Olympia 2010: Bobbahn:Durch die wilde 13

Mit 154 km/h durch den Eiskanal: Die olympische Bob- und Rodelbahn in Whistler Mountain ist für unerfahrene Athleten hoch gefährlich. Besonders in einer Bananen-Kurve.

Volker Kreisl

Man kann in dieser Kurve nichts Besonderes erblicken. Die 13 ist eigentlich gar keine richtige Kurve, sie hat die Krümmung einer etwas zu gerade gewachsenen Banane, anders als die 12, die "Shiver" genannt wird, Schauer - weil sich das Eis wie eine gefährliche Steilwand über dem Betrachter wölbt. Anders auch als die 16 ganz unten, die "Thunderbird" getauft wurde, weil sie unter den Kufen eines Bobs wie das Grollen des Donners klingt. Die 13 dagegen ist nur ein leicht aufgebogener Kanalabschnitt ohne besondere Wirkung, kalter Beton, kaltes Metall, kaltes Eis.

Olympia 2010: Bobbahn: Fifty-fifty oder Eighty-zwenty? Im Whistler Sliding Center geht der Sport an seine Grenzen.

Fifty-fifty oder Eighty-zwenty? Im Whistler Sliding Center geht der Sport an seine Grenzen.

(Foto: Foto: dpa)

Andererseits ist sie berühmt. Ihretwegen ihr wurde über die olympische Bob- und Rodelbahn zuletzt viel geredet und geschrieben. Ehe man sie entschärft hat, waren in der 13 reihenweise vor allem unerfahrene Bobfahrer, Rodler und Skeletonfahrer gestürzt, weshalb heute auch jeder weiß: Whistler Sliding Center, das ist doch die Bahn mit der "Fifty-fifty". So nannte sie der kanadische Bobfahrer Steve Holcomb, weil schätzungsweise 50 Prozent der Durchrauschenden heil im Ziel ankamen.

Der Name wurde dann offiziell übernommen. Was außerdem mächtig Eindruck hinterließ, waren die 153,937 km/h des deutschen Rennrodlers Felix Loch, die schnellste je gemessene Zeit auf einem Rodel, gefahren in der Kurve 13. Wegen ihr ist das Whistler Sliding Center eine kleine Sensation, und die Verantwortlichen sehen das als Bestätigung ihrer Arbeit, trotz der Stürze, zu denen es immer noch kommt.

Gerade weil sie keine richtige Kurve darstellt, ist sie so tückisch. Die Gefahr liegt im Unscheinbaren. Bei den Olympischen Wettbewerben, die am Samstag mit dem Rodeln der Männer beginnen, sind auch wieder viele Athleten am Start, die im Grunde noch Anfänger sind. Sie verkennen die 13 als Kurve und die Kettenreaktion, die viel weiter oben einsetzt.

Wer den idealen Punkt, bei dem er schon in die 12 hoch einfahren muss, nur um Zentimeter verpasst, wird von den Fliehkräften in der Folge immer weiter nach oben geschaukelt. Er fällt nach der 12 wieder tief herunter, gerät dann in der 13 noch weiter nach oben, im schlimmsten Fall bis zu ihrem Ende. Wie bei manchen chemischen Versuchen lässt sich dieser Ablauf, sobald er in Gang gesetzt ist, nicht mehr aufhalten, irgendwann senkt sich dann links die Bande in den Weg, und man prallt nach unten weg.

John Gibson, Sprecher des Organisationskomitees für die Bahn, sagt, die Quote 50:50 stimme nicht mehr. Nachdem die Betreiber im Sommer die 12 etwas flachgeschliffen haben, der Kanal im Profil eher einem C als einem L gleiche, verzeihe sie wieder Fehler, der Auftrieb werde auch in der 13 nicht mehr so stark. Man könne besser korrigieren, und jetzt, das bestätigten auch die Athleten, treffe eher eine Quote von 80:20 zu. Muss man die Kurve dann nicht umbenennen? "Nein, nein", sagt Gibson, "den Namen behalten wir."

Ein Fünftel Stürzende ist offenbar im Rahmen

Die Organisatoren glauben, das Optimum erreicht zu haben. Mit der Entschärfung, sagt Gibson, sei das gebaut worden, was die Verbände verlangt hatten: eine Anlage, die am Anfang einer neuen Generation von Bahnen steht. Die sollen ein Höchstmaß an Tempo und technischer Herausforderung vereinen, aber im Rahmen des Vertretbaren bleiben. Ein Fünftel Stürzende ist offenbar noch im Rahmen.

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Dass man überhaupt unbedingt eine neue Generation von Bahnen braucht in einem Sport, der ohnehin schon gefährlich ist, hängt damit zusammen, dass die 13 ihren längst falschen Namen behalten soll. Die neuen Bahnen sollen schließlich die Menschen anziehen und den Sport weiter verbreiten helfen, sie sollen ein Spektakel sein und in aller Munde.

Die Tage von Whistler sind ausverkauft, 12.000 Zuschauer werden täglich erwartet. Es gibt Partys an der Strecke, gegenüber der 16 steht eine Bühne für Bands und Artisten, ein DJ versorgt die Fans überall mit lauter Musik. Die Zuschauer sollen es komfortabel haben, von der großen Tribüne den besten Blick und in den Wärmezelten angenehme Pausen. "Bob, Skeleton und Rodeln", sagt Gibson, "sind zwar in Nordamerika noch jung, sie stehen aber am Anfang einer aufstrebenden Zukunft."

Die Verbände und die meisten Sportler haben also einen klaren Strich gezogen. Die Bahnbetreiber wähnen sich innerhalb der gesteckten Grenzen, die Athleten begrüßen die Herausforderung. Dabei kann man wie immer, wenn mit der Gefahr gespielt wird, keine Trennlinie ziehen zwischen Nervenkitzel und Verantwortungslosigkeit, es bleiben Unwägbarkeiten.

Der Schweizer Teamchef Markus Wasser sagt: "Wenn es noch kälter wird, dann wird die Bahn noch schneller." Mit Temperaturen deutlich unter minus fünf Grad gibt es aber in Whistler noch keine Erfahrungen. "Man weiß nicht", sagt Wasser, "wie sich das auf die Fahrer der kleineren Nationen auswirkt."

Die kleineren Nationen sind auch besonders von der fünffachen Gravitationskraft im Whistler Sliding Center betroffen. Die Skeletonfahrer, die ja bäuchlings unterwegs sind, können in den unteren Kurven deshalb den Kopf nicht mehr heben. Mit viel Praxis und Fahrgefühl lässt sich der letzte Streckenteil auch blind bewältigen, weniger aber, wenn man nur wenige Jahre dabei ist. Obendrein sind alle Athleten im olympischen Wettkampf zu mehr Risiko bereit, zu groß ist die Verlockung des Erfolges. Man weiß also nicht, wie viel Kontrolle in den nächsten 14 Tagen auf dieser Bahn möglich ist, man kann das nicht definieren, egal, ob die 13 nun Eighty-twenty heißt oder Fifty-fifty.

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