Olympia:"Die Quittung bekommen wir jetzt"

OLYMPIA SCHWIMMEN 100 M RÜCKEN

Der deutsche Schwimmer Stev Theloke (rechts) bei der Siegerehrung bei den Olympischen Spielen 2000 in Sydney.

(Foto: Timothy A. Clary/dpa)

Stev Theloke hat vor 16 Jahren die letzte Einzelmedaille für die DSV-Männer gewonnen. Er kritisiert das deutsche Schwimmsportsystem schon lange.

Interview von Christoph Dorner

Stev Theloke, 38, aus Chemnitz ist der letzte deutsche Schwimmer, der in einem Einzelrennen bei Olympia eine Medaille gewonnen hat. 2000 in Sydney holte er über 100 Meter Rücken Bronze. Die Strukturen im Deutschen Schwimm-Verband hat Theloke, der immer noch an Schwimm-Meisterschaften teilnimmt und als Trainer arbeitet, früh kritisiert.

Herr Theloke, wissen Sie, warum wir anrufen?

Theloke: Sie wollen mit mir wahrscheinlich über das Abschneiden der deutschen Schwimmer reden? Sie wissen ja wahrscheinlich, dass ich 2005 aus dem DSV-Kader geworfen worden bin, weil ich die Rahmenbedingungen kritisiert habe. Die Quittung bekommen wir jetzt. Das macht mich traurig, denn die Sportler können am wenigsten für die Ergebnisse.

Was war damals ihr Punkt?

Es gab Probleme zwischen dem Chef-Trainer Beckmann und mir. Mich haben die Durchhalteparolen des Verbands gestört. Wenn man als Schwimmsportler alles selbst bezahlen muss, das Trainingslager, die medizinische Betreuung, wenn ein Trainer an einem Stützpunkt 15 Sportler betreuen muss, dann können auch keine Spitzenleistungen herauskommen. Es gibt zu wenig Trainer, die gut ausgebildet sind. Unsere besten Athleten wurden nie so ausgebildet, dass sie heute noch eine Chance auf eine Medaille hätten.

Dabei hat der DSV durchaus Welt- und Europameister nach Rio geschickt. Woran liegt es, dass Biedermann und Koch auch hinter den eigenen Erwartungen geblieben sind?

Das ist eine gute Frage. In den Medien kam das so rüber: Die gesamte Last der deutschen Schwimmnation war auf vier Schultern verteilt, die von Paul Biedermann und Marco Koch. Dass die beiden diese Last nicht tragen können, ist doch klar. Da ist es auch nicht gut, wenn sie vorher öffentlich als Olympiasieger gehandelt werden. Dass wir insgesamt so wenige Finalstarts haben, finde ich eigentlich noch viel schlimmer.

Das klingt so, als wäre es auch eine Einstellungssache.

Bei vielen deutschen Schwimmern hat man schon an der Art, wie sie in das Stadion gekommen sind, gesehen, ob sie etwas reißen können oder nicht. Viele kamen mit gesenktem Haupt, fallenden Schultern. Bei uns sieht das immer so aus, als müssten wir gewinnen. Ich habe das Gefühl, dass man sich in Deutschland deshalb schon im Vorhinein für seine Leistung rechtfertigen muss. Philip Heintz dagegen hat vor dem Rennen gelächelt und ist deutschen Rekord über 200 Meter Lagen geschwommen.

Um im Bild zu bleiben: Weltmeister Marco Koch sah vor seinem Finale nicht gerade locker aus.

Fand ich auch. Da trainierst du monatelang und plötzlich stehst du im Finale und der ganze Druck kommt. Ich bin froh, dass ich das nicht mehr aushalten muss. Man muss sich zum Vergleich nur mal die Amerikaner anschauen: Die sind locker.

In den USA fußt der Schwimmsport auf einem eingespielten System an Colleges und Universitäten.

Ich habe gestern einen Zeitungsbericht über einen deutschen Schwimmer gelesen, der in den USA trainiert. Der muss sich um nichts kümmern, nicht einmal um das Waschen seiner Handtücher. Wenn du in den USA ein Schwimm-Stipendium bekommst und Topleute in deiner Trainingsgruppe hast, dann wirst du durch die Konkurrenz auch schneller.

"Mir tun die Sportler echt leid"

Sie waren Sportsoldat. Es heißt immer, bei der Bundeswehr wären die Trainingsbedingungen ganz gut.

Ich musste als Sportsoldat ordentlich Dienst schieben. Dann hatte ich nur eine Woche im Jahr Urlaub, mal abschalten ging nicht. Außerdem wurden wir im DSV-Kader gezwungen, zusammen zu trainieren. Das hat mir nicht gepasst, weil ich unter dem Bundestrainer andere Programme schwimmen musste, als ich eigentlich wollte. Die Eisschnellläuferin Claudia Pechstein hat jetzt ein professionelles Trainingsteam gegründet. Dass man das machen sollte, habe ich schon 2005 gesagt.

Das klingt nicht so, als würden Sie dem DSV derzeit allzu viel zutrauen.

Wir mussten uns doch schon nach London 2012 davon verabschieden, mit der Weltspitze mithalten zu können. Die Spiele von Peking waren schon ein Schreck für den DSV, damals hätte man schon den Schalter umlegen müssen. Großbritannien hat 2012 nur so gut abgeschnitten, weil sie Jahre zuvor massiv in Nachwuchszentren und Trainer investiert haben. Darüber, was ein Sportler hierzulande verdient, haben wir übrigens noch gar nicht gesprochen.

Sie sind 2000 in Sydney Dritter über 100 Meter Rücken geworden. Seitdem haben die DSV-Männer keine Einzelmedaille mehr gewonnen. Da stellt sich schon die Frage: Wie haben Sie das geschafft?

Der Amerikaner Krayzelburg und der Australier Welsh waren damals seit zwei Jahren ungeschlagen. Für mich war klar, dass gegen die beiden auf den mittleren Bahnen nichts zu holen ist. Also habe ich vorher konsequent auf den Bahnen drei und sechs trainiert. Und ich habe mir ständig eingeredet, dass ich Dritter werde. Schon vor dem Rennen habe ich mir ausgemalt, wie das Gefühl bei der Siegerehrung sein würde.

Haben Sie sich denn die 100 Meter Rücken von Rio auch angesehen?

Ja, ich bin extra um drei Uhr morgens aufgestanden. Bei Olympischen Spielen werde ich zum Fernsehsportler.

Und Ihre Bronzemedaille von Sydney, wo ist die?

Die liegt vor mir auf dem Tisch. Zurzeit gucke ich mir die an und denke: Das kann doch nicht die einzige Medaille sein, die wir in den letzten 20 Jahren Beckenschwimmen gewinnen konnten. Aber es ist scheinbar so. Momentan kommen natürlich die Erinnerungen an Sydney wieder hoch: An den Wettkampf, an das harte Training. In Sydney war die Berichterstattung auch noch viel positiver. In Rio geht es nur noch um Doping, Niederlagen und grünes Wasser. Da tun mir die Sportler echt leid.

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