Olympia: Gold im Riesenslalom:Vicky, die Jägerin

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Eine Olympiasiegerin, die aus dem Nebel kommt: Viktoria Rebensburg, 20, fährt nach einer Nacht Pause im zweiten Riesenslalom-Durchgang von Rang sechs zu Gold.

Wolfgang Gärner

Kurz, nachdem sie sich etwas gefasst hatte, nachdem Viktoria Rebensburg begriffen hatte, dass sie sich fortan und ein Leben lang Olympiasiegerin nennen darf, sprach sie einen Satz, der sie auch ein bisschen charakterisiert: "Ich war die Jagende. Von daher war ich in einer guten Ausgangsposition." Über zwei Tage hatte sich dieser Riesenslalom der Frauen hingezogen, nach dem ersten Lauf hatte Rebensburg Platz sechs belegt, und schon am Morgen, als sie wach wurde, schien sie zu wissen, dass das gut war: "Komisch", sagte sie später im Ziel, "ich war am Start gar nicht nervös."

Sätze, die eine enorme Nervenstärke dokumentieren, die mit einem Triumph in diesem Rennen der Hundertstelsekunden belohnt wurde. Denn die Entscheidung fiel denkbar knapp: vier Hundertstel lag Rebensburg in der Addition beider Läufe vor der Slowenin Tina Maze, 14 Hundertstel vor der Österreicherin Elisabeth Görgl, die nach dem ersten Lauf geführt hatte, die aber in der langen Nacht die Konzentration verlor.

Nun ist Viktoria Rebensburg, die 20-Jährige, die Jägerin, geboren am Tegernsee, startend für den SC Kreuth, die zweite Deutsche, die je einen olympischen Riesenslalom gewinnen konnte - ihre Vorgängerin in dieser Disziplin war Ossi Reichert, sie siegte 1956 in Cortina d'Ampezzo. Rebensburg hat mit ihren jungen Jahren ein Talent gezeigt, das normalerweise nur Rodlerinnen eigen ist: Über Nacht die Anspannung zu halten, wenn der Wettkampf sich über zwei Tage in die Länge zieht.

"Man muss es abrufen können und zwei Mal runterbringen - und sie hat es geschafft", fand Maria Riesch früh Worte der Gratulation. Beide haben bei diesen Spielen jetzt Gold gewonnen, Riesch in der Super-Kombination, Rebensburg im Riesenslalom. Riesch beendete den Riesenslalom als Zehnte, sie hat mit ihrem Olympiasieg ihr persönliches Ziel erreicht. Riesch bot das fast schon Erwartete, der Erfolg von Viktoria Rebensburg (1,70 m, 66 kg) darf, mit Verlaub, eine Sensation dieser Winterspiele genannt werden.

Denn wenn es eine deutsche Favoritin für diesen Wettbewerb gegeben hatte, dann war das Kathrin Hölzl aus Bischofswiesen, vor einem Jahr Weltmeisterin geworden und zuletzt im Weltcup Gewinnerin zweier Rennen. Sie vergab aber ihre Chancen schon am Mittwoch, im ersten Durchgang, und wurde insgesamt Sechste. Nicht Hölzl, nicht Riesch, am Ende hat sich die Jüngste des Teams eindrucksvoll durchgesetzt. Dass sie die deutsche Läuferin für die Zukunft ist, hatten ihre Trainer längst angekündigt; nun aber ging alles viel, viel schneller: Die Zukunft ist jetzt! Heute! Am vom Nebel bedeckten Berg von Whistler.

"So was ist normal, so was gehört dazu", sagte Mathias Berthold, Cheftrainer der Deutschen. Mit so was muss man zurecht kommen, dass die Läufe geteilt werden: Mittwoch erster Durchgang des Riesenslaloms, dann der Abbruch, weil es sich der berüchtigte Mid mountain fog, der Bergnebel, im Hang bequem gemacht hatte. Donnerstag, früh um 9.30 Uhr, erst das Finale; um ganz sicher zu gehen auf einer um zehn Tore verkürzten Piste. Eine zähe Nervenproge: Am Mittwoch hatten sie die Fortsetzung des Rennens geduldig und halbstundenweise verschoben, aber um drei Uhr am Nachmittag das Vorhaben aufgegeben. Aufschub, Festschreibung des Halbzeitergebnisses.

