Olympia:IOC-Chef Bach malt sich die Spiele schön

Rio 2016 - Schießen

Thomas Bach zeigt sich als IOC-Präsident auch bei einigen Medaillen-Zeremonien.

(Foto: dpa)

Der IOC-Präsident hat ein ungewöhnliches Bild von den Spielen in Rio. Für zahlreiche Probleme scheint er blind zu sein. Das wirft die Frage auf: Wo war er eigentlich?

Kommentar von René Hofmann, Rio de Janeiro

Thomas Bach, der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees, hat am Samstag seine Bilanz gezogen dieser ersten Olympischen Spiele in Südamerika. Bach strich das "großartige Publikum" heraus, er lobte die "tollen Sportstätten" und erzählte von "Athleten-Ikonen", die "viele denkwürdige Geschichten" geschrieben hätten. Der einstige Fechter hatte in Rio eine "große Einigkeit" unter den Protagonisten erlebt. Und er ist sich sicher, auch die Bewohner der Metropole werden die Spiele spätestens ab Montag ausschließlich positiv sehen, denn diese ließen ja eine neue U-Bahn zurück, ein neues Bus-System und etliche neue Straßen: "Stellen Sie sich einmal vor, wie Rio aussähe, wenn es diese Spiele nicht gegeben hätte!", forderte der 62-Jährige seine Zuhörer auf.

Bach redete rund eine Stunde lang. Wer ihm die ganze Zeit über aufmerksam zuhörte, dem drängte sich unweigerlich eine Frage auf: Wo ist der IOC-Chef in den vergangenen zwei Wochen eigentlich gewesen? Offenbar war er nicht im Leichtathletik-Stadion, als dort bei vielen Wettkämpfen eine beschämende Leere herrschte. Offenbar war er nicht in der Nähe, als der ägyptische Judoka Islam El Shehaby seinem israelischen Gegner Or Sasson den Handschlag verweigerte und Teile der libanesischen Delegation das israelische Team daran hinderten, mit ihnen im gleichen Bus zur Eröffnungsfeier zu fahren.

Und ganz offensichtlich war Bach auch nicht dabei, als die 19 Jahre alte Amerikanerin Lilly King nach ihrem Sieg im Schwimmbecken auf die Russin Jelena Jefimowa deutete und sinngemäß sagte: Sie sollte gar nicht hier sein! Lilly meinte nicht nur das Siegertreppchen, sie meinte die Spiele als Ganzes. Jefimowa hat schon mehrere ziemlich denkwürdige Doping-Geschichten geschrieben.

Das ganze Land zahlt eine hohe Zeche für die Party

Nein, nein und nochmals nein. Die Spiele in Rio waren eben kein Publikumsrenner. Die Bedingungen für die Sportler waren keineswegs alle immer toll. Und die Sportler waren sich auch keineswegs immer alle einig. Im Gegenteil. Sie waren zerstritten wie selten zuvor. Dass die Cariocas dem IOC wegen all der neuen U-Bahnen, Busse und Straßen ausschließlich dankbar sein werden, darf auch bezweifelt werden. Schließlich zahlt das ganze Land eine hohe Zeche für die Party.

Um Olympia irgendwie über die Runde zu bekommen, wurden im Rahmen dessen, was das Organisationskomitee ein "flexibles Budget" nennt, offenbar Mittel, die für die Paralympischen Spiele gedacht waren, jetzt schon ausgegeben. Bis Donnerstag dieser Woche sah es so aus, als könnte die Veranstaltung tatsächlich noch abgesagt werden. Dann ließ sich Interims-Präsident Michel Temer zum einzigen Mal im Olympiapark sehen. Er kam zu einem Krisengespräch. Daraufhin wurden mehrere Staats-Unternehmen ganz schnell Paralympics-Sponsoren. Auch Rios Bürgermeister will schauen, dass er auf die Schnelle noch 150 Millionen Reais auftreiben kann, das sind gut 40 Millionen Euro. Am Ende werden die Olympischen und die Paralympischen Spiele zusammen abgerechnet und die Bevölkerung wird wohl realisieren, was der Ringe-Zirkus ihr tatsächlich hinterlässt: Schulden.

Dass Bach wesentliche Teile ausblendet, wenn er auf die Spiele blickt, ist nicht neu. Bei den Winterspielen vor zwei Jahren in Sotschi hatte er in seiner Bilanz-Runde den Gigantismus, die massiven Eingriffe in die Umwelt und den fragwürdigen Umgang mit Olympia-Zweiflern unerwähnt gelassen und stattdessen darüber fabuliert, wie er den Ort zwanzig Jahre zuvor erlebt hatte. O-Ton Bach: "In jedem Raum hat man erst einmal zur Decke geschaut, ob man vielleicht gleich von etwas getroffen wird, was herunterfällt. Das war schrecklich." Schon dieser Auftritt war skurril gewesen. Der in Rio ging nun noch ein gutes Stück darüber hinaus.

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