Bolt. Olympische Spiele sind ein globales Ereignis, und wenn sie beginnen, gibt es stets ein untrügliches Zeichen, wer die alles überstrahlende Figur ist, wer die anderen in den Schatten stellt: Das erste große Werbeplakat am Flughafen, dort wo die Gäste aus aller Welt ankommen. Es verrät zuverlässig, wer das Gesicht der Spiele ist. Das erste große Werbeplakat, das am Flughafen Antônio Carlos Jobim in Rio ins Auge sticht, zeigt nicht ein Gesicht. Es zeigt drei. Dreimal Usain Bolt. Der Text: "Peking 2008: 100 Meter in 9,69 Sekunden." - "London 2012: 100 Meter in 9,63 Sekunden." - "Rio 2016: Wer traut sich?"

Wer kann es mit Bolt aufnehmen? Das ist eine spannende Frage. Wer traut sich was? Das dürfte überhaupt die große Frage der nächsten zwei Wochen sein.

Die Rio-Spiele hatten ein verheerendes Vorspiel. Zika, Rezession, Regierungskrise: Brasilien war nicht wirklich in Partystimmung. Was das größte Sportfest der Welt aber noch viel mehr bedrohte: der systematische, staatlich orchestrierte Doping-Betrug in Russland, der drei Wochen vor dem Entzünden der Flamme in einem Bericht des kanadischen Ermittlers Richard McLaren im Auftrag der Welt-Anti-Doping-Agentur Wada penibel dokumentiert wurde. Die Enthüllungen haben den olympischen Sport ins Mark getroffen. Selbst der notorische Schönredner Thomas Bach, der an der Spitze des IOC steht, spricht von "einer Situation, die wir nie mehr erleben wollen".

Olympia, die gewaltige Bühne

Das Misstrauen gegen die Russen, aber auch das generelle Misstrauen, das mehr denn je allen außergewöhnlichen Leistungen entgegenweht - das ist das beherrschende Thema im gewaltigen, brandneuen Olympiapark in Barra di Tijuca. Keine Gesprächsrunde, in der das Thema nicht zur Sprache kommt. Und es gibt viele Gesprächsrunden in so einer Woche, an deren Ende die Spiele starten...

Olympia: Das ist eine gewaltige Bühne. Bisher war sie leer. Erst an diesem Wochenende werden die Schausteller auftreten, die Athleten. Welche Stimmung bei ihnen vorherrscht, das hat am besten Timo Boll zusammengefasst, der erfahrene, zurückhaltende Tischtennisspieler, der bei der Eröffnungsfeier die deutsche Fahne tragen durfte. "Die Stimmung war vorher vielleicht nicht so gut", sagte Boll, "die mediale Stimmung mit diesem Russland-Konflikt, das bekamen wir natürlich auch mit." Sein Eindruck: Es werde nur noch über Sportpolitik gesprochen, nicht mehr über den Sport. Sein Wunsch: "Es ist schön, wenn jetzt wieder über Leistungen gesprochen wird."

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Die warme Stimmung der Brasilianer trägt die Eröffnung von Olympia in Rio. Aber die Botschaften des IOC sind dreist bis über die Schmerzgrenze, Thomas Bach redet sich die Realität gnadenlos schön.

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Welche Leistungen in Rio die Gespräche bestimmen könnten? Bolts Sprints natürlich. Aber der Jamaikaner ist erst in ein paar Tagen dran. Die Leichtathletik, die große olympische Ur-Sportart, beginnt erst kommenden Freitag. Vorher gehört die Bühne anderen. Den Schwimmern zum Beispiel. Und bei ihnen gibt es ja auch einen, der schon eine wirklich große, wirklich strahlende Olympia-Figur ist: Michael Phelps. Wie Bolt hat er die letzten Spiele geprägt. Sechs Mal Gold in Athen, acht Mal Gold in Peking, vier Mal Gold in London. Insgesamt hat Phelps schon 22 olympische Medaillen gewonnen. Eine größere Sammlung hat keiner. Phelps war zurückgetreten. Jetzt ist er wieder da und will es noch mal wissen. Und natürlich will alle Welt wissen: Schafft er das?

