Olympia:Neymar schenkt seinem Land goldene Tränen

Olympia: Gold löst große Emotionen bei Neymar aus.

Gold löst große Emotionen bei Neymar aus.

(Foto: AFP)

Ein Finale wie gemalt für Brasilien: Neymars Elfmeter bezwingt eine tapfer kämpfende deutsche Mannschaft. Ihr Trainer Horst Hrubesch kann sich auch über Silber freuen.

Von Johannes Kirchmeier

Es gibt ein paar Regeln und Gesetze im Fußball. Viele davon wurden schon vor mehr als einem Jahrhundert formuliert und kultiviert. "Der Ball ist rund" oder "Ein Spiel dauert neunzig Minuten." Andere wurden erst später durch Fußball-Philosophen begründet. Wie etwa das Gesetz: "Fußball ist ein einfaches Spiel: 22 Männer jagen 90 Minuten lang einem Ball nach, und am Ende gewinnen die Deutschen." Sie stammt vom Engländer Gary Lineker, nachdem er bei der WM 1990 gegen Deutschland im Elfmeterschießen verloren hatte.

Seit den Ereignissen in Rio de Janeiro am Samstagabend stimmt dieses Gesetz nicht mehr. Deutschland hat verloren - und das auch noch in der eigentlichen Paradedisziplin, im Elfmeterschießen. Stattdessen sorgte der Brasilianer Neymar mit dem verwandelten letzten Elfmeter für die erste echte "Noite brasileiro" bei diesen Olympischen Sommerspielen in Rio de Janeiro. Der Gastgeber jubelte über seine erste olympische Goldmedaille im Fußball - und Neymar, der Beschaffer, ließ sich auf den Rasen am Elfmeterpunkt sinken und begann zu weinen, oder eigentlich muss man sagen: heulen. Der Moment, im runden Fußball-Nationalheiligtum Maracana, sein Land erlöst zu haben, überwältigte ihn. Es ist ein Bild, vielleicht aus brasilianischer Sicht das Bild, das bleiben wird.

Ein Bild aus dem Spiel, das das letzte des deutschen Olympia-Trainers Horst Hrubesch war. Der 65-Jährige beendet seine Trainerkarriere nach den Sommerspielen. Schwitzend stand er nach dem Schlusspfiff auf dem Rasen, er musste etwas in die Kamera sagen, er sagte, er sei auch ohne Goldmedaille zufrieden mit seiner Mannschaft: "Ich habe den Jungs schon vor dem Elfmeterschießen gesagt: 'Was wir hier gemacht haben, ist überragend.' Wir gehen hier als Gewinner raus und nicht als Verlierer."

Zuvor hatte das Maracana 120 Minuten lang gebebt. Die Brasilianer legten gut los, versuchten von Beginn an für Unruhe zu sorgen, das deutsche Team konnte die ersten Angriffe durch die starken Abwehrleute Niklas Süle und Matthias Ginter aber klären. Wie 2014, beim WM-Finale Deutschland gegen Argentinien, das ebenfalls im Maracana stattfand, beruhigte sich das Finale nach ein paar hektischen Minuten. Die Teams wussten ja: Jeden kleinen Fehler vermochten sowohl die Brasilianer, als auch die Deutschen im bisherigen Turnierverlauf bestrafen - und das sollte im Finale bestenfalls nicht passieren.

Brandt schlenzt Ball an die Latte

Das bedeutet im Übrigen auch, dass der bisher so starke deutsche Flügelspieler Serge Gnabry, der beste Torschütze des Turniers, dieses Mal ebenfalls schwächer agierte. Was vor allem an einer unbezwingbaren Mauer lag, die sich ihm in den Weg stellte: Rechtsverteidiger Zeca. Immer wenn Gnabry durchstarten wollte, stand Zeca dicht bei ihm und stibitzte ihm den Ball. Nur einmal, Ausnahmen bestätigen die Regel, in der zehnten Minute schüttelte Gnabry Zeca ab, legte den Ball zurück zu Mitspieler Julian Brandt - und der schlenzte die Kugel an die Querlatte. Im Stadion war's plötzlich und für ein paar Sekunden still.

Aber nur kurzzeitig. Denn den Deutschen stand die Querlatte im Weg, den Brasilianern war sie dagegen hold: Neymar zirkelte einen Freistoß an die Latte. Von deren Unterkante sprang der Ball ins Tor, der Kölner Torwart Timo Horn hatte keine Chance. Neymar, der immer betonte, dass für ihn nur der Gewinn der Goldmedaille zählt, bewies, wie ernst ihm das Vorhaben war. Und freute sich darüber in der Pose des in Rio dreimal mit Gold behangenen Zaungastes Usain Bolt - in Sternendeuter-Manier.

Wieder leiser wurdes es dann nach knapp einer Stunde im Maracana, als Rechtsverteidiger Jeremy Toljan bei einem Konter sah, dass Max Meyer im Strafraum frei war. Er flankte flach. Meyer schoss den Ball humorlos ins linke Eck, ohne Rücksicht auf brasilianische Staatstrauer - 1:1. Im Nachhinein stellte sich jedoch heraus: Es war die letzte Möglichkeit für einen deutschen Treffer.

In der Verlängerung beginnt Neymar zu humpeln

Denn die deutschen Spieler waren in der Folge zu müde für weitere gefährliche Szenen, die kurze Vorbereitung zeigte Wirkung: Hrubesch konnte sein Team ja nur eine Woche trainieren. Anders die Brasilianer, die sich extra aufs Heimturnier vorbereitet hatten - und nun durch ihre dauerrotierenden Stürmer Neymar, Gabriel Barbosa, Gabriel Jesus, Felipe Anderson und Luan zu guten Chancen kamen. Die beste hatte Anderson, als Neymar bei einem Konter im Mittelfeld einen Zuckerpass losschickte. Der erreichte Anderson zwar, im Strafraum hatte dem dann jedoch der flinke Leipziger Linksverteidiger Lukas Klostermann den Ball abgeluchst.

In der Verlängerung humpelte Neymar dann plötzlich, schleppte sich über den Platz - er kämpfte für seinen Traum. Bis zum Elfmeterschießen. Wo er dann für den größten brasilianischen Moment dieser Spiele sorgte. Er blieb als letzter Schütze ruhig und traf, anders als vor ihm der Deutsche Nils Petersen. Und dann feierte ein ganzes Stadion, ein ganzes Land.

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