Olympia:Mirandas Geständnis

Die internationalen Ermittlungen um Korruptionsfälle bei der Vergabe der Spiele bringen das IOC in ernste Gefahr. Weil in Brasilien erstmals ein Beschuldigter auspackt und von Stimmenkauf spricht, kann jetzt auch das FBI aktiv werden.

Von Thomas Kistner

Russland hat am Donnerstag den Staatsdoping-Enthüller Hajo Seppelt von der Fußball-WM verbannt, der ARD-Sportjournalist erhält kein Visum. Hingegen findet Thomas Bach, die Russen hätten Lehren gezogen aus dem großen Staatsbetrug. Im Mannheimer Morgen erzählte der Chef des Internationalen Olympischen Komitees, dass Russland Doping ja nun per Gesetz unter Strafe stelle - und "die Verantwortlichen ausgetauscht" habe. Dabei hat die Staatsdoping-Affäre auch das IOC angeknockt. Und der Boss hat mehr Anlass, besorgt statt schlicht naiv zu sein, das IOC sieht sich einer sehr direkten Bedrohung gegenüber: Staatsanwaltschaften in verschiedenen Erdteilen ermitteln wegen Korruptionsverdacht bei der Vergabe Olympischer Spiele; im Fokus sind Rio 2016, Pyeongchang 2018 und Tokio 2020.

Die Pariser Staatsanwaltschaft PNF will, wie die SZ erfuhr, im Zuge ihrer Ermittlungen Interpol bemühen - um an eine Namensliste von angeblich 27 IOC-Mitgliedern zu gelangen. Diese sollen, so hat im April der koreanische Sender SBS berichtet, mit Vertretern von Pyeongchangs damaliger Kandidatur über ihre Stimmen verhandelt haben - wie es heißt, im Gegenzug für Marketing- und andere Verträge mit Südkoreas Elektronik-Riesen Samsung.

Es geht um vier Stimmen - genug, um das FBI ins Spiel zu bringen

Nun geht es auch in den Rio-Ermittlungen voran. Brasiliens staatliche Korruptionssümpfe erstrecken sich fast übers ganze Land, da gibt es beiläufig Funde. Wie im Fall von Carlos Emanuel Miranda, der im Verdacht steht, Schmiergelder des ehemaligen Gouverneurs von Rio, Sérgio Cabral, verwaltet zu haben. Miranda hat als Kronzeuge ausgesagt, darunter im April 2017 folgendes: "Kürzlich sagte Cabral im Gefängnis dem Kollaborateur (Miranda, d.Red.), dass Arthur (Soares Filho, ein mitbeschuldigter Unternehmer, d.Red.) in der Tat Zahlungen an afrikanische Führer mit Verbindungen zum Leichtathletikbereich geleistet hat, um vier Stimmen zu kaufen, wenn ich nicht irre." Diese Niederschrift hat nun am Wochenende die Zeitung Folha de Sao Paulo publiziert. Cabral wird, zusammen mit Brasiliens langjährigem Chefolympier und IOC-Mitglied Carlos Arthur Nuzman, beschuldigt, zwei Millionen Dollar an den Sohn des Leichtathletik-Weltverbandschefs Lamine Diack gezahlt zu haben, für Stimmen bei Rios 2016-Kür, die im Herbst 2009 stattgefunden hat. Diack senior ist seit Jahren in Frankreich unter Hausarrest, den im Senegal untergetauchten Filius Papa Massata sucht Interpol.

Der Verdacht zu Rio ist zwar mit Geldtransfers, Mails und anderem gut unterfüttert, nur liegt noch wenig aus dem Kreis der Beschuldigten selbst vor, die alle Vorwürfe bestreiten. Mirandas Aussage ist ein substantieller Fortschritt: Das Muster der offenbar über mehrere Olympia-Vergaben hinweg erfolgten Stimmenkäufe des Diack-Sohnes, dessen Vater im IOC viele Voten Afrikas kontrolliert hatte, findet sich im Tokio-2020-Komplex ebenso wieder wie im Fall Pyeongchang. Der Bericht des TV-Senders SBS legt nahe, dass die Namensliste in einer Korrespondenz zwischen Papa Diack und Samsung-Leuten entstanden sei. SBS beruft sich auf 137 vorliegende Mails; demnach seien zwölf der 27 ausgeguckten Wahlmänner aus Afrika gewesen.

Während Diacks Deals rund um das IOC an Kontur gewinnen, birgt das brasilianische Geständnis eine neue Gefahr für den Olymp. Nach Aktenlage geht es um durchaus mehr als vier Falschspieler, jedoch können schon vier gekaufte Stimmen ausreichen, um die am besten ausgestatteten Ermittler ins Verfahren eintreten zu lassen: das FBI. Bisher hat sich die US-Bundespolizei nur ständig informiert gehalten, jetzt kann sie selbst aktiv werden: Bei Rios Wahlsieg war Chicago in Runde eins ausgeschieden, mit 18 Stimmen; Rio kam zum Auftakt auf 26 Voten. Da wären vier Stimmen entscheidend.

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