Olympia:Die Strategiespiele sind eröffnet

Das IOC geißelt Demonstrationen während des Fackellaufs. Kevan Gosper und ein PR-Unternehmen spielen dabei eine besondere Rolle.

Jens Weinreich

Wird das IOC künftig auf den internationalen Teil des olympischen Fackellaufs verzichten? Als erstes hochrangiges IOC-Mitglied spekulierte darüber am Dienstagmorgen der Australier Kevan Gosper, 74. Am Tag nach den Pariser Protesten gegen den Fackellauf kritisierte Gosper erneut die seiner Meinung nach "professionellen Demonstranten" und sagte: "Wir sollten darüber diskutieren, das Feuer nur noch von Olympia ins Gastgeberland zu tragen."

Olympia: Düstere Aussichten: Zwei Sonnenbrillenträger bewachen das Feuer in Paris.

Düstere Aussichten: Zwei Sonnenbrillenträger bewachen das Feuer in Paris.

(Foto: Foto: AFP)

Die internationale Reporterschar bemühte sich um weitere Stimmen aus dem olympischen Zirkus. Viele Funktionäre wollten sich zunächst nicht äußern. Und auf dem Kongress der weltweiten NOK-Vereinigung ANOC spielte das Thema keine Rolle. Die Nationalen Olympischen Komitees diskutierten den halben Tag lang organisatorische Fragen der Sommerspiele im August. Am Nachmittag ging es um die Olympischen Jugendspiele. Bedrückt ging es nicht zu, ganz im Gegenteil, es wurde öfter mal gelacht, etwa als sich der Vertreter Dschibutis beim ANOC-Präsidenten Mario Vázquez Raña erkundigte, ob Olympische Spiele für die Vips da seien oder für die Athleten.

Die Spin-Doktoren des IOC jedoch - und ihre Hardliner unter den Top-Funktionären - hatten sich über Nacht auf eine neue Linie verständigt. Gosper sprach als erster vom möglichen Abbruch des Fackellaufs. Die Multi-Funktionärin Gunilla Lindberg (Schweden) war die nächste. Dann äußerten viele, die zu Menschenrechtsverletzungen in China bislang klare Worte vermissen ließen, plötzlich harsche Kritik an Demonstranten, die den Fackellauf behindern. Im Kern klangen die Aussagen von Klaus Schormann (Weltpräsident der Modernen Fünfkämpfer), Sergej Bubka (IOC-Exekutivmitglied aus der Ukraine) oder eben Gosper nicht anders als Äußerungen aus dem chinesischen Propagandaministerium.

Professionelle Weißwäscher aus den USA

Lindberg meinte, es solle gefälligst "der olympische Geist respektiert werden". Schormann schimpfte, man dürfe "sich nicht erpressen lassen". Bubka behauptet, der Fackellauf sei "missbraucht" worden - und er meinte nicht die Chinesen. Und der deutsche IOC-Vize Thomas Bach ließ verlauten, er hoffe, dass die Demonstranten merken, "dass sie mit solchen Aktionen keine Sympathien gewinnen". Um die Zitatenliste zu komplettieren: Eine Sprecherin des chinesischen Außenministeriums dröhnte: "Die verabscheuungswürdigen Aktivitäten der Demonstranten trüben den hochfliegenden olympischen Geist."

Später erklärte IOC-Präsident Jacques Rogge, am Freitag werde nach der Fackellauf-Station in San Francisco über die Lage beraten. "Ich beteilige mich nicht an Spekulationen", sagte Rogge. Am Abend sickerte das Gerücht durch, dass die Entscheidung intern schon gefallen sein und die Fackel erst wieder in China entzündet werden könnte. Geplant ist der Fackellauf in China vom 4.Mai bis zur Eröffnung der Spiele am 8.August. Auch der deutsche IOC-Vize Bach will dort die Fackel tragen.

Das IOC ließ sich übrigens in früheren Krisenzeiten von jener PR-Firma beraten, die nun sowohl das Pekinger Organisationskomitee BOCOG als auch Chinas Regierung berät: Hill & Knowlton. Die professionellen Weißwäscher aus den USA haben für das erfolgreiche Management der IOC-Krise 1998/99, dem Bestechungsskandal um die Winterspiele von Salt Lake City, den amerikanischen PR-Oscar erhalten. Hill & Knowlton war heimlich angeheuert und mit einem Sonderbudget ausgestattet worden.