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Die Statuten hätten auch eine komplette Neuansetzung beider Durchgänge ermöglicht. Aber damit wäre nur den US-Amerikanerinnen gedient gewesen, sie waren favorisiert, hatten aber gepatzt. Julie Mancuso fühlte sich durch das Missgeschick ihrer Teamkollegin Lindsey Vonn der Chance beraubt, ihren Goldgewinn von 2006 zu wiederholen.

Vonn war nach Bestzeit im Zielhang ins Sicherheitsnetz gerauscht und liegen geblieben "wie eine Bretzel" (sie erlitt einen Bruch des kleinen Fingers). Die eine Nummer hinter ihr gestartete Mancuso wurde deshalb abgewunken, landete in der Wiederholung ihrer Fahrt nur auf Rang 18 und grämte sich laut darüber, dass es in Whistler nun wohl bei ihren beiden Silbermedaillen für Kombination und Super-G bleiben werden. Sie hat sich im Finale noch ganz gut rehabilitiert und auf Rang acht verbessert.

Ganz und gar nicht einverstanden mit einer Wiederholung des ersten Laufes hingegen wären die Österreicherinnen gewesen, zur Halbzeit zu dritt in der Spitzengruppe mit Elisabeth Görgl ("Schneefall, Nebel, schlechte Piste - das alles liegt mir") als Führender sowie Kathrin Zettel und Eva-Maria Brem auf den Plätzen drei und vier hinter der Französin Taina Barioz. Görgl kam durch und wurde Dritte wie in der Abfahrt, Zettel landete auf Rang fünf, Brem auf Rang sieben.

"Dass ich zunächst nicht ganz vorne war, war sicher ein Vorteil", sagte Viktoria Rebensburg in ihrer ersten, kleinen Analyse: "Die Piste hat auch immer mehr nachgelassen, da habe ich mir schon gedacht, dass meine Ausgangsposition gut ist." Dass sie prima auf den Ski steht, war bekannt, verglichen haben die Experten ihren Stil gelegentlich mit dem von Bode Miller - wild, mutig, attackiert. Jedes Rennen ein Alles oder Nichts. Zwar zählte Viktoria Rebensburg bei den Buchmachern nicht zu den großen Favoriten, aber Mathias Berthold, ihr Trainer, hatte ihr einen Coup bereits seit der Olympia-Generalprobe von Whistler zugetraut: "Als ich vor zwei Jahren die Strecke gesehen habe, habe ich sofort an Vicky gedacht." Er wurde bestätigt.

Der Stern der Sportlerin aus Kreuth, die zum ersten Mal mit drei Jahren auf den Skiern stand, ging bei der WM 2007 in Are/Schweden auf - sie wurde Riesenslalom-Achte. "Das war voll geil, richtig stark", lobte Berthold damals. Rebensburg selbst dürfte es "cool" gefunden haben - es ist ihr Lieblingswort.

Dreimal ist sie bereits Junioren-Weltmeisterin, auf dem Siegerpodest im Weltcup der Frauen stand sie jedoch erst ein einziges Mal. In Cortina war sie zuletzt Zweite - und diesem Selbstvertrauen reiste sie nach Whistler. Dass Rebensburg immer weiter an die Weltspitze herankommt, liegt sicher nicht nur an ihrem Talent. Auch die Doppel-Belastung Schule und Sport ist weg. Im Sommer 2009 legte sie ihre Abiturprüfung an, derzeit absolviert sie eine Ausbildung zur Zollwachtmeisterin.

© SZ vom 26.02.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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