Olympia:Es hat auch Gutes, dass Rio nicht den Anforderungen genügt

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Favela hinter den Olympischen Ringen. (Foto: dpa)

Denn so erhält man Einblicke in eines der größten Blendwerke der Neuzeit. In der Millionenmetropole haben die Menschen andere Probleme, als zum aseptischen Bild einer Sportshow beizutragen.

Kommentar von Thomas Kistner, Rio de Janeiro

Jetzt ist auch noch das Herz betroffen. Die Athleten stünden "im Herz der Olympischen Spiele", hat IOC-Chef Thomas Bach zur Wahl der neuen Athletenvertreter ins Internationale Olympische Komitee gesagt, darunter Russlands für Rio gesperrtes Sprungwunder Jelena Issinbajewa. So viel dazu, was im Olymp aus der Staatsdoping-Affäre gelernt wurde, es führt aber generell auf ein bröckelndes Terrain. In Rio ist so vieles aus den Fugen geraten, dass auch das Herz nicht mehr in dem Takt schlagen mag, den ein gestrenges Regelkorsett bisher vorgab.

Im Schwimmen, Boxen, Gewichtheben und anderswo lieferten sich Sportler abseits des Wettkampfs muntere Gefechte, aber alles überschatten der Amerikaner Ryan Lochte und seine Teamkollegen. Lochte gewann bei drei Spiele-Teilnahmen sechsmal Gold, je dreimal Silber und Bronze. Gäbe es Michael Phelps nicht: Lochte wäre der Schwimmer mit den meisten Medaillen der Historie.

Nun fliegt auf, dass der Herzbub der Bewegung dieselbe über Tage mit einer Räuberpistole in Schach gehalten hat. Sie schuf große Beunruhigung unter den Athleten, viele verzichteten auf Privatausflüge in die Olympiastadt, einigen wurde gar geraten, das Olympiadorf nicht zu verlassen. Zugleich gerieten Rios Behörden über Tage in schiefes Licht. Lochte und Co. hatten einen Raubüberfall durch Polizisten erfunden, der sich an einer Tankstelle ereignet haben soll. Dabei hatten der Olympiaheld und Begleiter an dieser Tankstelle selbst randaliert und einen Sachschaden verursacht, den die herbeigerufene Polizei über ein Bußgeld eintrieb; bis sie am Tatort war, hatten Sicherheitsleute die Sportler mit gezogener Waffe an der Flucht gehindert.

Die kleine diplomatische Lochte-Krise überschattet die Medaillenbilanz der USA

Lochte ist gleich in die Heimat abgehauen, die Kollegen durften Brasilien erst verspätet verlassen. Es wird ermittelt. Die kleine diplomatische Krise überschattet nun die Medaillenbilanz des besten Spiele-Teams, zu der auch das Quartett Gold beigetragen hatte. Und sie wirft, das muss mit Blick auf Russlands systemabhängige Sportler erwähnt werden, nun auch hier andere Betrugsfragen auf. Das meinte US-Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton vermutlich nicht, als sie zu Spielebeginn erklärte: "Team USA zeigt der Welt, wofür dieses Land steht!"

Nicht mal mehr anständig Wahlkampf lässt sich führen, wenn man Olympias Sportler für sich vereinnahmt. Sie sind eben nicht diese ikonischen Übermenschen, zu denen sie das Sportunterhaltungsgewerbe macht, sondern Individuen mit Stärken und Schwächen. Eine Erkenntnis, die leider die komplette olympische Geschäftsgrundlage untergräbt.

Rio erlebt einen spannenden Prozess. In der Millionenmetropole, wo die Menschen andere Probleme haben als zum aseptischen Bild einer Sportshow beizutragen, bekamen die Veranstalter nicht einmal die Stadien voll. Und das größte Desinteresse herrscht unter den Athleten von morgen: 280 000 Freikarten gab das Comitê Rio 2016 an Schulkinder aus - nicht mal die Hälfte wollte sie nutzen.

SZ PlusHolger Gertz: Die Bilanz zu Rio
:Läuft doch

Die Olympischen Spiele in Rio gehen zu Ende. Eine gute Gelegenheit, mal darüber nachzudenken, was alles warum schiefgegangen ist. Aber das IOC rollt lieber den Bilderteppich aus und hofft, dass der alle Störgeräusche schluckt. Von großen Siegern, zynischen Funktionären - und Pudeln in Gelb-Blau.

Von Holger Gertz

Abgetaucht ist auch die Hälfte der freiwilligen Helfer. Darunter litt das Dopingtestprogramm, das offizielle Kardiogramm zur Reinheit der Spiele. Und all die kleinen und großen Kriminalstücke rund um diese Spiele, wahre und erfundene? Das IOC hat sein eigenes Kapitel beigesteuert: Das irische Vorstandsmitglied Patrick Hickey ist in Polizeigewahrsam.

Es hat auch sein Gutes, dass Rio nicht der Anforderung genügte, eines der größten Blendwerke der Neuzeit auf die Beine zu stellen. Das gestattete der Welt Einblick ins wahre Herz der Bewegung. Es ist ein Maschinenraum. Bei den nächsten Spielen in Südkorea, Japan, China wird diese Tür umso schwerer verriegelt sein.

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© SZ vom 20.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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