Olympia:Bilder gegen das Vergessen

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Ringen hat wie manch anderer olympischer Sport ein Problem: Nur alle vier Jahre findet es Interesse. Das soll der Olympic Channel ändern. (Foto: Regina Schmeken)

Um in der spielefreien Zeit globalen Sportevents etwas entgegenzusetzen, gibt es den Olympic Channel. Der Kanal ist eines der Projekte in der Reform-Agenda von IOC-Präsident Bach - ob ein Bedürfnis besteht, ist offen.

Von René Hofmann, Rio de Janeiro

Unmittelbar nach den Helden kam die Werbung. Als alle Athleten zur Schlussfeier der Sommerspiele ins Maracanã-Stadion eingezogen waren, war Kyrre Gørvell-Dahll an der Reihe. Der 24 Jahre alte DJ nennt sich Kygo und ist ein Streaming-Star: Kein anderer Künstler hat es ähnlich schnell geschafft, über die Internet-Plattform Spotify ein Milliarden-Publikum zu finden. Kygo ist quasi der Usain Bolt im Streaming-Sprint, weshalb er eine logische Wahl war für das, was seine Musik begleiten sollte. Während seines Auftritts mit der amerikanischen Sängerin Julia Michaels war auf den großen Leinwänden im Stadion und auf den Fernsehschirmen der Zuschauer daheim ein Video zu sehen: Athleten aus aller Welt, die sich mehr oder weniger rhythmisch bewegten. Die Botschaft dazu: Auch wenn die Party in Rio jetzt endet, die Show geht weiter - auf dem neuen Olympia-Kanal, dem Olympic Channel.

Dieser wurde noch am Abend der Eröffnungsfeier gestartet. Genau genommen wurde er eingestellt - ins Internet und in die Stores, über die sich Apps herunterladen lassen. Mit einem gewöhnlichen TV-Kanal, der Sendung an Sendung reiht, hat der Channel nicht viel gemein. "Man sollte diesen Sender eher eine digitale Dialog-Plattform nennen", findet Yiannis Exarchos, der Channel-Direktor. Was sein Kanal bietet, der kein echter Kanal ist? Zunächst einmal einen Mix aus aufgehübschtem Archivmaterial, Dokumentationen und Erklärvideos. Auch aktueller Sport soll bald auf der Plattform erscheinen.

"Man sollte den Sender eher eine digitale Dialog-Plattform nennen", findet der Channel-Direktor

Ein Ziel ist es, die olympischen Disziplinen bis zu den nächsten Spielen in vier Jahren nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, oder, wie IOC-Präsident Thomas Bach es im Duktus des 1937 verstorbenen Barons Pierre de Coubertin ausdrückt: "Der Start des olympischen Kanals ist der Start einer aufregenden Reise, um die weltweite Öffentlichkeit das ganze Jahr mit der olympischen Bewegung zu vernetzen." Bach und Bolt und Coubertin: Der Channel bringt das alles zusammen. Sein simpler Slogan: "Where the games never end."

Bisher war genau das ein wichtiges Alleinstellungsmerkmal des Sportfestes: Die Sommerspiele waren nach zwei Wochen vorbei. Die nächsten kommen erst in vier Jahren. Dazwischen gibt es die Winterausgabe. 1994 wurde deren Rhythmus geändert, seitdem finden die Winterspiele nicht mehr im selben Jahr mit den Sommerspielen statt. Seitdem ist alle zwei Jahre irgendwo Olympia. Diese Frequenzsteigerung aber war offensichtlich nicht genug, um im Wettstreit mit der Spielsport-Konkurrenz Schritt zu halten; Fußball, Basketball, Eishockey und vieles andere wird ständig überall gespielt. Dieser Omnipräsenz wollen die Olympier etwas entgegensetzen.

Das Projekt ist Chefsache. Im September 2013 wurde der einstige Fechter Bach an die Spitze des Internationalen Olympischen Komitees gewählt. Ein Jahr später beschlossen die IOC-Mitglieder auf sein Betreiben hin den Aufbau des Kanals. Bis 2021 steht dafür ein Budget von 446 Millionen Euro bereit. Der Reifenhersteller Bridgestone ist als Gründungspartner dabei; der größte Teil kommt aus IOC-Kassen. Die sind gut gefüllt. Allein das US-Network NBC überweist 7,75 Milliarden Dollar, damit es bis 2030 Olympia-Inhalte verbreiten kann. Den Spagat hinzubekommen zwischen den traditionellen Partnern, die immer noch viel Geld bringen, und dem eigenen Kanal, der neue Zielgruppen erschließen soll - das wird eine spannende Übung.

