Olympia in Rosa Chutor:Enthemmte Herren

Bruderkuss

Der Bruderkuss. Aufgenommen 2009 auf der Mauer der East Side Gallery in Berlin.

(Foto: ddp)

Ein mächtiges Bild im hinteren Teil eines Frühstücksraums im olympischen Bergort Rosa Chutor: Zwei Männer zeigen einen Kuss wie in einschlägigen Unterhaltungsprogrammen. Wie passt das nur zur homophoben Gesetzgebung Russlands?

Eine Satire von Thomas Hahn, Krasnaja Poljana

Schwul müsste man sein, dann könnte man jetzt viel mutiger für die richtige Sache einstehen. Dann könnte man vielleicht sogar dieses bescheuerte russische Anti-Homosexuellen-Gesetz mal ausprobieren, das so deppert formuliert ist, dass man gar nicht genau weiß, ob die Russen überhaupt wissen, wovon sie reden, wenn sie "die Propaganda nichttraditioneller sexueller Beziehungen" verbieten.

Homosexualität ist doch eigentlich traditionell, im antiken Griechenland zum Beispiel waren viele Leute mit großer Hingabe schwul. So gesehen ist eher das Verbot ein neumodischer Quatsch. Trotzdem, bzw. gerade deshalb: Schwul müsste man jetzt sein.

Dann könnte man am Gorki-Platz in Krasnaja Poljana öffentlich knutschen und schauen, was passiert. Oder man könnte sich an den Präsidenten Putin rankuscheln und sich unter Medien-Getöse verklagen lassen.

Aber so einfach ist das nicht. Diese verdammte Heterosexualität kann man nicht einfach ablegen wie einen Mantel oder einen Hut. Irgendwann stellt man als Mann fest, dass man Frauen liebt, und dann sitzt man drin in der Tinte und kommt auch nicht mehr raus. Ungleichgeschlechtliche Liebe hat ihre Tücken, und in schlechten Momenten wünscht man sie zum Teufel.

Aber das Leben ist kein Gemischtwarenregal, aus dem sich jeder die sexuelle Neigung rausholen kann, die ihm gerade passt. Man ist, was man ist, fertig. Aus politischer Korrektheit das Ufer zu wechseln, wäre sicher ehrenwert, aber nicht sehr authentisch.

Im Dienste gegen die Irrungen der russischen Justiz geht deshalb gerade nicht viel mehr, als jene zu feiern, die mit Kuss und Tat für eine vernünftige Gesellschaft werben. Zum Beispiel die beiden älteren Herren auf diesem mächtigen Bild, welches im hinteren Teil unseres Frühstücksraums im Retorten-Ortsteil Rosa Chutor hängt.

Sie zeigen einen Männerkuss, wie ihn auch die Darsteller einschlägiger Unterhaltungsprogramme nicht vollendeter darstellen könnten. Eiferer könnten die Betreiber des Lokals bestimmt verklagen, falls ihre Kinder fragen, was die beiden Onkels da gerade machen. Und die beiden Onkels selbst sind wirklich mutig, Hut ab.

Wobei man ehrlicherweise sagen muss: Sie haben nichts mehr zu befürchten. Das Bild zeigt den Bruderkuss der sozialistischen Alphatypen Leonid Breschnew (UdSSR) und Erich Honecker (DDR). Natürlich ist es ein Dokument von enthemmtem Männer-Sex. Aber die wilden Zwei gehören der entfernten Vergangenheit, Wladimir Putin kriegt sie nicht mehr.

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