Olympia-Fahnenträgerin Maria Höfl-Riesch:"Erste Wahl mit Stern"

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Die Geheimniskrämerei hat ein Ende: Maria Höfl-Riesch wird bei der Eröffnungsfeier der Winterspiele in Sotschi die deutsche Fahne tragen. Die Skirennläuferin ist gerührt - und es wird klar, weshalb Claudia Pechstein keine Chance hatte.

Von Carsten Eberts, Krasnaja Poljana

Die Regieanweisungen des Pressesprechers waren präzise. "Blick nach unten links, bitte, jetzt nach oben rechts." Maria Höfl-Riesch gehorchte, ließ ihre Augen gleiten, erst unten links, dann oben rechts, die Kameras klickten unaufhörlich. Das Dauergrinsen ließ sie aufgesetzt, es wollte sie auch gar nicht mehr verlassen. Maria Höfl-Riesch fühlte sich sehr geehrt in diesem Moment.

Wenn am Freitagabend im Olympiastadion von Sotschi die Winterspiele eröffnet werden, darf die Skirennfahrerin die deutsche Fahne tragen. Höfl-Riesch wird vorwegmarschieren, wahrscheinlich immer noch lächelnd, gefolgt von den meisten Athleten aus dem 153-köpfigen Team, so hat es die Spitze des Deutschen Olympischen Sportbunds (DOSB) am Donnerstag im Deutschen Haus in Krasnaja Poljana verkündet. Nach tagelanger Geheimniskrämerei - doch warum eigentlich?

Die Entscheidung sei schließlich einstimmig gewesen, berichtete DOSB-Präsident Alfons Hörmann, der auf dem Podium links neben Höfl-Riesch saß. Die 29-Jährige sei von Beginn an die Favoritin gewesen, "eine erste Wahl mit Stern", sagte Hörmann. Der Prozess habe zwei bis drei Wochen gedauert, ein Kandidatenkreis von zwölf Athleten sei aufgestellt worden, über den wurde dann diskutiert. Ausdrücklich auch über Claudia Pechstein, so Hörmann, die nicht ganz unumstrittene Eisschnellläuferin.

"Ein Gänsehautgefühl"

Doch die Wahl fiel auf Höfl-Riesch. Sie erzählte, wie sie am Mittwochabend schon im Bett gelegen habe, als gegen 21.30 Uhr das Handy mit der russischem Mobilnummer klingelte. Ungewöhnlich spät, doch Michael Vesper war dran, der Chef de Mission, der ihr die frohe Nachricht übermittelte. "Ein Gänsehautgefühl", sagte Riesch, "ein großer Traum geht in Erfüllung für mich." Es werden ihre letzten Winterspiele sein, das hat sie beschlossen. Das Ehrgefühl ist deshalb vielleicht noch ein wenig größer.

Höfl-Riesch hatte zuvor keinen Hehl daraus gemacht, wie gerne sie das angesehene Amt übernehmen würde. Wohl wissend jedoch, dass es verdientere Olympioniken gäbe, wenn es nach reiner Teamzugehörigkeit gegangen wäre. Andrea Henkel etwa, die Biathletin, die 2002 in Salt Lake City debütierte. Oder Pechstein, die 1992 in Albertville ihre erste Medaille holte, damals 19 Jahre alt. Für sie sind Sotschi die sechsten Winterspiele.

Skifahrerin Maria Höfl-Riesch
:Zweite Spiele, drittes Gold

Dreifache Olympiasiegerin, Weltmeisterin, Gesamtweltcup-Siegerin: Maria Höfl-Riesch hat alles gewonnen, was der alpine Skisport zu bieten hat. Doch das reicht ihr nicht. Sie versucht sich auch als Schauspielerin und Buchautorin - jetzt beendet sie ihre Karriere.

Höfl-Riesch hat eine deutlich jüngere Olympia-Vergangenheit. Sie ist 29, war erst einmal dabei, 2010 in Vancouver, als sie zweimal Gold im Slalom und der Super-Kombination holte. Olympia 2006 in Turin stand eigentlich auch auf ihrem Plan, doch sie verletzte sich im Dezember 2005 in Aspen/Colorado schwer. Zusammen kamen ein Kreuzbandriss, ein Meniskusschaden, eine Knorpelverletzung. Die Spiele waren damit natürlich gelaufen.