Zum Auftakt ist sie so gelöst: Der Olympic Channel hat während der Spiele selbst keine Live-Rechte. Die spannendsten Bilder, die Olympia zu bieten hat, die Bewegtbilder direkt aus den werbefreien Arenen, werden dort erst mal nicht zu sehen sein. Von wichtigen internationalen Wettkämpfen der olympischen Sportarten danach aber kann das anders sein. "Wenn zum Beispiel der Judo-Verband die Fernsehrechte an seinen Weltmeisterschaften in 40 Länder verkauft, soll der Olympiakanal es in den 160 anderen Märkten zeigen", erklärt Timo Lumme, der Geschäftsführer der TV- und Marketing-Services des IOC. Mit mehr als 25 Sportverbänden - darunter Basketball, Golf, Schwimmen, Ski - wurden Zusammenarbeiten vereinbart. Mit anderen - darunter Fußball, Leichtathletik, Radsport und Handball - wird noch verhandelt. Ihnen verspricht IOC-Chef Bach: "Wir arbeiten an einem aufregenden Programm und neuen Werbemöglichkeiten."

Am Olympic Channel werkeln derzeit etwa 90 Mitarbeiter, die aus rund 20 Ländern zusammengecastet wurden - "handverlesene Experten", wie Kanal-Chef Yiannis Exarchos sagt. Der Sender hat sein Hauptquartier in Madrid. Die handverlesenen Experten der Firma Olympic Broadcasting Services, die vom IOC 2001 ins Leben gerufen wurde, um von allen Spielen Live-Bilder zu produzieren, sollen nach der Rückkehr aus Rio nebenan einziehen. Natürlich ist an ein Miteinander gedacht, er wolle eine "Schatzkammer" aufschließen, sagt Exarchos, und natürlich sollen da künftig auch die TV-Sender mitspielen. Ein Grund, wieso die öffentlich-rechtlichen Sender aus Deutschland bei der Vergabe der Rechte von 2018 bis 2024 nicht zum Zug kamen und von Discovery Communications ausgestochen wurden, war: Das US-Unternehmen trat der IOC-Digitaloffensive etwas geschmeidiger entgegen, als dies ARD und ZDF taten oder - wegen der gesetzlichen Vorgaben - tun können.

Langfristig eröffnet sich da die spannende Frage: Wo ist Olympia überhaupt wie zu sehen? Wer bestimmt über die Inhalte? Wer über die Aufbereitung? Zum Start wurde der Olympic Channel erst einmal mit rund 650 Filmbeiträgen gefüttert, die sich teilen und bewerten lassen, wie es auf allen digitalen Plattformen inzwischen erwartet wird. Wie oft das tatsächlich geschieht - das ist die Frage. Bedient der Kanal ein Bedürfnis, das existiert? Kreiert er ein neues? Oder läuft er ins Leere? Von der Antwort wird viel abhängen. Der Kanal ist das Projekt in Bachs angeblicher Reform-Agenda, die den Namen "2020" trägt, deren Ergebnis sich am ehesten und am schnellsten an nackten Zahlen messen lassen wird.

Das Publikum, auf das der Olympic Channel zielt, ist das denkbar größte: Weltweit soll er empfangbar sein, weltweit soll er Verbreitung finden. Wobei der Start erst einmal hauptsächlich in Englisch erfolgt und sich vor allem an die Unbedarften richtet. In dem Einminüter, den der Channel zu Über-Sprinter Usain Bolt zusammengestellt hat, heißt es: "Er ist charismatisch, er ist herausragend, er ist berauschend, einfach atemraubend. Er ist Bolt. Der großartigste Athlet, der großartigste Sprinter, den wir je gesehen haben." Die Bilder dazu sind entsprechend gefilmt und entsprechend geschnitten. Es klingt und es sieht aus wie: Werbung.

© SZ vom 25.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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