Olympia:Brasilien will den Polonaise-Hattrick

Volleyball - Olympics: Day 1

Sieg gegen Kamerun: Jaqueline Carvalho und das brasilianische Team.

(Foto: Getty Images)

Die Volleyball-Frauen der Gastgeber begeistern. Und peilen euphorisch den dritten Olympiasieg in Serie an.

Von Holger Gertz

Das große Maracanã-Stadion hat einen kleinen Bruder, er heißt Maracanãzinho. Im dicken Buch der Sportlegenden steht ja, dass jede Disziplin irgendwo Heimat und Haus hat, und jenes der brasilianischen Volleyballerinnen ist das Maracanãzinho, wo in den Sechzigern auch die Miss-Brazil-Wettbewerbe stattgefunden haben.

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Maracanãzinho? "Try saying that after seven caipirinhas", hat der Olympiakorrespondent vom Sydney Morning Herald geschrieben, nachdem er das erste Spiel der Brasilianerinnen gegen Kamerun gesehen hatte. Die Stimmung war vom Allerbesten, und natürlich haben die Brasilianerinnen gewonnen, 3:0 glatt. Die Ehrenrunde durch die Halle wirkte dann ein wenig over the top, Kamerun ist kein Gigant. Aber ein Sieg ist ein Sieg. Und ein Sieg ist ein Fest. Die Brasilianerinnen sind kurz davor, am Ziel einer Reise anzukommen, die nicht erst im Trainingslager angefangen hat. Sie reisen seit 2008.

Polonaise bis in den Mannschaftsbus hinein

Damals gewannen sie in Peking gegen die USA ihr erstes Olympiagold, sie hatten sich seit 1980 (Platz sieben) vorangearbeitet, und wer dabei war, wird nicht vergessen, wie sie nach dem Matchball zu einer Polonaise ansetzten, wie es sie in der Geschichte des Sports auch noch nicht gegeben hatte. Gestentechnisch waren die Brasilianerinnen schon immer ganz vorn dabei. Sie packten sich an den Schultern, die Kleinen nach vorn, die Langen nach hinten, und schnürten in Form einer Spielerinnenkette durch die Halle, durch die Mixed Zone und schließlich sogar in den Mannschaftsbus hinein. Keine Chance für die freundlichen chinesischen Autogrammjäger, die Brasilianerinnen mussten ja in der Formation bleiben und hatten zum Schreiben leider keine Hand frei.

Fabiana war damals auch schon dabei, und genauso 2012 beim nächsten Olympiasieg in London. Fabiana Marcelino Claudino aus Belo Horizonte, die Nummer 1, inzwischen ist sie Spielführerin. Eine Ehrenrunde schon nach einem Spiel gegen Kamerun - wo bleibt da noch Platz für die nächste Eskalationsstufe? Die Ehrenrunde musste sein, sagt Fabiana Claudino, "die Brasilianer fühlen mit uns, und es war schade, dass wir nicht mit allen Brasilianern zusammen feiern konnten". Das bringt der Sport allerdings so mit sich, auch ins heilige Maracanãzinho passt nur ein winziger Ausschnitt aller Brasilianer hinein, der Rest schaut die Spiele am Fernseher. Die Liga kommt auch live, es ist noch Platz neben dem Fußball.

Das erfährt man schließlich auch bei Olympia: dass es die aus Deutschland bekannte sportliche Monokultur in den Medien (Fußball, dann Fußball und schließlich auch noch Fußball) in anderen Ländern weniger gibt. Volleyball aus der guten alten Halle ist populär in Italien, besonders in Brasilien, und die Frauen-Nationalmannschaften müssen nicht "um Anerkennung kämpfen", wie es in Deutschland regelmäßig in Texten über Frauen-Nationalmannschaften steht.

Mannschaften wachsen, und mit ihnen auch die Menschen

Die Brasilianerinnen spielen in Gelb und Blau, das Outfit ist für Olympia um ein grafisches Element erweitert worden, rechts unterm Schlagarm sieht es so aus, als hätte ein Kind mit dem Farbkasten experimentiert. Aber Brasilien ist Brasilien geblieben, das Team ist seit 2008 ergänzt und nur behutsam verändert worden. Fabiana Claudino ist 31, viele Teamkolleginnen sind um die 30, sie haben die Reise gemeinsam gebucht, und sie wollen gemeinsam ankommen, im Finale im Maracanãzinho.

In Peking war Fabiana Claudino noch ganz still, inzwischen spricht sie mit großer Entschiedenheit. In der Liga werden Spielerinnen wie sie immer wieder angegriffen, als Äffin und Bananenfresser, aber man hat ihr eine schöne Bühne hingestellt, um eine Antwort zu geben. Sie trug als erster Mensch die olympische Fackel auf brasilianischem Grund und Boden.

"Ich verlange Respekt als Bürgerin, als Mensch"

"Als Athletin, als Frau und als Schwarze lege ich Wert darauf, dass wir uns alle für Gleichheit einsetzen", sagte sie: "Ich will nicht wegen meiner Erfolge respektiert werden. Ich verlange Respekt als Bürgerin, als Mensch." Schön zu sehen, wie Mannschaften wachsen, und mit ihnen auch die Menschen, aus denen Mannschaften ja bestehen.

Montagnacht hat Brasilien im schwer erhitzten Maracanãzinho gegen Argentinien gespielt, glatt 3:0 natürlich, ein wichtiger Sieg. Jeder Sieg gegen Argentinien ist wichtig. Nebenan, im Maracanã, haben Brasiliens Fußballer viel gewonnen und viel verloren, die Niederlage gegen Uruguay bei der WM 1950 wird in der Sportgeschichte als nationales Trauma eingeordnet, es hat einen Platz im Sprachbaukasten des Landes gefunden: Maracanaço, der Schock vom Maracanã. Der Schock vom Maracanãzinho würde einen neuen interessanten Begriff hervorbringen, aber Fabiana Claudino und die anderen sind entschlossen, das Angebot des brasilianischen Wörterbuchs nicht unnötig zu erweitern.

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