Bei Olympia überhaupt dabei zu sein, sei schon ein großes Gefühl, berichtete Riesch: "Die Fahne zu tragen ist aber auf ganz anderer Ebene etwas Besonderes." Damit ist sie erst die zweite alpine Skifahrerin, die mit dieser Aufgabe betraut ist, nach Hilde Gerg 2002 in Salt Lake City. Damals verfolgte Höfl-Riesch, 17, die Eröffnungsfeier noch am Fernseher.

Dass es auf die derzeit beste deutsche Skifahrerin hinauslaufen würde, war spätestens am Donnerstagmorgen klar, als eine andere aussichtsreiche Kandidatin zurückzog: Andrea Henkel, die Biathletin. Die 36-Jährige wurde aufgrund ihrer Verdienste gehandelt, auch hätte ihre Nominierung als Fahnenträgerin gut ins Bild gepasst: Henkel geht wie Riesch in ihre letzten Winterspiele, es wäre ein schönes Abschiedsgeschenk gewesen.

Henkel hatte jedoch rechtzeitig durchblicken lassen, dass sie auf dieses Amt gar keine Lust hat - und der Eröffnungsfeier gleich ganz fernbleiben wird.

Als Biathletin ist Henkel (wie auch Riesch) im Bergort Krasnaja Poljana untergebracht; die Anfahrt ins rund eine Stunde entfernte Olympiastadion und die Aussicht auf ewiges Herumstehen in der Kälte schienen ihr nicht allzu attraktiv. Sie müsse sich überlegen, ob es "förderlich ist, wenn ich mir die ganze Nacht um die Ohren schlage", hatte Henkel noch am Mittwoch gesagt. Man hätte sie wohl hintragen müssen, hätte sich der DOSB trotzdem für sie entschieden.

Am Donnerstagmorgen konkretisierte Henkel ihren Entschluss via Facebook: "Da es einen immensen Zeitaufwand für mich bedeuten würde, von dem einen äußersten Punkt zu dem anderen am weitesten entfernten Punkt der Olympischen Spiele zu kommen, musste ich mich im Sinne der Wettkämpfe, für die ich vier Jahre trainiert habe, von der Wahl zurückziehen", schrieb Henkel. Mit ihrer Ankündigung kam sie der Pressekonferenz der DOSB-Spitze zuvor. Henkel hat ihren eigenen Kopf, wer hatte das nicht schon vorher gewusst.

Höfl-Riesch fürchtet keine große Belastung

Auch Pechstein wurde zuletzt als Kandidatin gehandelt, sie hatte sich nonchalant gleich selbst ins Gespräch gebracht. Doch Pechsteins Chancen, so wurde am Donnerstag im Deutschen Haus noch mal deutlich, waren von Anfang an eher gering.

Ein Fahnenträger müsse die gesamte Mannschaft repräsentieren, hatte Generalsekretär Michael Vesper zuvor erklärt. Eine Persönlichkeit, die "ganz Deutschland" vertrete, hinter der sich die Kollegen gerne versammeln. Pechstein fiel - vorsichtig formuliert - in den vergangenen Jahren nicht immer durch Kollegialität und besondere Weitsicht auf. Die Vermutung, dass Höfl-Riesch die Anforderungen der DOSB-Spitze besser erfüllt, liegt nicht allzu fern.

Im Gegensatz zu Henkel fürchtet Höfl-Riesch keine große Belastung durch den neuen Job in der Weltöffentlichkeit. "Die Belastung auf der Piste ist um ein vielfaches höher", erklärte sie locker. Am Freitag wird sie die Flagge tragen, am Wochenende trainieren, am Montag womöglich ihre erste Medaille gewinnen. Dann steht die Super-Kombination der Frauen an. Als erste Goldfavoritin wird gehandelt: Maria Höfl-Riesch.

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