Auf der nächsten Seite: Was die PR-Firma mit dem Massaker auf dem Platz des himmlischen Friedens zu tun hat und warum Gospars Tochter die Fackel tragen durfte.

Die Strategiespiele sind eröffnet

Hill & Knowltons damaliger IOC-Mann Michael Kontos ist heute offiziell als Kommunikationsdirektor der Olympiabewerbung von Chicago (Sommerspiele 2016) tätig. In Peking aber ist er ständig gemeinsam mit den IOC-Spin-Doktoren Alex Gilady (Israel), Hein Verbruggen (Holland, Chef der Koordinierungskommission für Peking 2008) und auch Gosper zugange. Zufällige Parallelität? Gosper und Gilady zählten im IOC-Krisenwinter 1998/99 zu dem kleinen Team, das von Hill & Knowlton eingespannt wurde.

Das IOC-Krisenmanagement wurde damals von New Yorks Upper East Side aus betrieben. "Verantwortung übernehmen ohne Schuld einzugestehen", hieß die Strategie. Die Firma legte Medienauftritte fest, erstellte eine Liste mit unbotmäßigen Berichterstattern und überschwemmte die Welt mit Erfolgsmeldungen aus dem Olymp. "Ohne diese Beratung", sagte der damalige IOC-Sprecher Franklin Servan-Schreiber, "hätten wir die Phase vielleicht nicht überstanden."

Um das Bild zu komplettieren: Ein ehemaliger ranghoher Manager von Hill & Knowlton hat in einem Buch erklärt, die Firma hätte schon 1989 nach dem Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens die chinesische Regierung beraten. Weltweit geriet das Unternehmen zu Beginn der neunziger Jahre in die Schlagzeilen, als es vor einem Senatsausschuss in Washington ein 15-jähriges Mädchen vorführte, das angeblich zugegen war, als irakische Soldaten in kuwaitischen Spitälern Brutkästen mit darin liegenden Babys zertrümmerten. Die Barbarei schockte die Welt. Der damalige US-Präsident George Bush sen. blies zum Angriff. Nur: Die Schauermär war erfunden, die vermeintliche Augenzeugin die Tochter des kuwaitischen Botschafters.

Das Reptil bringt seine Tochter ins Spiel

Dass ausgerechnet Kevan Gosper sich als Kritiker der Fackellauf-Demonstranten aufspielt, hat eine spezielle Note: Im Mai 2000 war die Flamme auf der Reise vom griechischen Olympia nach Sydney. Als erste australische Fackelläuferin war die 15-jährige Schülerin Yianna Souleles vorgesehen. Souleles, Enkelin griechischer Einwanderer, war von den Mitschülern des Spiridon-Colleges in Sydney gewählt worden. Doch kurz vor der Zeremonie in Olympia wurde sie von einer elfjährigen Australierin ersetzt: von Sophie Gosper, Tochter des damaligen IOC-Vizepräsidenten.

"Gospergate" wurde die Affäre genannt. Der Daily Telegraph aus Sydney druckte ein unvorteilhaftes Foto des Ober-Olympiers auf der Titelseite und schrieb in riesigen Lettern, Gosper sei ein "Reptil". Er sei "gierig, halsstarrig, selbstsüchtig, aufgeblasen und egoistisch". Gosper behauptete, der griechische Staatspräsident hätte ihn gefragt, ob seine Tochter "ein Stück mit der Fackel laufen wolle. Hätte ich etwa Nein sagen sollen?"

Weil Sophie Gosper erst elf Jahre alt war, hätte sie in Australien nicht einmal zu den 11000 Fackelläufern gehören dürfen, denn dafür war als Mindestalter zwölf Jahre angesetzt. Aus Gospers Familie haben noch andere die Fackel getragen: Sein Bruder Peter (1956 in Melbourne, als Kevan Silber mit der 4x400-m-Staffel gewann) und sein Sohn Richard (1996). Gosper selbst war auch Fackelläufer, sogar mehrmals. Die Fackellauf-Affäre um sein Töchterchen nahm für Gosper ein ärgerliches Ende. Er wollte so gern Nachfolger des damaligen IOC-Präsidenten Samaranch werden. Weil er sich noch weitere Ungeschicklichkeiten leistete, musste er seine Kandidatur begraben.

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