Wie groß das Interesse an einem Thema ist, lässt sich im Olympiapark leicht bemessen: an dem Publikum, das es findet. Das größte Publikum vor Spiele-Beginn fand Thomas Bach. Beim Auftritt des obersten Sportpolitikers blieb kaum ein Platz leer im riesigen Konferenzraum Samba des Hauptpressezentrums. Phelps folgte dicht auf. Aus dem Therapiezentrum, wo er wegen seiner Probleme mit dem Alkohol Station machen musste, zurück zu Olympia, im Mai dann Vater geworden, nun sogar Fahnenträger - da gibt es viele Fragen.

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Das Sportministerium gibt zu, im Monat vor den Spielen seine "führenden Athleten" nicht kontrolliert zu haben. Die Welt-Anti-Doping-Agentur spricht von "inakzeptablen" Zuständen.

Phelps erzählte über seine Wandlung: "Ich gehe früher ins Bett, schlafe mehr und wache mit vollkommen klarem Kopf auf." Er erzählte, warum das so sei: "Ich habe mich wieder in diesen Sport verliebt."

Und er erzählte von seinem Sohn Boomer: "Er wird garantiert in einem tollen Outfit auf der Tribüne erscheinen." Irgendwann, das war klar, kamen dann auch die Fragen zu Russland. Der Sport und die Sportpolitik - das ist in diesen Tagen einfach nicht zu trennen.

Auch Phelps Leistungen wurden oft argwöhnisch beäugt. Er hat sich von verbotenen Mitteln stets distanziert. Aber es gibt viele Mittel, die sich nur schwer finden lassen. "Es muss sich in allen Sportarten viel ändern, nicht nur im Schwimmen", sagt Phelps, "als Athlet willst du auf einer fairen Basis antreten können. Das Thema kommt scheinbar vor allen Spielen hoch, und es ist traurig, dass diejenigen, die die Verantwortung tragen, das nicht in den Griff bekommen."

Sportpolitik? Dieses Thema will Usain Bolt lieber anderen überlassen

Zu der Frage, ob die Russen in Rio starten dürfen sollten oder besser nicht, mag Phelps nicht ins Detail gehen. Generell nur so viel: "Wir wollen alle einen sauberen Sport. Ich bin der Einzige, der kontrollieren kann, was ich tue. Und darauf konzentriere ich mich. Ich kann nicht sagen, ob ich in meiner Karriere jemals an einem Rennen teilgenommen habe, in dem alle sauber waren. Das ist bestürzend, aber ich habe eben nicht auf viel mehr Einfluss als auf das, was ich tue."

Die Protagonisten: Sie stecken selbst in einem Dilemma. Es glaubt ihnen kaum einer mehr. Negative Doping-Tests waren nie eine Garantie, dass einer wirklich sauber war. Inzwischen aber sind so viele dreiste Betrüger aufgeflogen und so viele Tricks bekannt, wie sich die Kontrolleure narren ließen, dass das Grundvertrauen erschüttert ist. Der Glaube, die meisten Sportler seien bestimmt ehrlich, ist verschwunden. Jetzt gibt es bloß noch die Hoffnung, dass doch ein paar sauber sein könnten. Aber warum sollten das ausgerechnet diejenigen sein, die alle anderen mit ihren überwältigenden Kräften überstrahlen?

Phelps ist 31, Bolt 29. Für beide dürften die Rio-Spiele das letzte große Olympia-Hurra werden. Irgendwie sollen sie diese Spiele retten. Doch wenn sie wieder dominieren, werden die Zweifel dann nicht erst recht wuchern? 2008 in Peking rannte Bolt mit offenem Schnürsenkel Weltrekord, 2012 in London ließ er es etliche Meter vor der Ziellinie schon austrudeln. Was traut er sich wohl dieses Mal?

Natürlich wurde auch Bolt kürzlich zum "Russland-Konflikt" befragt. Er sei dafür, erwischte Betrüger hart zu bestrafen, meinte Bolt. Wie hart hart genug sei - das aber überlasse er lieber den Sportpolitikern. Er konzentriere sich lieber auf sich, auf seine Ziele: "Ich will meine Titel verteidigen." Wie in Peking und in London hieße das dreimal Gold: über 100 Meter, 200 Meter und mit der 100-Meter-Staffel.

© SZ vom 06.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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