Olympia:"Das war gemeingefährlich"

Cycling - Road - Olympics: Day 2

Die Niederländerin Annemiek van Vleuten, 33.

(Foto: Getty Images)

Erst Vincenzo Nibali, dann Annemiek van Vleuten: Bei den Straßenrennen in Rio stürzen die führenden Radfahrer schwer. Lag das an der Strecke?

Von Christopher Gerards

Die Frau, die derart schwer gestürzt war, dass eine Team-Kollegin sie zunächst für tot hielt, schickte um 18:48 Uhr einen Tweet in die Welt. Sie sei jetzt im Krankenhaus, schrieb Annemiek van Vleuten, alles werde gut. Dann fügte sie noch an: "Ich bin vor allem super enttäuscht nach dem besten Rennen meiner Karriere."

Das Wichtigste zu Olympia 2016 in Rio

Das beste Rennen ihrer Karriere: Es war das Rennen, in dem sich van Vleuten, 33, am letzten Anstieg vom Feld absetzte, Sonntagabend, Olympia-Straßenrennen in Rio. Wenige Kilometer waren es noch ins Ziel, wenige Kilometer fehlten ihr zu Gold. Doch dann brach ihr bei der anschließenden Abfahrt das Rad weg, nach einem Bremsmanöver. Die 33-jährige Niederländerin überschlug sich, sie rutschte gegen den Bordstein und blieb am Boden liegen. Regungslos.

Es war nun nicht mehr das beste Rennen ihrer Karriere. Es war nun ein Rennen, in dem van Vleuten drei Brüche im Bereich der Lendenwirbelsäule erlitt, dazu eine Gehirnerschütterung. Und vor allem war es nun ein Rennen, das Fragen aufwarf, zum Beispiel diese: Hätte das Rennen auf dieser Strecke überhaupt gefahren werden dürfen?

Er sei "wirklich sehr wütend" - diesen Satz hat Chris Boardman in der BBC gesagt. Boardman arbeitet dort als Kommentator, und er bringt insofern Expertise mit, als er in Barcelona Bahnrad-Olympiasieger wurde. Das Rennen, in dem van Vleuten stürzte, kommentierte er live, er sagte: "Ich habe mir den Kurs angeschaut und gesagt: Wer hier stürzt, wird kaum wieder aufstehen. Das war weit entfernt von anspruchsvoll, das war gemeingefährlich." Auch die Bahnrad-Olympiasiegerin Victoria Pendleton schimpfte: "Das ist ein absolut unglaublich gefährlicher Kurs."

Nicht der erste schlimme Sturz auf dieser Abfahrt

Zur Erinnerung: Schon am Samstag, im Rennen der Männer, waren mehrere Fahrer gestürzt, unter anderem der frühere Tour-de-France-Sieger Vincenzo Nibali. Wie van Vleuten hatte er an der Spitze des Feldes gelegen. Und wie van Vleuten stürzte er in der Abfahrt, die von der Aussichtsplattform Vista Chinesa hinunterführt. Die Diagnose bei ihm: Schlüsselbeinbruch.

"Sie haben es zugelassen!", rief BBC-Kommentator Boardman also erbost, "und das, obwohl das Männerrennen schon jenseits aller Grenzen war! Sie haben nichts mehr verändert an der Strecke, das finde ich schrecklich." Sie - damit meinte er den Radsportweltverband UCI. Der wies die Schuld von sich und teilte mit: "Der Kurs wurde gewissenhaft entworfen und intensiv getestet."

Sie habe geglaubt, van Vleuten wäre tot, hat Anna van der Breggen hinterher gesagt, nachdem sie die Goldmedaille gewonnen hatte. Sie hatte ihre Teamkollegin auf dem Boden liegen sehen, sie hatte sich nicht mehr bewegt. Indirekt führte van der Breggen eine weitere mögliche Erklärung dafür an, warum sowohl im Männer- als auch im Frauenrennen die Führenden derart schwer stürzten, dass sie das Rennen abbrechen mussten. "Vielleicht geht man an der Spitze mehr Risiko", sagte sie. Schon nach dem Männerrennen hatte Greg Van Avermaet gesagt: "Wenn es um einen Olympiasieg geht, riskiert jeder ein wenig mehr. Ein paar haben das Limit überschritten." Der Belgier Van Avermaet hatte das Limit nicht überschritten, er gewann das Rennen.

Van Vleuten verbrachte die Nacht indes auf der Intensivstation, zur Beobachtung. Sie bedankte sich für die Nachrichten, die sie erhalten hatte, und gratulierte ihrer Team-Kollegin zum Olympiasieg. Schon einmal hatte sie einen schweren Unfall auf dem Rennrad, in Livigno kollidierte sie beim Training mit einem Auto. Mehrere Knochen brachen, auch ihre Lunge wurde verletzt. Der Unfall geschah am 7. August 2015 - exakt ein Jahr vor ihrem Sturz in Rio.

(mit Material von sid und dpa)

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